Was der Bergoglio-Effekt über unsere Zeit sagt
Der katholische Publizist Rino Cammilleri befaßte sich nach einer Durchsicht der Kommentare, die zu den ersten 100 Tagen im Pontifikat von Papst Franziskus erschienen sind, vor allem mit dem „Medienerfolg“ des neuen Papstes. Der frühere Linksradikale, der sich bekehrte und zum katholischen Glauben fand, sieht die Ursache dafür weniger im Papst aus Argentinien, als vielmehr im Zustand „unserer Zeit“. Cammilleri führt das Phänomen, daß Franziskus bejubelt wird, Benedikt XVI. aber abgelehnt wurde, in einem Beitrag für La Nuova Bussola Quotidiana nicht so sehr auf den jeweiligen Amtsinhaber zurück, sondern auf eine „neue Form des Infantilismus“ zurück. Der so betonte tatsächliche oder vermeintliche Gegensatz oder Unterschied zwischen den beiden Päpsten sage zuallererst nicht etwas über diese Päpste, als vielmehr vor allem etwas über „unsere Zeit“ aus.
Es dränge sich nämlich mit aller Kraft die Frage auf, warum ein Papst wie Benedikt XVI., „der die Vernunft zu stärken versuchte, der zum knienden Kommunionempfang ermutigte, der die Schönheit der Liturgie wiederherzustellen begann, der auf solider intellektueller Grundlage den Dialog mit anderen Religionen und der laizistischen Welt suchte, zum „Flop“ wurde. Und es drängt sich gleichzeitig die Frage auf, warum ein anderer Papst, der schwarze statt rote Schuhe trägt, ein vergoldetes Kreuz aus billigem Metall statt eines goldenen Kreuzes, der den Platz mit freudigen und sympathischen Gesten ‚animiert‘ und in einem Hotel lebt, Medienerfolg hat“.
Wenn ein Katholik, so Cammilleri, nicht mehr in die Kirche gehe, nicht mehr beichte und nicht die heilige Kommunion empfange, weil ihm der Pfarrer „unsympathisch“ sei, aber zurückkehre, wenn ein Pfarrer „nach seinem Geschmack“ komme, dann handle es sich um einen „infantilen“ Katholiken, „denn nur kleine Kinder akzeptieren das abgelehnte Essen unter der Bedingung, daß es ihnen auf einem Löffel in der Form eines Flugzeugs eingeschöpft wird“.
Benedikt XVI. habe sich als Theologe auf dem Papstthron als „Intellektueller an Intellektuelle“ gewandt „und die haben ihn erwartungsgemäß ignoriert“, so Cammilleri. Und nun spreche der „Pfarrer auf dem Papstthron“ als Pfarrer auf ganz einfache Weise zum einfach Volk? Cammilleri weiß, daß der Vergleich hinkt und zwar so kräftig, daß man eigentlich darüber nur straucheln kann. Und doch: Es sei doch so, daß Papst Franziskus in seinen Ansprachen „bei Null beginnt“, so Cammilleri: „Seid lieb, denkt daran, daß Jesus euch lieb hat, sagt eure Gebete, redet nicht schlecht über andere“.
„Wenn dem so ist, daß der Heilige Geist uns jeweils den geeigneten Papst für unsere Zeit schickt, dann mala tempora. Dann leben wir im Zeitalter der Wilden mit Handy. In Zeiten, in denen sie dich für ein Wort oder einen Beistrich lynchen“, so Cammilleri. Es sei zurecht gesagt, daß die Menschen „keine Lehrmeister, sondern Zeugen wollen. Ja, weil sie Erstere nicht mehr ertragen und Letzteren gerade noch bereit sind zuzuhören.“
„Wenn die Dinge so sind, und sie sind so, dann können wir katholischen ‚Kulturvermittler‘ zusammenpacken und nach Hause gehen. Eine persönliche Anekdote dazu. Den letzten Beweis erhielt ich, als ich diese Dinge auf Radio Maria sagte: Eine Anruferin beschimpfte mich direkt auf Sendung mit der Begründung, ich sei nicht ausreichend respektvoll gegenüber Papst Franziskus gewesen. Programmdirektor Pater Livio Fonzaga erhielt anschließend mehrere Briefe ähnlichen Tenors. Da bleibt nur zu hoffen, daß Papst Franziskus bald das Netz der Katholizität wieder zusammenbaut, zu der untrennbar die Vernunft und der Intellekt gehören.“