(Turin/Neapel) Am 3. Mai läuteten in zwei Städten die Glocken, im norditalienischen Turin und im süditalienischen Neapel. Grund war die Bekanntgabe, daß Maria Christina von Savoyen (1812–1836), die Königin Beider Sizilien (Das 1816 errichtete Königreich vereinte die beiden seit dem Hochmittelalter meist in Personalunion verbundenen Königreiche Sizilien und Neapel)) seliggesprochen wird. Am Tag zuvor hatte Papst Franziskus Kurienkardinal Angelo Amato, den Präfekten der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen empfangen und das Dekret zur Anerkennung eines Wunders, das der Fürsprache der Dienerin Gottes Maria Christina zugeschrieben wird, unterzeichnet.
Die Ankündigung veranlaßte den Soziologen und ehemaligen OSZE-Repräsentanten gegen die Diskriminierung und Verfolgung von Christen, Massimo Introvigne sich mit der neuen Seligen zu befassen. Seine Ausführungen sollen hier weitgehend wiedergegeben werden.
Politische Tabus Resistenza und Risorgimento überwunden
Nach der Seligsprechung von Rolando Rivi (1931–1945), dem von kommunistischen Partisanen bei Modena ermordeten Seminaristen, zeigt eine weitere den Wunsch von Papst Franziskus, lange wegen politischer Fragen und politischem Druck liegengebliebene Seligsprechungsverfahren voranzubringen und zwar ohne Rücksicht auf Tabus: zuerst mit Rolando Rivi, dem Tabu Resistenza [1]der italienischen Partisanenbewegung 1943–1945 gegen Faschismus und deutsche Truppen, deren kommunistische Verbände für die kommunistische Machtübernahme und die Errichtung der Diktatur des … Continue reading und nun mit Maria Christina dem Tabu Risorgimento [2]dem italienischen Gründungsmythos der Einigungskriege, die zwischen 1859 und 1870 zur Schaffung des Staates Italien und der Zerschlagung der Kirchenstaaten führten.
Die Anerkennung eines Wunders bedarf der nötigen Zeit für dessen Überprüfung. Es läßt sich aber kaum verstecken, daß das Seligsprechungsverfahren von Maria Christina seit Jahrzehnten wegen politisch motivierter Einsprüche stillstand, laut denen die Seligsprechung der Ehefrau von König Ferdinand II. Beider Sizilien (1810–1859) und der Mutter von dessen Nachfolger König Franz II. (1836–1894), zweier finsterer Bestien des Risorgimento, ein Schlag ins Gesicht für die italienische Risorgimento-Rhetorik sei, der Geschichtssicht, auf die der italienische Staat gründet. Jener Geschichtsmythos, demzufolge die eigentliche italienische Geschichte erst mit der Ausrufung des italienischen Staates 1860 begonnen habe gegen die Kleinstaaterei und vor allem die Fremdbestimmung. Aus diesem Grund finden sich einheitlich in jeder Gemeinde Italiens eine Italien-Straße, Rom-Straße, Straße der Einheit und Straßen und Plätze, die nach den führenden Vertretern des Risorgimento benannt sind.
Jene Kräfte, die damals anderer Meinung waren, darunter viele Katholiken und ihre Ideen, haben im offiziellen Geschichtsbild bis heute keinen Platz. Der Sieger schreibt bekanntlich die Geschichte.
Wer war Maria Christina von Savoyen?
Maria Christina war die Tochter von Viktor Emanuel I. (1759–1824), dem König von Sardinien und Herzog von Piemont, einem entschiedenen Gegner der französischen Revolution und des Liberalismus. Und sie war die Tochter der habsburgischen Erzherzogin Maria Theresia von Österreich-Este (1773–1832). Die nach ihrer Großmutter, der römisch-deutschen „Kaiserin“ Maria Theresia benannte Prinzessin, hatte im Revolutionsjahr 1789 den Prinzen von Savoyen geheiratet und teilte dessen konterrevolutionäre Ideen. Als ihr Mann 1802 seinem Bruder auf den Thron von Sardinien-Piemont folgte, wurde Maria Theresia Königin.
Maria Christina war die jüngste Tochter des Königspaares, die am 14. November 1812 in Cagliari das Licht der Welt erblickte. Die königliche Familie war vor den französischen Invasionstruppen nach Sardinien geflüchtet, wo sie das Ende von Napoleons Herrschaft abwartete.
