(Kairo/Paris) Valentina Colombo berichtet bei Nuova Bussola Quotidiana, daß derzeit die ägyptische Salafistenpartei Al-Nur, von der Öffentlichkeit völlig unbeachtet, eine Europa-Tour unternimmt, um in mehreren europäischen Staaten Kontakte zu politischen Kreisen und zu den Regierungen zu knüpfen. Auf dem Reiseprogramm stehen auch Deutschland, Österreich, die Niederlande und Belgien. In Brüssel fand, vom Europäischen Parlament und einigen Think-Tank-Instituten gesponsert eine Konferenz statt, an der hochoffiziell geladen fast ausschließlich islamistische Parteien der Muslimbrüder und der Salafisten aus Nordafrika von Ägypten bis Marokko teilnahmen. Colombo fordert zur Wachsamkeit auf: Die Islamisten hätten eine Entscheidung getroffen. Sie wenden sich Europa zu. Europa müsse entscheiden, wen es in Nordafrika als politischen Ansprechpartner fördern wolle. Die Frage habe aber eine Dimension, die sich nicht auf die Region zwischen Rotem Meer und Atlasgebirge eingrenzen lasse. Die salafistische Europa-Tour habe auch mit der Propaganda unter den in Europa lebenden Moslems zu tun. Gerade unter den jungen Moslems an Rhein und Rhone sei ein schneller und radikaler Wandel zu beobachten, der auf eine massive Verbreitung salafistischer Ideen zurückzuführen sei. Diese salafistische Propaganda habe auch ein europäisches Ziel. Die islamische Expansion in den öffentlichen und politischen Raum in den europäischen Staaten stehe vor einer neuen Entwicklungsstufe und könne, wenn Europa nicht wachsam ist, bald eine ganz neue Dimension annehmen. Colombo ist mit dem Europaabgeordneten Magdi Cristiano Allam verheiratet.
Von Valentina Colombo
Salafistenpartei Al-Nur auf Europa-Tour – Offiziell eingeladen und von Öffentlichkeit unbeachtet
Eine Delegation der ägyptischen Salafistenpartei Al-Nur befindet sich seit dem 7. Mai auf einer großen Europa-Tour. Die Salafistendelegation, darunter Amr al-Makki wird Belgien, die Niederlande, Deutschland, Österreich und Frankreich besuchen. Die Europa-Tour dient nicht nur dem Wahlkampf unter den in Europa lebenden Ägyptern. Die Salafisten wollen ganz offiziell Kontakte zu den Politikern und Institutionen der genannten Staaten knüpfen.
Der Fernsehsender Al Arabiya berichtete, daß die Salafisten den ägyptischen Menschenrechtler Saad al-Din al-Ibrahim und Gründer des Ibn Khaldun Center for Development Studies in Kairo baten, ihnen bei der Herstellung von Kontakten zu Politikern in den USA und in der EU behilflich zu sein.
Saad al-Din al-Ibrahim erklärte, daß „den Salafisten ein Jahr nach der Regierungsübernahme durch die Muslimbrüder bewußt geworden ist, daß sie die Bruderschaft ausgenützt hat, um an die Macht zu kommen und sie seither wie Sklaven im alten Rom behandelt werden. Jüngst haben sie begonnen, sich zu widersetzen und suchen nach unabhängigen Kanälen, um die Auslandsägypter und das Ausland zu erreichen“.
Salafisten wollen Muslimbrüder ablösen
Bei den Parlamentswahlen 2011–2012 wurde die Salafistenpartei Al-Nur hinter der Muslimbruderschaft zur zweitstärksten Partei in Ägypten. Muslimbrüder und Salafisten verkörpern den Aufstieg der Islamisten nach dem Sturz von Hosni Mubarak. Die Parlamentswahlen 2013 sollten eigentlich am 22. April beginnen, wurden aber auf Herbst dieses Jahres verschoben.
Die Europa-Tour der Salafisten soll dazu dienen, ihre Ideen bekannt zu machen. Die Partei Al-Nur nahm im Oktober 2012 an einer Delegation von fünf ägyptischen Parteien teil, die die Niederlande besuchte. Mit dabei waren damals auch die Muslimbrüder, die Nationaliberale Partei Wafd, die liberale Partei der Freien Ägypter und die sozialistische Partei Tagammu. Nun aber handelt es sich um die erste eigenständige Europareise, die von Al-Nur alleine unternommen wird.
Das Ereignis ist unter zahlreichen Aspekten bemerkenswert. In erster Linie signalisiert die Europa-Tour, daß den Salafisten bewußt ist, daß sich die Muslimbrüder allgemein und Staatspräsident Mursi im besonderen, in einer schwierigen Position befinden. Innenpolitische soziale und politische Fragen haben die Partei der Muslimbrüder Freiheit und Gerechtigkeit geschwächt. Korruptionsvorwürfe könnten bei den bevorstehenden Wahlen die islamistischen Stimmen zu den Salafisten verschieben. Mit einer Zunahme radikaler Abgeordneter im Parlament ist zu rechnen.
Wohin führt die salafistische Europa-Tour, wohin nicht? – Tagung in Brüssel
Zweitens wurden für die Europa-Tour nicht nur Länder der EU ausgewählt, in denen es nennenswerte ägyptische Einwanderergruppen gibt, sondern nur solche, in denen die Salafisten bereits mit organisierten Gruppen vertreten sind. Spanien, Italien und Großbritannien fehlen auf der salafistischen Liste der Reiseziele.
