Die unsterbliche Aktualität von Latein – „Liturgiereform hat Konzilsvorgaben nicht respektiert“


Pater Roberto Spataro Sekretär der Päpstlichen Lateinakademie: Liturgiereform hat Konzilsvorgaben nicht respektiert(Rom) Mis­sa Gre­go­ria­na führ­te ein Gespräch mit Pater Rober­to Spa­ta­ro SDB. Der Prie­ster und Sale­sia­ner, ein aner­kann­ter Patri­sti­ker, lehrt an der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät der Sale­sia­ner zudem Didak­tik der klas­si­schen Spra­chen und Dog­ma­tik. Pater Spa­ta­ro ist erster Sekre­tär der im Novem­ber 2012 von Papst Bene­dikt XVI. errich­te­ten Päpst­li­chen Aka­de­mie für die latei­ni­sche Spra­che. Die Pon­ti­fi­cia Aca­de­mia Lat­in­i­ta­tis hat vor allem die Auf­ga­be, den Gebrauch der latei­ni­schen Spra­che in der Kir­che zu för­dern, vor allem im Bereich der Aus­bil­dung an den katho­li­schen Schu­len und den Prie­ster­se­mi­na­ren. Pater Spa­ta­ro betreut unter dem Pseud­onym Hor­ten­si­us eine wöchent­li­che, in Latein ver­faß­te Kolum­ne in der Tages­zei­tung Avve­ni­re der katho­li­schen Bischofs­kon­fe­renz. Der Voll­stän­dig­keit hal­ber wur­den die bei­den letz­ten Fra­gen aus einem Inter­view ergänzt, das Pater Spa­ta­ro bereits im Janu­ar dem Blog Cam­pa­ri & de Maist­re gab.

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Heu­te ist es üblich, Latein als „tote Spra­che“ zu bezeich­nen. Wir wis­sen, daß Sie die­se Ein­schät­zung nicht tei­len. Warum?

Ich bevor­zu­ge davon zu spre­chen, daß Latein eine unsterb­li­che Spra­che ist. Las­sen Sie mich in die­sem Zusam­men­hang die Wor­te von Pro­fes­sor Lui­gi Mira­glia, einem der besten Lati­ni­sten unse­rer Tage zitie­ren: „Latein ist ster­bend unsterb­lich gewor­den. Da es nicht mehr dem Wan­del der leben­den Spra­chen unter­wor­fen ist, in sei­nen For­men fix ist und eine Erwei­te­rung nur mehr im Wort­schatz erfährt, hat es den Fluch von Babel besiegt, nicht mit einem Pfingst­wun­der, aber indem es für die abend­län­di­sche Welt ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel schuf, das gleich­zei­tig die Bar­rie­ren von Raum und Zeit überwand.“
Mit Latein­kennt­nis­sen kön­nen wir in einen direk­ten Dia­log tre­ten mit Cice­ro, Sene­ca, Augu­sti­nus, Tho­mas von Aquin, Eras­mus von Rot­ter­dam, Spi­no­za, um nur eini­ge Namen zu nen­nen, und die edlen und hohen Gedan­ken ergrün­den, die sie beschäftigten.

Zwi­schen der katho­li­schen Kir­che und der latei­ni­schen Spra­che scheint es schon „immer“ ein bevor­zug­tes Ver­hält­nis gege­ben zu haben. Stimmt das? Aus wel­chen Gründen?

Die Päp­ste, schon immer gro­ße För­de­rer der latei­ni­schen Spra­che haben sub­stan­ti­ell drei Grün­de genannt: die katho­li­sche Kir­che als uni­ver­sa­le Insti­tu­ti­on kann kei­ne Spra­che ver­wen­den, die einem bestimm­ten sprach­lich-kul­tu­rel­len Raum ange­hört, son­dern braucht eine über­na­tio­na­le Spra­che. Und Latein hat die­se Auf­ga­be immer und aus­ge­zeich­net erfüllt. Zwei­tens machen bestimm­te Merk­ma­le der latei­ni­schen Spra­che wie ihre Nüch­tern­heit und logi­sche Klar­heit sie beson­ders geeig­net, um die offi­zi­el­le Leh­re der Kir­che in Fra­gen der Dog­ma­tik, der Lit­ur­gie und des Rechts aus­zu­drücken. Schließ­lich noch lebt die Kir­che von Tra­di­ti­on, sie sam­melt einen Glau­bens­schatz und gibt ihn von Gene­ra­ti­on zu Gene­ra­ti­on wei­ter: ein beträcht­li­cher Teil die­ses Schat­zes wur­de direkt in latei­ni­scher Spra­che zum Aus­druck gebracht.

Die gro­ßen Mei­ster der katho­li­schen Theo­lo­gie haben ihre Wer­ke in Latein geschrie­ben. Ist aber für einen Theo­lo­gen von heu­te die Kennt­nis des Lateins wirk­lich notwendig?

