(Rom) Mit den Irritationen, die in der Umgebung von Papst Franziskus über die zahlreichen „Ratschläge“ zur Kurienreform, die dem neuen Kirchenoberhaupt ungebeten über die Medien ausgerichtet werden, beschäftigte sich inzwischen auch Sandro Magister, der wohl unabhängigste und brillanteste unter Italiens Vatikanisten.
Die Irritationen schreibt er vor allem den „Risiken völlig improvisierter Predigten“ zu, die Papst Franziskus allmorgendlich in der Kapelle des vatikanischen Gästehauses Domus Sanctae Martae zu halten pflegt. Die Risiken hätten vom ersten Tag an in der Luft gelegen. Am 24. April haben sie sich erstmals „entladen“, als der Papst die Taste „Vatikanbank“ drückte.
Die Popularität des neuen Papstes hängt zu einem Gutteil mit seiner Art zu sprechen zusammen, sehr einfach, sehr verständlich und sehr direkt. „Ihm wird alles verziehen, auch wenn er Dinge sagt, für die andere mit Kritik überzogen würden. Aber es kommt auch der erste Protest auf“, so Magister.
Zufällige Nennung der Vatikanbank löste Spekulationssturm aus
Die ausdrückliche Nennung des IOR führte zu einer ganzen Reihe von Mutmaßungen und Spekulationen, was der neue Papst mit der Vatikanbank vorhabe. Da war es ein kleiner Schritt, in die Spekulationen gleich die gesamte Römische Kurie mit einzubauen.
Der Papst hatte am 24. April gesagt: „Wenn sich die Kirche ihrer Größe rühmen will und Organisationen schafft, Ämter errichtet und ein wenig bürokratisch wird, verliert sie ihre wichtigste Substanz und läuft Gefahr, sich in eine NGO zu verwandeln. Und die Kirche ist keine NGO! Sie ist eine Geschichte der Liebe!… Aber hier sind jene vom IOR… Entschuldigt mich, ja!… Alles ist notwendig, die Ämter sind notwendig… nun gut! Sie sind aber notwendig bis zu einem bestimmten Punkt: als Hilfe für diese Geschichte der Liebe. Wenn aber die Organisation den ersten Platz einnimmt, geht die Liebe zurück und die Kirche, die ärmste, wird zu einer NGO. Und das ist nicht der Weg“.
Die improvisierten Worte werden niedergeschrieben und wenige Stunden später von Radio Vatikan verbreitet. Der Text wird noch am selben Tag auch vom Osservatore Romano verbreitet, allerdings fehlt ein kleiner Teil: „Aber hier sind jene vom IOR… Entschuldigt mich, ja!…“
Morgendliche Papst-Kurzpredigten bleiben geheim – Zwei getrennte Zusammenfassungen von Osservatore Romano und Radio Vatikan
„Dieser Unterschied zwischen Radio und Zeitung des Heiligen Stuhls ist ein Indiz für die Unsicherheit, die noch im Vatikan darüber herrscht, wie man mit den täglichen Kurzpredigten des Papstes medial umgehen soll“, so Magister.
An den vom Papst zelebrierten Heiligen Messen nimmt ein ausgewähltes Publikum teil, das sich täglich ändert. Am 24. April war gerade eine größere Zahl von IOR-Angestellten darunter. Dieser Umstand und der Wunsch, die Anwesenden persönlich anzusprechen, scheint den Papst zu seinem spontanen Einschub veranlaßt zu haben.
Im Gegensatz zu den offiziellen Ansprachen werden die Kurzpredigten zwar im O‑Ton aufgezeichnet, nicht aber nachträglich vollständig niedergeschrieben. Der vollständige Text der Ansprachen bleibt geheim. Bekanntgegeben werden lediglich zwei kurze Zusammenfassungen, die unabhängig voneinander von Radio Vatikan und vom Osservatore Romano erstellt und veröffentlicht werden. Es ist nicht klar, ob diese Doppelgleisigkeit dem Schutz des Papstes für den Fall eines improvisierten Ausrutschers dient und ob sie in dieser Form beibehalten wird. „Tatsache ist, daß diese halböffentlichen Kurzpredigten inzwischen zu einem wichtigen Bestandteil der typischen Redekunst von Papst Franziskus geworden sind“, so Magister, da sie als täglicher Impuls medial in die ganze Welt getragen werden.
