(Tripolis/Washington) Stefano Magni analysiert die Hintergründe der Aufarbeitung des Attentats von Bengasi im September 2012. Islamisten töteten damals vier Amerikaner darunter auch Botschafter Stevens. Im Gefängnis sitzen heute aber keine Islamisten, sondern ein koptischer Christ.
Nimm einen Christen und mißhandle ihn. Beschuldige ihn der Blasphemie und wirf ihn ins Gefängnis. Wenn du keine Beweise hast, macht das nichts. Er ist Christ, niemand wird ihn rächen.
Dieses Verständnis von Justiz und Gerechtigkeit, einschließlich der Rache ist in Pakistan ziemlich verbreitet, wo ein Gesetz auf der Grundlage eines berechtigten Verdachts die Beleidigung des Islam ahndet. Oder in Ägypten, wo es zwar nicht ein solches Gesetz gibt, aber die koptischen Christen als Sündenbock für alle Probleme herhalten müssen, sogar für die Schweinegrippe. Damals ließ Staatspräsident Mubarak zum großen Schaden der christlichen Züchter Tausende Schweine schlachten.
Schwerer fällt es sich vorzustellen, daß dasselbe geschriebene oder ungeschriebene Gesetz auch von den USA angewandt wird. Ausgerechnet von jener Nation, die sich ihrer Meinungs- und Religionsfreiheit als Grundlage ihrer Verfassung rühmt. Und dennoch sitzt ein in den USA ansässiger ägyptischer Kopte im Gefängnis wegen der Schuld anderer.
Nakoula Basseley Nakoula, so sein Name, bezahlt als einziger die am 11. September 2012 in Bengasi durch die Hand eines islamistischen Terrorkommandos durchgeführte Ermordung des amerikanischen Botschafters in Libyen, Christopher Stevens mit dem Gefängnis.
Dem Kopten Nakoula Basseley Nakoula wird zur Last gelegt, den Film Innocence of Muslims (Die Unschuld der Moslems) zusammengestellt und sich darin über Mohammed lustig gemacht zu haben. Es handelt sich um einen bescheidenen, aber islamfeindlichen Amateurfilm, der innerhalb der koptischen Gemeinschaft in den USA in Umlauf war. Er wurde nie im Kino und auch nie im Fernsehen gezeigt. Allerdings landete ein Trailer davon auf YouTube.
Dort entdeckten ihn zwei Monate später radikale Moslems und machten daraus ein weiteres Haßobjekt gegen den Westen. Am 11. September 2012, dem 11. Jahrestags des Attentats auf die Twin Towers organisierten Islamisten vor der amerikanischen Botschaft in Kairo eine gewalttätige Kundgebung.
Im libyschen Bengasi wurde am selben Tag der US-Botschafter Stevens ermordet. Nicht von wutentbrannten, außer Kontrolle geratenen Demonstranten, sondern von einem Terrorkommando, das einen genau geplanten Mordanschlag ausführte, bei dem insgesamt vier Menschen ums Leben kamen.
In den beiden Wochen nach dem Attentat lautete die offizielle Version des US-Außenministeriums und von Präsident Barack Obama, der Botschafter sei im Rahmen einer „spontanen Unruhe“ ums Leben gekommen. Eine „Unruhe“, die durch den Amateurfilm Die Unschuld des Islam ausgelöst worden sei. Die libysche Regierung zeigt sofort mit dem Finger auf Al-Kaida, aber Obama wollte nichts davon wissen. US-Botschafterin bei der UNO, Susan Rice, erklärte öffentlich, daß der Fall Bengasi eine spontane Reaktion auf den Film war, der von Moslems als blasphemisch gewertet wurde.
Das Weiße Haus verurteilte offiziell das bescheidene Amateurvideo und machte es damit den Moslems der ganzen Welt bekannt, Hunderten von Millionen Menschen, die sonst wahrscheinlich nie etwas davon gehört hätten.
Die Regierung Obama ließ in Pakistan öffentliche Erklärungen ausstrahlen, in denen Präsident Obama persönlich sich im Namen der USA vom Video des „blasphemischen“ Kopten distanzierte. Hillary Clinton, damals Außenministerin, gab Charles Woods, dem Vater eines der Opfer des Attentats von Bengasi, das Versprechen, „wir werden die Person, die diesen Film gedreht hat, verhaften und der Justiz übergeben“. Nakoula Basseley Nakoula wurde am Tag der Wiederwahl Obamas verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis und vier Jahren Hausarrest verurteilt.