Die Theo­lo­gie erar­bei­tet ratio­nal die Glau­bens­an­ga­ben, die uns die Quel­len über­mit­teln. Ein Groß­teil die­ser Quel­len ist in Latein ver­faßt, zum Bei­spiel die Wer­ke der gro­ßen Kir­chen­leh­rer des Mit­tel­al­ters, die Ver­laut­ba­run­gen des Lehr­am­tes, die Edi­tio­nes typi­cae der lit­ur­gi­schen Bücher und, in grie­chi­scher Spra­che die Wer­ke der grie­chi­schen Väter. Ein Fach­theo­lo­ge kann sich daher nicht auf die „kul­tu­rel­le Ver­mitt­lung“ von Über­set­zun­gen stüt­zen. Für einen Theo­lo­gen sind Latein und Grie­chisch „Arbeits­werk­zeu­ge“. Zudem befä­hi­gen gute Kennt­nis­se der latei­ni­schen Spra­che zu einer kon­zep­tio­nel­len Stren­ge und sprach­li­chen Nüch­tern­heit, die – mei­nes Erach­tens – bei einem beträcht­li­chen Teil der heu­ti­gen theo­lo­gi­schen Pro­duk­ti­on fehlen.

Der Gebrauch des Lateins in der Lit­ur­gie wird oft kri­ti­siert, weil es den Gläu­bi­gen vom Myste­ri­um „ent­fer­ne“, weil es des­sen Ver­ständ­nis behin­de­re. Wie kann man sol­che Kri­tik entkräften?

Ich den­ke, daß gera­de das genaue Gegen­teil der Fall ist. Eine „hei­li­ge“ Spra­che, die sich von der pro­fa­nen Spra­che des All­tags unter­schei­det, hilft den Sinn des gött­li­chen Myste­ri­ums auf ange­mes­se­ne­re Wei­se wahr­zu­neh­men. Ich den­ke, daß der genann­ten Kri­tik ein Miß­ver­ständ­nis zugrun­de liegt: Das Myste­ri­um Got­tes bleibt immer jen­seits unse­rer Fähig­keit zu einem voll­stän­di­gen ratio­na­len Ver­ste­hen und damit auch der Fähig­keit, es voll­stän­dig erfaß­bar zu kom­mu­ni­zie­ren, auch nicht durch den Gebrauch einer Ver­na­ku­lar­spra­che. Das Ver­ste­hen der „Din­ge Got­tes“ ist nicht nur der Ver­nunft anver­traut, son­dern auch dem „Her­zen“, das sich aus Sym­bo­len speist. Eine „hei­li­ge“ Spra­che gehört der Sym­bol­spra­che an, jener Spra­che also, die für die Lit­ur­gie die ange­mes­sen­ste ist. Im übri­gen  haben bis zur nach­kon­zi­lia­ren Lit­ur­gie­re­form Gene­ra­tio­nen um Gene­ra­tio­nen von Hei­li­gen frucht­bar an der Lit­ur­gie teil­ge­nom­men, auch wenn sie nicht alles „ver­stan­den“, was gesagt wur­de. In Wirk­lich­keit ver­stan­den sie sogar sehr gut, daß in der Lit­ur­gie etwas Gro­ßes und Schö­nes geschieht: die Anwe­sen­heit und das Han­deln Gottes.

In den ver­gan­ge­nen 50 Jah­ren scheint das Latein­stu­di­um in der Kir­che und an den Semi­na­ren deklas­siert wor­den zu sein und an Bedeu­tung ver­lo­ren zu haben: Was sind Ihrer Mei­nung nach die Grün­de dafür? Han­delt es sich dabei um eine bewuß­te Entscheidung?

Mehr als eine bewuß­te und geplan­te Ent­schei­dung scheint mir das Des­in­ter­es­se am Latein­stu­di­um inner­halb der Kir­che die Fol­ge eines kul­tu­rel­len Kli­mas gewe­sen zu sein, in dem die Tra­di­ti­on abge­wer­tet wur­de, wäh­rend man gleich­zei­tig und ziem­lich naiv den res novae hin­ter­her­rann­te. Zudem wur­de auch von Tei­len der Kir­che unglück­li­cher­wei­se die Gleich­gül­tig­keit gegen­über den Stu­dia huma­ni­ta­tis inha­liert, die sich gene­rell in der Gesell­schaft und im Bil­dungs­we­sen ausbreitete.

Ent­spricht die fast völ­li­ge Auf­ga­be des Lateins in der Lit­ur­gie nach der vom Die­ner Got­tes Paul VI. durch­ge­führ­ten Reform des Mis­sa­le Roma­num wirk­lich dem, was die Kon­zils­vä­ter mit Sacro­sanc­tum Con­ci­li­um wollten?

Das Mis­sa­le Roma­num von Paul VI. ist in latei­ni­scher Spra­che gehal­ten. Vor allem aber muß dar­an erin­nert wer­den, daß die Kon­zils­kon­sti­tu­ti­on Sacro­sanc­tum Con­ci­li­um den Gebrauch der latei­ni­schen Spra­che in der Lit­ur­gie aus­drück­lich vor­schreibt, wenn sie auch eine ver­nünf­ti­ge und nutz­brin­gen­de Ein­fü­gung der Volks­spra­chen in eini­gen Tei­len vor­sieht. Es scheint offen­sicht­lich, daß die Lit­ur­gie­re­form, die auf das Kon­zil folg­te, nicht die Kon­zils­vor­ga­ben respektiert.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Cam­pa­ri & De Maistre

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