Lex dubia non obligat – Wider ein ungerechtes Gesetz und den Rechtspositivismus, der in die Kirche vorgedrungen ist


Lex dubia non obligat. Roberto de Mattei über den Widerstand gegen ein ungerechtes Gesetz und das Eindringen rechtspositivistischen Denkens in die Kirche(Rom) Der Histo­ri­ker Rober­to de Mat­tei befaßt sich mit den Rechts­quel­len und der Rechts­hier­ar­chie des Kir­chen­rechts und der Ver­pflich­tung, daß jedes Recht auf dem gött­li­chen Recht zu grün­den habe. Dage­gen, so de Mat­tei, sei der Rechts­po­si­ti­vis­mus, der die­sen zen­tra­len Grund­satz miß­ach­tet, auch in die Kir­che enge­drun­gen. Jüng­stes Bei­spiel sei das Dekret der Ordens­kon­gre­ga­ti­on, das den Orden der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta unter kom­mis­sa­ri­sche Ver­wal­tung stellt und die Zele­bra­ti­on der Alten Mes­se mit 11. August annul­liert hat. Gegen die Unte­gra­bung des kirch­li­chen Rechts­ver­ständ­nis­ses durch rechts­po­si­ti­vi­sti­sches Den­ken sei Wider­stand zu lei­sten, so de Mat­tei. Der Grund­satz, daß einem unge­rech­ten Gesetz nicht zu gehor­chen ist, kön­ne sogar soweit gehen, lie­ber momen­tan die Exkom­mu­ni­ka­ti­on auf sich zu zie­hen, als fal­schen Gehor­sam zu lei­sten. Dies habe bereits der Hei­li­ge Tho­mas von Aquin und alle gro­ßen Kir­chen­recht­ler gelehrt.

Lex dubia non obligat

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Von Rober­to de Mattei

Die Cau­sa der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta bringt eine kir­chen­recht­li­che, mora­li­sche und geist­li­che Fra­ge zurück auf die Tages­ord­nung, die sich in den Jah­ren der Nach­kon­zils­zeit häu­fig stell­te und gele­gent­lich „explo­dier­te“: das Pro­blem des Gehor­sams gegen­über einem unge­rech­ten Gesetz. Ein Gesetz kann unge­recht sein nicht nur, wenn es das Got­tes- und Natur­recht ver­letzt, son­dern auch wenn es ein Kir­chen­recht von höhe­rer Rang­ord­nung in der Rechts­hier­ar­chie ver­letzt. Das ist der Fall beim Dekret vom 11. Juli 2013, mit dem die Kon­gre­ga­ti­on für das geweih­te Leben die Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta unter kom­mis­sa­ri­sche Ver­wal­tung stellt.

Die Rechts­ver­let­zung liegt nicht in der kom­mis­sa­ri­schen Ver­wal­tung, aber in dem Teil des Dekrets, der den Anspruch erhebt, die Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­lata zwin­gen zu kön­nen, auf die Zele­bra­ti­on der Hei­li­gen Mes­se nach dem über­lie­fer­ten Römi­schen Ritus zu ver­zich­ten. Zusätz­lich zur Bul­le Quo pri­mum des Hei­li­gen Pius V. (1570) gibt es das Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum von Bene­dikt XVI. (2007) und damit ein uni­ver­sa­les Kir­chen­ge­setz, das jedem Prie­ster das Recht einräumt:

Dem­ge­mäß ist es erlaubt, das Meß­op­fer nach der vom sel. Johan­nes XXIII. im Jahr 1962 pro­mul­gier­ten und nie­mals abge­schaff­ten Edi­tio typi­ca des Römi­schen Meß­buchs als außer­or­dent­li­che Form der Lit­ur­gie der Kir­che zu feiern.

Arti­kel 2 des Motu pro­prio prä­zi­siert, daß er dazu kei­ne Geneh­mi­gung weder durch den Hei­li­gen Stuhl noch durch sei­nen Ordi­na­ri­us braucht, wenn er die Mes­se sine popu­lo zelebriert.

Arti­kel 3 ergänzt, daß es nicht nur den ein­zel­nen Prie­ster, son­dern Gemein­schaf­ten der Insti­tu­te des geweih­ten Lebens und der Gesell­schaf­ten des apo­sto­li­schen Lebens – sei­en sie päpst­li­chen oder diö­ze­sa­nen Rechts –erlaubt ist, bei der Kon­vents- bzw. ‚Kommunitäts‘-Messe im eige­nen Ora­to­ri­um die Fei­er der Hei­li­gen Mes­se nach der Aus­ga­be des Römi­schen Meß­buchs zu hal­ten, die im Jahr 1962 pro­mul­giert wur­de.