Kurienerzbischof Becciu fiel Aufgabe zu, offiziell beim Spekulationsdrang die Handbremse zu ziehen
Um jedenfalls dem offenbar unbeabsichtigt losgetretenen Spekulationsdrang zur Reform von Kurie und Vatikanbank ein Ende zu bereiten, wurde im Vatikan die Handbremse gezogen. Am 1. Mai veröffentlichte der Osservatore Romano und im Anschluß daran auch das Presseamt des Heiligen Stuhls eine offizielle Erklärung von Kurienerzbischof Angelo Becciu, dem Stellvertreter von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone.
Becciu erklärte, daß der Papst „erstaunt“ ist, daß ihm zur Vatikanbank Sätze in den Mund gelegt werden, die er nie gesagt habe. Der Kurienerzbischof präzisierte auch die Rolle der acht von Papst Franziskus ernannten Kardinäle, darunter der Erzbischof von München-Freising, Reinhard Kardinal Marx. Sie hätten den Papst zu beraten, aber nichts zu entscheiden.
„Liest man zwischen den Zeilen“ von Beccius Aussagen, „ist es leicht zu erahnen, daß das Ziel der Klarstellung nicht so sehr die Spekulationen der ‚Medien‘ sind, sondern die mehr oder weniger gewagten Erklärungen verschiedener Kirchenvertreter innerhalb und außerhalb der Kurie“, so Magister.
Martini-Bewunderer Kardinal Coccopalmerio gesprächigster „Reformer“
Einer der gesprächigsten war Kurienkardinal Francesco Coccopalmerio, der Präsident des Päpstlichen Rats für die Gesetzestexte. 2007 wurde der Lombarde von Papst Benedikt XVI. als Nachfolger von Julian Kardinal Herranz in dieses Amt befördert, sei „diesem aber nach dem Urteil der führenden Kirchenrechtler an Fachkompetenz unterlegen“, so Magister.
Vor seinem Ruf an die Römische Kurie war Coccopalmerio ab 1993 Weihbischof von Mailand unter dem von ihm bewunderten Erzbischof Carlo Maria Kardinal Martini, der ihn in dieses Amt gehoben hatte.
Von ihm stammt die in den vergangenen Tagen in den Medien verbreitete Idee, an der Römischen Kurie die Rolle eines „Moderators“ einzuführen, „als würden der Staatssekretär und dessen Stellvertreter nicht schon reichen“, wie Magister anmerkte. Dieser „Moderator“ wurde als Kern eines bereits fertig ausgearbeiteten Reformprojekts für die Römische Kurie präsentiert.
„Was aber nur wenige“ über Coccopalmerio und seine Moderator-Idee wissen, so Magister: „Als er diese Rolle erfand und in Mailand ausübte, wußte der damalige Erzbischof Carlo Maria Martini, als dessen Schüler und Bewunderer er sich bezeichnet, seine Leistungen keineswegs zu schätzen, vielmehr versuchte er sich seiner zu entledigen, indem er ihm die Beförderung an die Spitze einer kleinen Diözese anbot“. Eine Beförderung, die sein Weihbischof jedoch ablehnte.
Dafür gelangte Coccopalmerio einige Jahre später unter den Fittichen von Kardinal Bertone bis nach Rom und zwar für eine weit höhere Aufgabe. Als Leiter eines Dikasteriums wurde er von Papst Benedikt XVI. schließlich 2012 in das Kardinalskollegium aufgenommen.
Coccopalmerios Konklave-Engagement Kardinal Scola zu verhindern und Kardinal Bergoglio zu befördern
Beim jüngsten Konklave legte der Kardinal ein kaum übersehbares Engagement an den Tag, um die Kandidatur von Angelo Kardinal Scola, des Martini-Nachfolgers im Amt des Erzbischofs von Mailand, zu verhindern, und die Wahl von Jorge Mario Kardinal Bergoglio zu fördern. Kardinal Coccopalmerio hat, wie zahlreiche andere Martini-Anhänger, den Richtungswechsel an der Spitze der Ambrosianischen Kirche nie wirklich akzeptiert. Und er erinnerte sich offensichtlich daran, daß Kardinal Martini 2005 nach dessen eigener aussichtsloser Kandidatur den Argentinier Bergoglio gegen den Kardinaldekan Joseph Ratzinger unterstützte, der zu Benedikt XVI. wurde.
Kardinal Coccopalmerios Versuch, mit seinem medial vermittelten Reformpaket die päpstliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen, scheint geglückt. Ob diese ganz im gewünschten Sinne erfolgte, läßt sich aus der genervten Stellungnahme von Kurienerzbischof Becciu nicht mit Sicherheit ablesen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Diözese Benevent/Ungarische Bischofskonferenz