Ein Grund dafür liege darin, daß die ägyptisch-islamische Gemeinschaft in Spanien und Großbritannien nicht besonders zahlreich ist, während in Italien zwar die größte ägyptische Gemeinschaft in Europa lebt, aber zum größten Teil aus ägyptischen Kopten besteht und der Salafismus bisher unter den in Italien lebenden ägyptischen Moslems noch wenig Anhänger gefunden hat.
Der Ausgangspunkt der Europa-Tour war eine Konferenz über den „Transformationsprozeß“ am Südufer des Mittelmeers, die von Carnegie Europe in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Außenministerium, dem Europäischen Parlament und vom belgischen Egmont – Royal Institute for International Relations organisiert wurde. Die Konferenz fand am ersten Reisetag der Al-Nur-Delegation am Sitz des Europäischen Parlaments statt. Am zweiten Tag bei der Fondation Universitaire von Brüssel. Es nahmen fast ausschließlich islamistische Parteien daran teil, allen voran die Muslimbrüder von Ägypten mit der Partei Freiheit und Gerechtigkeit, von Marokko mit den Parteien Gerechtigkeit und Barmherzigkeit (offiziell verboten, aber von der marokkanischen Regierung toleriert) und Gerechtigkeit und Entwicklung sowie Tunesien mit der Partei Al-Nahda. Dazu kamen noch die Salafisten, die von den beiden ägyptischen Parteien Al-Nur und Al-Asala vertreten wurden. Nicht-islamistische Oppositionsparteien fehlten ganz, so als würde es sie gar nicht geben.
Die europäischen Veranstalter haben offensichtlich gar nicht daran gedacht, daß Länder wie Ägypten und Tunesien sich in einem kontinuierlichen, noch nicht abgeschlossenen Wandlungsprozeß befinden. Ein Prozeß um die politische Macht, der sich nicht nur innerhalb des islamistischen „Blocks“ abspielt. Oder hat man sich in Europa bereits damit abgefunden, daß Nordafrika islamistisch wird? Oder anders gefragt: Hat Europa schon seine Wahl getroffen und sich für die Islamisten entschieden?
Europa wird sich entscheiden müssen. Salafisten haben sich entschieden: Sie blicken auf Europa und das in doppeltem Sinn
Die Islamisten jedenfalls haben ihre Entscheidung getroffen und die heißt: Europa. Die USA sind Feindbild, Europa ist zudem näher, erreichbar, politisch und kulturell weicher und durchdringbar.
Europa sollte zumindest zur Kenntnis nehmen, daß die Salafistenpartei Al-Nur vor allem aus jungen Mitgliedern besteht. Nader Bakkar, einer der führenden Vertreter, den die Salafisten nach Europa geschickt haben und der an der Tagung in Brüssel teilnahm, ist erst 28 Jahre alt. Sein junges Alter und seine schnelle politische Karriere hängen damit zusammen, daß Al-Nur seit ihrer Gründung eine Quote von 20 Prozent aller Parteiämter und Mandate für Junge unter 35 Jahre reserviert hat. Eine Entscheidung, die perfekt mit der Tatsache übereinstimmt, daß der Salafismus in Europa vor allem unter jungen Moslems verbreitet ist, vor allem in Deutschland. Die nach Europa aus dem arabisch-sunnitischen Bereich eingewanderten Moslems stellen in der jungen Generation das ideale Betätigungsfeld der salafistischen Propaganda dar.
Die salafistische Europa-Tour sollte sehr ernst genommen und mit größter Aufmerksamkeit beobachtet werden, von den europäischen Sicherheitsbehörden, auf politischer Ebene von Regierungen und Opposition, aber auch von allen gesellschaftlichen Kräften, auch den christlichen Gemeinschaften.
Steht neue Stufe islamistischer Ideenverbreitung und politischer Expansion in Europa bevor?
Es zeichnet sich eine neue Stufe islamistischer Ideenverbreitung ab und das mitten in Europa, die Einpflanzung einer radikal-islamischen Idee in jenen Zonen, die sich bereits heute als besonders integrationsresistent zeigen. Die Folge kann eine ganz neue Dimension politischer Expansion sein.
Die europäischen Institutionen, die so großzügig die Brüsseler Konferenz ausgerichtet haben, sollten sich bewußt werden, daß ihre politischen Ansprechpartner an der Südseite des Mittelmeeres islamistische Parteien sind und in der komplizierten Umbruchphase die nicht-islamistische Opposition nicht einfach und von vorneherein links liegengelassen werden sollte.
Der Wahlkampf in Ägypten und Tunesien hat bereits begonnen und Europa wird ein Schlüsselraum für die islamistische Propaganda sein. Europa wird sich entscheiden müssen, ob es das tolerieren will. Oder ob es zumindest der nicht-islamistischen Opposition auch Raum geben will. Vor allem muß Europa sich bewußt sein, daß es nicht nur um nordafrikanische Innenpolitik unter Einwanderergruppen geht. Die Einpflanzung und Verbreitung islamistischer Ideen unter in Europa lebenden Moslems wird weitreichende Folgen haben, die sich nicht darauf beschränken, wem diese bei den Wahlen in ihren Heimatländern die Stimme geben.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Una Fides