Wenn eine ein­zel­ne Gemein­schaft oder ein gan­zes Insti­tut bzw. eine gan­ze Gesell­schaft sol­che Fei­ern oft, für gewöhn­lich oder stän­dig bege­hen will, ist es Sache der höhe­ren Obe­ren, nach der Norm des Rechts und gemäß der Geset­ze und Par­ti­ku­lar­sta­tu­ten zu ent­schei­den. In die­sem Fall besteht kei­ne Not­wen­dig­keit, sich auf das Got­tes- und Natur­recht zu beru­fen, es genügt das Kir­chen­recht als Rechts­quel­le. Ein her­vor­ra­gen­der Jurist wie Pedro Lom­bar­dia (1930–1986) erin­nert dar­an, daß Canon 135, Para­graph 2 des neu­en Codex Iuris Cano­ni­ci das Prin­zip der recht­mä­ßi­gen Gesetz­ge­bung fest­legt und zwar im Sin­ne, daß die gesetz­ge­ben­de Gewalt auf die im Recht vor­ge­schrie­be­ne Wei­se aus­zu­üben ist, beson­ders die Cano­nes 7–22, die den Titel des Codex bil­den, der den kirch­li­chen Geset­zen gewid­met ist.

Der Codex erin­nert dar­an, daß die uni­ver­sa­len oder all­ge­mei­nen Kir­chen­ge­set­ze jene sind, die durch Ver­öf­fent­li­chung im offi­zi­el­len Publi­ka­ti­ons­or­gan Acta Apo­sto­li­cae Sedis pro­mul­giert (Can. 8) wur­den; im Can. 12, §1 heißt es: All­ge­mei­ne Geset­ze ver­pflich­ten über­all alle, für die sie erlas­sen wor­den sind; Can. 18 besagt: Geset­ze, die eine Stra­fe fest­set­zen oder die freie Aus­übung von Rech­ten ein­schrän­ken oder eine Aus­nah­me vom Gesetz ent­hal­ten, unter­lie­gen enger Aus­le­gung; Can. 20 ergänzt: Ein spä­te­res Gesetz hebt ein frü­he­res ganz oder teil­wei­se auf, wenn es dies aus­drück­lich sagt oder ihm unmit­tel­bar ent­ge­gen­ge­setzt ist oder die gan­ze Mate­rie des frü­he­ren Geset­zes umfas­send ord­net; und schließ­lich legt Can. 21 fest: Im Zwei­fel wird der Wider­ruf eines frü­he­ren Geset­zes nicht ver­mu­tet, son­dern spä­te­re Geset­ze sind zu frü­he­ren in Bezie­hung zu set­zen und mit die­sen nach Mög­lich­keit in Ein­klang zu brin­gen.

Canon 135 bestimmt schließ­lich das Grund­prin­zip der Nor­men­hier­ar­chie: von einem unter­ge­ord­ne­ten Gesetz­ge­ber kann ein höhe­rem Recht wider­spre­chen­des Gesetz nicht gül­tig erlas­sen wer­den. Nicht ein­mal ein Papst kann den Akt eines ande­ren Pap­stes abschaf­fen, außer in der vor­ge­schrie­be­nen Form. Die in mora­li­scher und recht­li­cher Hin­sicht unan­fecht­ba­re Regel lau­tet, daß das von einer höhe­ren Rechts­quel­le gesetz­te Recht, das einen Bereich grö­ße­rer und uni­ver­sa­le­rer Bedeu­tung betrifft, und einen höher­ran­gi­gen Rechts­ti­tel besitzt, Vor­rang hat (Regis Joli­ve, 1959)

Gemäß Canon 14 darf die kir­chen­recht­li­che Norm, um ver­pflich­tend zu sein, nicht Gegen­stand eines Rechts­zwei­fels (dubi­um iuris) sein. Wenn die Rechts­si­cher­heit fehlt, gilt das Axi­om: lex dubia non obli­gat. Steht man einem Zwei­fel gegen­über, haben die Ehre Got­tes und die Ret­tung der See­len Vor­rang vor even­tu­el­len kon­kre­ten Kon­se­quen­zen, die der Akt auf der per­sön­li­chen Ebe­ne nach sich zie­hen kann. Der neue Codex Iuris Cano­ni­ci erin­nert im letz­ten Canon dar­an, daß in der Kir­che die supre­ma lex immer die salus ani­ma­rum (Can. 1752) sein muß. Das lehr­te bereits der Hei­li­ge Tho­mas von Aquin, wenn er in sei­nen Quae­stio­nes quod­li­be­ta­les, aus­führ­te, daß der Zweck des Kir­chen­rechts auf den Frie­den der Kir­che und der Ret­tung der See­len abzielt (12, q. 16, a. 2) und alle gro­ßen Kir­chen­recht­ler sind ihm dar­in gefolgt.

In der von Kar­di­nal Julián Her­ranz, dem Prä­si­den­ten des Päpst­li­chen Rats für die Geset­zes­tex­te am 6. April 2000 gehal­te­nen Rede über die salus ani­ma­rum als Grund­satz des Kir­chen­rechts, rief er in Erin­ne­rung daß die­se das höch­ste Prin­zip der kirch­li­chen Gesetz­ge­bung ist. Das aber setzt grund­le­gen­de Über­le­gun­gen vor­aus, die in der Debat­te feh­len, weil häu­fig das mora­li­sche und meta­phy­si­sche Fun­da­ment des Rechts ver­ges­sen wird.

