Katholische Hebammen erstreiten historisches Urteil für Gewissensverweigerung – Keine Abtreibungsmitwirkung


Oberster Gerichtshof Schottland: richtungsweisendes Urteil für die Gewissensfreiheit(Edin­burgh) Das Urteil [2013] CSIH 36 P876/​11, erlas­sen vom Ober­sten Gerichts­hof Schott­lands ver­dient Auf­merk­sam­keit. Es schafft einen Prä­ze­denz­fall oder das, was im Com­mon Law als Land­mark Case bezeich­net wird. Auch die recht­set­zen­den Rich­ter ver­die­nen es, nament­lich erin­nert zu wer­den: Lord Mack­ay of Dru­madoon, Lady Dor­ri­an und Lord McEwan.

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Der Fall betrifft die bei­den katho­li­schen Heb­am­men Mary Tere­sa Doo­gan und Con­cep­ta Wood, die seit vie­len Jah­ren am Kran­ken­haus NHS Grea­ter Glas­gow and Cly­de Health arbei­ten. Die bei­den Frau­en mach­ten von ihrem Recht auf Gewis­sens­ver­wei­ge­rung Gebrauch und wei­ger­ten sich, an der Tötung unge­bo­re­ner Kin­der mit­zu­wir­ken. Als 2010 das Queen Mother’s Mater­ni­ty Hos­pi­tal von Glas­gow geschlos­sen wur­de, nahm jedoch die Abtrei­bungs­nach­fra­ge zu.

Das Kran­ken­haus, an dem sie arbei­ten, ver­lang­te nun unter Hin­weis auf Per­so­nal­man­gel, daß auch die katho­li­schen Heb­am­men an Abtrei­bun­gen mit­wir­ken soll­ten. Die bei­den Frau­en leg­ten Ein­spruch gegen die Anwei­sung ein, der von der Kran­ken­haus­lei­tung mit der Begrün­dung abge­lehnt wur­de, daß die „blo­ße“ Anwe­sen­heit, Super­vi­si­on und Assi­stenz bei der Tötung unge­bo­re­ner Kin­der nicht als direk­te Betei­li­gung aus­ge­legt wer­den kön­ne und daher nicht unter die Gewis­sens­frei­heit falle.

Eine Betei­li­gung am Kin­der­mord kam für die katho­li­schen Frau­en nicht in Fra­ge. Für sie stand damit ihre beruf­li­che Exi­stenz auf dem Spiel. Soll­ten sie gezwun­gen wer­den, an Abtrei­bun­gen mit­zu­wir­ken, muß­ten sie kün­di­gen, mit allen Fol­gen, die sich dar­aus für sie erge­ben wür­den. Sie rekur­rier­ten bei der zustän­di­gen Gerichts­be­hör­de, dem Lord Ordi­na­ry. Doch auch das Gericht wies die Anfech­tung der Kran­ken­haus­ent­schei­dung ab.

Der Rich­ter befand in der ver­schlei­ern­den Spra­che der Abtrei­bungs­ideo­lo­gie, daß sich unter den gesetz­li­chen Pflich­ten für Heb­am­men auch Dien­ste befin­den, die nicht direkt mit einer „Schwan­ger­schafts­un­ter­bre­chung im enge­ren Sinn“ ver­bun­den sei­en. Als Bei­spie­le nann­te er die tele­fo­ni­sche Ter­min­ver­ein­ba­rung für eine „Schwan­ger­schafts­un­ter­bre­chung“, die Betreu­ung der „Pati­en­tin­nen“ im Ope­ra­ti­ons­saal, Sicher­stel­lung der nöti­gen Hil­fe für Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge der „Pati­en­tin­nen“ und der­glei­chen mehr. Das Urteil unter­schied daher zwi­schen „direk­ter“ und „indi­rek­ter“ Teil­nah­me an einer „Schwan­ger­schafts­un­ter­bre­chung“, wie der Rich­ter die Tötung eines unge­bo­re­nen Kin­des ver­harm­lo­send nann­te. Ein Recht auf Gewis­sens­frei­heit ließ er nur für eine „direk­te“, nicht aber für eine „indi­rek­te“ Betei­li­gung gelten.

Der Rich­ter ging noch wei­ter. Er behaup­te­te, das Recht auf Gewis­sens­ver­wei­ge­rung exi­stie­re wegen der Tat­sa­che, daß Abtrei­bung vor dem Abor­ti­on Act von 1967 ein straf­recht­li­ches Delikt war. Was vor jener Neu­re­ge­lung nicht aus­drück­lich als Straf­tat betrach­tet wur­de, dar­auf kön­ne nun auch kein Recht auf Gewis­sens­ver­wei­ge­rung gel­tend gemacht werden.

Die­ses kön­ne zudem auch nicht im Fal­le einer Abtrei­bung gel­tend gemacht wer­den, die wegen der Gefahr eines dau­er­haf­ten phy­si­schen und psy­chi­schen Scha­dens oder bei Lebens­ge­fahr für die Frau not­wen­dig wäre.

