(Rom/Rio de Janeiro) Papst Franziskus pflegt bei Predigten und Ansprachen eine spontane Art. In die vorbereiteten schriftlichen Texte läßt er zusätzliche Gedanken und Ergänzungen einfließen, formuliert um oder läßt einzelne halbe oder ganze Sätze aus. Es gilt natürlich das gesprochene Wort, das ohnehin meist von den Medien in Direktübertragung in die ganze Welt übermittelt wird. Die Simultanübersetzer haben viel Arbeit. Sie erhalten, wie auch bei den Vorgängerpäpsten die schriftliche Fassung, die nur provisorischen Charakter hat. Die Übersetzer müssen aufmerksam mithören, um die spontanen Ergänzungen und Änderungen des amtierenden Kirchenoberhauptes nicht zu überhören. Da kann bei der Übersetzung die eine oder andere Panne passieren. Katholisches.info berichtete darüber. Nachträglich werden von der Übersetzungsabteilung des Vatikans die endgültigen schriftlichen Fassungen in einigen wichtigen Sprachen erstellt, die dem gesprochenen Wort des Papstes entsprechen.
Nicht der Fall ist das im Zusammenhang mit der Ansprache des Papstes vor dem Koordinationskomitee der Bischofskonferenz für Lateinamerika und der Karibik (CELAM). Die Begegnung fand am 28. Juli im Studienzentrum von Sumaré in Rio de Janeiro statt.
Katholisches.info berichtete mit dem Artikel Nicht gnostisch, nicht pelagianisch, sondern evangelistisch – Gefahren, die die Kirche von innen bedrohen: CELAM-Rede von Papst Franziskus. Die Rede des Papstes gilt als die programmatisch bedeutendste, die er bei seinem Brasilien-Aufenthalt hielt, wenn auch andere Ereignisse größeres mediales Interesse fanden. Die Rede wurde inzwischen vom Vatikan in verschiedenen Sprachen veröffentlicht (siehe hier).
Auffallend dabei ist, daß die provisorische Fassung der CELAM-Rede auch als Endfassung veröffentlicht wurde. Die spontanen Ergänzungen von Papst Franziskus fehlen. Darunter einige, die nicht von untergeordneter Bedeutung sind. Im Kapitel 4 „Einige Versuchungen gegen den Auftrag als Jünger und Missionar“ sprach Papst Franziskus von der Gefahr der „gnostischen“ Ideologisierung. In der offiziellen Fassung der Rede heißt es:
c) Der gnostische Entwurf. Er ist ziemlich mit der vorigen Versuchung verbunden. Gewöhnlich tritt er in Elitegruppen mit dem Angebot einer erhabeneren, ziemlich leibfeindlichen Spiritualität auf, die schließlich in pastorale Haltungen in Form von „quaestiones disputatae“ führt. Es war die erste Abweichung der Urgemeinde, und sie erscheint im Laufe der Geschichte der Kirche immer wieder in revidierten und korrigierten Ausgaben. Gemeinhin nennt man sie „aufgeklärte Katholiken“ (da sie die jetzigen Erben der Kultur der Aufklärung sind).
In seiner Rede ging der Papst jedoch über die vorliegende schriftliche Fassung hinaus und nannte einige konkrete Beispiele, was er mit neuem Gnostizismus meint. Zu den lateinamerikanischen Bischöfen sagte Franziskus, daß er jene meint, die ihm nach der Wahl zum Papst begeistert gratulierten, um gleichzeitig sofort Forderungen an ihn zu richten:
„daß die Priester heiraten dürfen, daß Ordensschwestern zu Priestern geweiht werden und daß auch die wiederverheiratet Geschiedenen zum Kommunionempfang zugelassen sind“,
denn nur so sei die Kirche „modern“ und auf der Höhe der Zeit. Auf der Videoaufzeichnung der Rede ist nach der zweiten Forderung ein erheitertes Lachen der Bischöfe zu hören.
Die drei konkret vom Papst genannten Themen gehören zum zentralen Forderungskatalog progressiver Kirchenkreise, vor allem randständiger Gruppen mit schismatischem und häretischem Einschlag wie Wir sind Kirche oder die Pfarrer-Initiativen. Die Zurückweisung dieser Forderungen durch den Papst sind für die aktuelle Diskussion in der Kirche von nicht unerheblicher Bedeutung. Deshalb erstaunt die Unterschlagung dieser Passage in den offiziellen Fassungen der Rede. Es erstaunt umsomehr, weil Papst Franziskus zumindest einem Punkt, der Frauenordination, auch bei der improvisierten Pressekonferenz auf dem Rückflug nach Rom eine eindeutige Absage erteilte.
Auf die gleiche Weise wurde die päpstliche Kritik an der Enneagramm-Methode unterschlagen. Als Gefahr für die Kirche von innen nannte Papst Franziskus auch den „psychologischen Reduktionismus“ und als konkretes Negativbeispiel die Enneagramm-Methode als Verdunkelung der christlichen Spiritualität. Die Enneagramm-Methode wurde Anfang des 20. Jahrhunderts vom russischen Esoteriker Georges Gurdjieff erfunden (siehe Enneagramm statt Kreuz – Esoterisch-okkulte Abwege katholischer Ordensleute).
Es ist ACI Prensa zu verdanken, daß die Videoaufzeichnung der Papstrede inzwischen ungekürzt im Internet veröffentlicht wurde.
So bleiben Fragen: Wer ist für die Weglassung der spontanen Redeeinschübe von Papst Franziskus verantwortlich? Warum wurden sie angeordnet? Wie sind die Weglassungen zu interpretieren?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Iglesia Catolica