Heu­te herrscht eine rein lega­li­sti­sche und for­ma­li­sti­sche Vor­stel­lung, die dazu neigt, das Recht als blo­ßes Instru­ment in den Hän­den jener zu sehen, die Macht haben (Don Arturo Cat­ta­neo, 2011). Laut dem Rechts­po­si­ti­vis­mus, der in die Kir­che ein­ge­drun­gen ist, gilt als rich­tig, was von der Auto­ri­tät erlas­sen wird. In Wirk­lich­keit bil­det das Ius divinum die Grund­la­ge für jene Rechts­äu­ße­rung und ver­langt den Vor­rang des Ius vor der Lex. Der Rechts­po­si­ti­vis­mus ver­kehrt die Grund­sät­ze und ersetzt die Rechts­gül­tig­keit des Ius durch die Anwen­dung der Lex. Im Gesetz sieht man nur den Wil­len des Regie­ren­den und nicht den Wider­schein des gött­li­chen Rechts, gemäß dem Gott Urhe­ber und Fun­da­ment jeden Rechts ist. Er ist das leben­di­ge und ewi­ge Recht, abso­lu­tes Prin­zip jeden Rechts (Ius divinum, hrsg. Juan Igna­cio Arrie­ta, 2010).

Aus die­sem Grund ist in einem Kon­flikt zwi­schen mensch­li­chem und gött­li­chem Recht, Gott und nicht den Men­schen zu gehor­chen (Apg. 5,29). Der Gehor­sam ist den Vor­ge­setz­ten geschul­det, weil sie die Auto­ri­tät Got­tes dar­stel­len und sie stel­len sie dar, weil sie das gött­li­che Gesetz bewah­ren und anwen­den. Der Hei­li­ge Tho­mas von Aquin bekräf­tigt, daß es bes­ser ist, der momen­ta­nen Exkom­mu­ni­ka­ti­on zu ver­fal­len und in fer­ne Län­der aus­zu­wan­dern, wo der irdi­sche Arm der Kir­che nicht hin­reicht, als einem unge­rech­ten Befehl zu gehor­chen: ille debet poti­us excom­mu­ni­ca­tio­ne, susti­ne­re (…) vel in ali­as regio­nes remo­tas fuge­re (Sum­ma Theo­lo­giae, Sup­pl., q. 45, a. 4, ob. 3).

Der Gehor­sam ist nicht nur eine for­ma­le Vor­schrift, die uns ver­an­laßt, uns der mensch­li­chen Auto­ri­tät zu unter­wer­fen. Sie ist vor allem eine Tugend, die uns auf den Weg der Ver­voll­komm­nung führt. Nicht wer inter­es­sen­ge­lei­tet, aus unter­wür­fi­ger Angst oder mensch­li­cher Anhäng­lich­keit gehorcht, ist wirk­lich gehor­sam, son­dern wer den wah­ren Gehor­sam wählt, der eine Ver­bin­dung des mensch­li­chen Wil­lens mit dem gött­li­chen Wil­len dar­stellt. Aus Lie­be zu Gott müs­sen wir bereit sein zu jenen Akten höch­sten Gehor­sams gegen­über Sei­nem Gesetz und Sei­nem Wil­len, die uns von den Bin­dun­gen eines fal­schen Gehor­sams lösen, der die Gefahr in sich birgt, uns den Glau­ben ver­lie­ren zu las­sen. Lei­der ist heu­te ein falsch­ver­stan­de­ner Gehor­sam ver­brei­tet, der manch­mal an Krie­che­rei grenzt und bei dem die Furcht vor der mensch­li­chen Auto­ri­tät über die gött­li­che Wahr­heit gestellt wird.

Der Wider­stand gegen unrecht­mä­ßi­ge Befeh­le ist manch­mal eine Pflicht, gegen­über Gott und gegen­über unse­rem Näch­sten, der Hand­lun­gen vor­bild­haf­ter meta­phy­si­scher und mora­li­scher Dich­te braucht. Die Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta haben von Bene­dikt XVI. das außer­or­dent­li­che Gut der über­lie­fer­ten, fälsch­lich „triden­ti­nisch“ genann­ten Mes­se erhal­ten und ange­nom­men, die heu­te wie­der von Tau­sen­den von Prie­stern recht­mä­ßig welt­weit zele­briert wird. Es gibt kei­nen bes­se­ren Weg, Bene­dikt XVI. ihre Dank­bar­keit dafür zum Aus­druck zu brin­gen und gleich­zei­tig ihren Pro­test gegen das ihnen ange­ta­ne Unrecht zu bekun­den, als in der Gelas­sen­heit eines rei­nen Gewis­sens das Hei­li­ge Meß­op­fer wei­ter­hin im über­lie­fer­ten Römi­schen Ritus zu zele­brie­ren. Kein Gesetz kann ihr Gewis­sen zwin­gen. Viel­leicht wer­den das so nur weni­ge tun, aber Nach­gie­big­keit um grö­ße­res Übel zu ver­hin­dern, wird nichts nüt­zen, um den Sturm abzu­wen­den, der über ihrem Orden und der Kir­che niedergeht.

Text: Cor­ri­spon­den­za Romana
Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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