Das Urteil des Lord Ordi­na­ry wur­de von den bei­den Heb­am­men vor dem Ober­sten Gerichts­hof in Edin­burgh ange­foch­ten, wo sie Recht beka­men. Der Rich­ter­se­nat hielt in einem Prä­ze­denz­ur­teil fest, daß das Recht auf Gewis­sens­ver­wei­ge­rung nicht ein­schrän­kend aus­ge­legt wer­den darf, indem sei­ne Gel­tung nur für den direk­ten chir­ur­gi­schen Ein­griff ange­nom­men wird. Die­se erstrecke sich viel­mehr auf den gesam­ten, auf eine Abtrei­bung abzie­len­den Vorgang.

Die Rich­ter bestä­tig­ten das Urteil [1989] 1 AC 537 im Fall R gegen Sal­ford Area Hos­pi­tal Aut­ho­ri­ty ex par­te Jana­way, in dem es heißt, daß das Recht auf Gewis­sens­ver­wei­ge­rung sich auf „die gesam­te Pha­se der Behand­lung auch vor und nach dem Ein­griff erstreckt, auch für den Fall, daß aus wel­chem Grund auch immer, eine Abtrei­bung nicht statt­fin­den sollte“.

Die Höchst­rich­ter hiel­ten in ihrem Urteil aus­drück­lich fest, daß eine Unter­schei­dung zwi­schen einer „direk­ten“ und einer „indi­rek­ten“ Betei­li­gung an einer Abtrei­bung dem com­mon sen­se wider­spre­che, denn es gehe nicht um eine tech­ni­sche, son­dern um eine ethi­sche Fra­ge, wes­halb auch schon allein die Anwe­sen­heit eines Gewis­sens­ver­wei­ge­rers wäh­rend einer Abtrei­bung aus­ge­schlos­sen wer­den müs­se, da die Anwe­sen­heit nicht als pas­si­ve bystan­der bezeich­net wer­den kön­ne, also die Anwe­sen­heit als bloß pas­si­ver Beobachter.

Das Höchst­ge­richt ver­warf einen wei­te­ren Punkt des vor­her­ge­hen­den Urteils, indem es fest­hielt, daß das Recht auf Gewis­sens­ver­wei­ge­rung sich nicht daher ablei­te, daß ein Vor­gang ein­mal als ille­gal galt, son­dern weil die Abtrei­bung von vie­len Men­schen als mora­lisch abzu­leh­nen­der Akt gese­hen wird. „Es han­delt sich um eine Fra­ge, zu der nicht weni­ge Per­so­nen grund­le­gen­de mora­li­sche und reli­giö­se Über­zeu­gun­gen haben, und das Recht auf Gewis­sens­ver­wei­ge­rung ist wegen des Respekts für die­se Über­zeu­gun­gen aner­kannt, und aus kei­nem ande­ren Grund“.

Das schot­ti­sche Höchst­ge­richt mach­te sich zudem eine grund­sätz­li­che Über­le­gung eines ande­ren Urteils voll­kom­men zu eigen, des Fal­les Chri­sti­an Edu­ca­ti­on SA gegen Mini­ster of Edu­ca­ti­on [2001] 9 BHRC53. Das grund­le­gen­de Pro­blem einer frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Gesell­schaft, die auf der Men­schen­wür­de, der Gleich­heit und der Frei­heit grün­det, in der das Gewis­sen und die Reli­gi­ons­frei­heit mit abso­lut ernst genom­men wer­den müs­sen, ist es, zu ver­ste­hen, bis zu wel­chem Punkt ein sol­ches demo­kra­ti­sches System den reli­giö­sen Gemein­schaf­ten zubil­li­gen kann und muß, zu bestim­men, wel­che Geset­ze für sie bin­dend sind und wel­chen sie kei­nen Gehor­sam lei­sten müs­sen […]. Eine sol­che Gesell­schaft kann nur in Ein­heit fort­be­stehen, wenn alle ihre Ange­hö­ri­gen eine gemein­sa­me ver­bind­li­che Rechts­grund­la­ge anerkennen.

Aus die­sem Grund kön­nen Gläu­bi­ge nicht ein auto­ma­ti­sches Recht für sich gel­tend machen, die Geset­ze des Lan­des auf­grund ihrer reli­giö­sen Über­zeu­gun­gen abzu­leh­nen. Gleich­zei­tig aber muß der Staat sich im Rah­men des Mög­li­chen bemü­hen, es zu ver­mei­den, die Gläu­bi­gen vor das furcht­ba­re Dilem­ma zu stel­len, sich zwi­schen ihrem Glau­ben und dem Gehor­sam gegen­über dem Gesetz ent­schei­den zu müssen.

Oder mit den Wor­te der schot­ti­schen Höchst­rich­ter gesagt: es ist alles eine Fra­ge des com­mon sen­se.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Par­lia­ment Hou­se of Edinburgh

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