Die kleine Maria Christina war der Liebling der Mutter. Das Mädchen zeichnete sich von klein auf durch besondere Frömmigkeit aus, weshalb in ihr der Wunsch vorhanden war, in ein Kloster einzutreten. Doch König Karl Albert I. von Sardinien-Piemont (1798–1849), der 1831 dem kinderlos verstorbenen Onkel Maria Christinas als entfernter Vetter auf den Thron gefolgt war, hatte andere Pläne mit der Prinzessin. Sie sollte den Bourbonen König Ferdinand II. Beider Sizilien heiraten im Rahmen von Plänen für eine friedliche Einigung Italiens. Die Apenninenhalbinsel sollte zu einem föderalistischen Staatenbund werden. Pläne, die für die Historiker noch heute zahlreiche Fragen aufwerfen.
Die drei älteren Schwestern Maria Christinas hatten entsprechend den habsburgischen Herzog Franz IV. von Modena, Kaiser Ferdinand I. von Österreich und den bourbonischen Herzog Karl II. von Parma geheiratet. Die Tränen der Prinzessin, angeblich auch am Hochzeitstag, nützen nichts. Am 21. November 1832 beugte sich Maria Christina der Staatsräson und heiratete in Genua den König Beider Sizilien.
Glückliche Ehe einer gütigen und mildtätigen Frau von großer Frömmigkeit
Entgegen der weitverbreiteten Behauptung, nicht zuletzt durch die Populär-Enzyklopädie Wikipedia, versichern Fachhistoriker, daß die Ehe mit Ferdinand II. jedoch glücklich war, trotz oder gerade wegen der Charakterunterschiede zwischen den beiden. Ferdinand war temperamentvoll, gern zu Scherzen aufgelegt und sehr neapolitanisch, Maria Christina hingegen zurückhaltend, fast menschenscheu und sehr piemontesisch. Maria Christina war von gerühmter Schönheit. Ihren Gatten eroberte sie jedoch vor allem auch durch ihre Güte und Mildtätigkeit. Solange die Königin lebte, gelang es ihr, für alle im Königreich zum Tode Verurteilten die Begnadigung zu erwirken.
Die Königin vertrat feste politische Überzeugungen, die durch ihre große Sanftmut gemildert waren. Sie zögerte nicht, auch die Politik ihres eigenen Hauses, der Savoyer zu kritisieren und widersetzte sich entschieden liberalen Ideen und den daran geknüpften Ideen des Risorgimento.
Bösartig verzerrte Darstellung durch Autoren des Risorgimento
Die Behauptung, sie sei vom Klerus und den Jesuiten ferngelenkt gewesen und habe übertriebenes Schamgefühl und einen überzogenen Moralismus vertreten, geht im harmlosen Fall auf ein in Neapel herrschendes Unverständnis für ein so unterschiedliches Lebensgefühl wie jenem Piemonts zurück, in den meisten Fällen jedoch auf eine schwarze Legende, die zu Propagandazwecken durch die Böswilligkeit von Autoren des Risorgimento verbreitet wurde und noch heute herumspukt.
Wie viele Frauen, auch Herrscherinnen, jeder Zeit starb Maria Christina an den Folgen einer Geburt, nachdem sie Franz II., dem letzten König Beider Sizilien das Leben geschenkt hatte. Es war am 31. Januar 1836. Die Königin war gerade 23 Jahre alt. Ihren Tod hatte sie übrigens vorausgesagt.
Begraben in der Kirche Santa Chiara in Neapel wurde sie bald Gegenstand der Volksfrömmigkeit. Die Neapolitaner vergaßen ihre „heilige junge Königin“ nicht, um die sich bald der Ruf einer starken Fürbitterin verbreitete. Nun wurde ihre Heiligkeit auch von der Weltkirche anerkannt.
Text: Nuova Bussola Quotidiana/Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/unbekannter Meister, um 1830
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↑1 | der italienischen Partisanenbewegung 1943–1945 gegen Faschismus und deutsche Truppen, deren kommunistische Verbände für die kommunistische Machtübernahme und die Errichtung der Diktatur des Proletariats kämpften |
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↑2 | dem italienischen Gründungsmythos der Einigungskriege, die zwischen 1859 und 1870 zur Schaffung des Staates Italien und der Zerschlagung der Kirchenstaaten führten |