Da es in den USA keinen Straftatbestand Blasphemie gibt, begründete der Richter die Verurteilung mit der Übertretung von Bewährungsauflagen, denen der Mann wegen eines Kreditkartenbetrugs im Jahr 2010 unterworfen war. Ein Vergehen, das normalerweise mit einer Geldstrafe geahndet wird, aber nicht mit fünf Jahren Freiheitsentzug, davon ein Jahr im geschlossenen Vollzug.
Im Gefängnis oder wenn er wieder in die Freiheit zurückkehrt, riskiert der „blasphemische Filmemacher“ das Leben, weil mehr als ein radikaler Imam eine Fatwa mit einem Todesurteil gegen ihn erlassen hat.
Inzwischen steht aber fest, eigentlich stand es schon damals fest, daß Nakoula nichts mit dem Attentat in Bengasi zu tun hat. Laut den inzwischen bekannten Aussagen amerikanischer Regierungsbeamter, die sind in Libyen befanden, wußte das US-Außenministerium von Anfang an, daß auf das amerikanische Konsulat ein lange und präzise geplantes Attentat verübt worden war und es keine „Kundgebung“ aufgebrachter Moslems gegeben hatte. Weißes Haus und State Departement wußten, daß der Amateurfilm des koptischen Christen Nakoula nicht für den Tod der vier Amerikaner, darunter Botschafter Stevens verantwortlich war.
„Das Video auf YouTube spielt in Libyen keine Rolle“, erklärte Gregory Hicks, einer der Regierungszeugen. Hicks bekräftigte, „ohne jeden Zweifel“, daß kein in Libyen anwesender Amerikaner an den Film als Grund für das Attentat dachte. ABC News dokumentierte, wie der CIA-Bericht an das Außenministerium „korrigiert“ worden war, um jeden Zusammenhang zwischen dem Attentat und Al-Kaida zu löschen. Alle Hinweise auf vorherige Alarme und Hinweise auf terroristische Gruppen, die namentlich genannt wurde, darunter Al-Kaida und Ansar al-Sharia wurden entfernt. Aus einem E‑Mail-Wechsel zwischen Außenministerium und Weißem Haus geht hervor, so ABC News, daß Victoria Nuland, die Sprecherin des Ministeriums ausdrücklich schrieb, jene Teile des Berichts zu entfernen, weil „sie Gegenstand von Mißbrauch durch Mitglieder [des Kongresses] sein könnten, um das Außenministerium zu treffen, indem man es beschuldigt die Warnungen nicht beachtet zu haben. Warum sollten auch wir diese Stimmen beliefern?“ Nuland habe auch ausdrücklich verlangt, die Hinweise auf bestimmte Terrorgruppen zu tilgen, weil „wir die Ermittlungen des Kongresses nicht präjudizieren wollen.“
Auf diese Weise entledigte sich das Außenministerium seiner Hauptverantwortung, den Terroranschlag nicht verhindert zu haben, den Botschafter trotz vorliegender Warnungen in ein Gebiet mit höchstem Sicherheitsrisiko geschickt zu haben, ohne für ihn die nötigen Sicherheitsmaßnahmen getroffen zu haben. So mußte aus dem geplanten Attentat eines Terrorkommandos eine „spontane“ Volksunruhe werden, die durch ein Video ausgelöst wurde, die die „religiöse Sensibilität“ der örtlichen Bevölkerung verletzte.
Für die ganze Schuld brauchte es einen Sündenbock, weil die Regierung Obama in der Endphase des Präsidentschaftswahlkampfes das Gespenst von Al-Kaida nicht brauchen konnte und schon gar nicht, daß ein Versagen des Außenministeriums bekannt würde.
Eben: Und der Sündenbock für die ganze Schuld ist wieder einmal ein Christ, ein koptischer Christ, der im Gefängnis sitzt für etwas, mit dem er nichts zu tun hat.
Erstveröffentlichung: Nuova Bussola Quotidiana
Übersetzung Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons