Der Dialogkult und die Feinde Jesu

P. Giovanni Cavalcoli OP


Pater Giovanni Cavalcoli OP: Modernen Dialogkult beenden(Rom) Der Domi­ni­ka­ner Pater Gio­van­ni Caval­co­li OP, Pro­fes­sor für Dog­ma­tik und Christ­li­che Anthro­po­lo­gie an der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Emi­lia-Roma­gna und Vize-Postu­la­tor im Selig­spre­chungs­ver­fah­ren für den tsche­chi­schen Domi­ni­ka­ner und Moral­theo­lo­gen Tomas Tyn OP (1950–1990), den „nach­kon­zi­lia­ren Tra­di­tio­na­li­sten“ (Caval­co­li), befaßt sich mit den Fein­den des Herrn und wie Jesus mit ihnen umging. Er geht der Fra­ge nach, ob der in der Kir­che heu­te ver­brei­te­te „Dia­log­kult“ dem Ver­hal­ten Jesu ent­spricht oder ob er mit die­sem in Ein­klang zu brin­gen ist. Eine Fra­ge, die er dop­pelt ver­neint. Eine „Über­ein­stim­mung“ kön­ne nur um den Preis erzwun­gen wer­den, einen Teil von Jesus zu unter­schla­gen und ihn damit zu ver­fäl­schen. Genau das aber, so Pater Caval­co­li, gesche­he heu­te durch eine in der Kir­che weit­ver­brei­te­te Form der Ver­kün­di­gung. Eine Form, die, so der Domi­ni­ka­ner, über­wun­den wer­den muß, wenn die Kir­che ihren Auf­trag wahr­heits­ge­treu erfül­len will. Der Dog­ma­ti­ker könn­te sich auf die jüng­sten Wor­te von Papst Fran­zis­kus stüt­zen, der „nein zu den Salon-Chri­sten“ sag­te und dazu auf­rief, „lästig zu sein“.

Christus und seine Feinde

Anzei­ge

von Pater Gio­van­ni Caval­co­li OP

Wir wis­sen, wie sehr man heu­te auf den Dia­log beharrt: Dia­log unter Katho­li­ken, Dia­log mit der Pius­bru­der­schaft, Dia­log mit den Nicht-Katho­li­ken, inter­re­li­giö­ser Dia­log, Dia­log mit den Nicht-Gläu­bi­gen. Wenn wir aber das Vor­bild Chri­sti anschau­en, sehen wir sei­ne schar­fen Strei­te mit Pha­ri­sä­ern, Schrift­ge­lehr­ten und Prie­stern, mit här­te­sten Aus­drücken aus sei­nem Mund, mit denen er sie anklagt, den Teu­fel zum Vater zu haben, ihnen erklär­te, daß sie in ihren Sün­den ster­ben wer­den, er ihnen mit stren­gen gött­li­chen Stra­fen droh­te, sie immer wie­der der Heu­che­lei beschul­dig­te, des Gei­zes, der Lüge, der Untreue gegen­über Moses, an rein mensch­li­chen Tra­di­tio­nen zu hän­gen, der Grau­sam­keit, der Unge­rech­tig­keit, der Fre­vel, des Mor­des, der Glau­bens­lo­sig­keit und ihnen zwei har­te Beschimp­fun­gen ent­ge­gen­schleu­der­te, wenn er sag­te, sie sind „Nat­tern­ge­züch­te“ und „über­tünch­te  Grä­ber“ und noch ande­res mehr.

In der heu­te übli­chen Ver­kün­di­gung wird fast immer nur ein barm­her­zi­ger, ver­zei­hen­der Chri­stus prä­sen­tiert, der ganz sanft und mit­füh­lend ist, offen für alles, nach­sich­tig mit den Sün­dern, gedul­dig, ver­ständ­nis­voll und tole­rant mit allen, der auf die Bedürf­nis­se aller ach­tet, vor allem der Klei­nen, der Schwa­chen, der Frau­en, der Lei­den­den, der Armen, ein Wun­der­tä­ter. Und alles davon ist wahr. Die­se völ­lig rich­ti­gen Din­ge eig­nen sich aber für Instru­men­ta­li­sie­run­gen durch das aktu­el­le idyl­li­sche und gesüß­te Gut­men­schen­tum, das seit Jahr­zehn­ten in die Kir­che ein­ge­drun­gen ist und sich als Inter­pret des Gei­stes des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils darstellt.

Christus wird als liebenswerter Dialogisierer dargestellt – tadelnder, drohender Christus wird verschwiegen

Häu­fig wird nur ein beque­mer Chri­stus ad usum del­phi­ni prä­sen­tiert, man beschränkt sich auf die Aspek­te des barm­her­zi­gen Chri­stus  und nicht des stren­gen Chri­stus, man ver­mit­telt nur den lie­bens­wert dia­lo­gi­sie­ren­den und nicht den dro­hen­den, tadeln­den, wider­spre­chen­den Christus.

Der escha­to­lo­gi­sche Chri­stus, der rich­ten­de Chri­stus, der zu den Rebel­len sagt: „Weg von mir, ihr Ver­fluch­ten, in das ewi­ge Feu­er, das für den Teu­fel und sei­ne Engel bestimmt ist!“ (Mt 25,41), das alles wird in einer bestimm­ten, heu­te übli­chen Ver­kün­di­gung peni­bel ver­schwie­gen, so als wür­de es gar nicht oder laut der aktu­ell­sten (post­mo­der­nen) moder­ni­sti­schen Exege­se besten­falls als belang­lo­ses Relikt einer alt­te­sta­ment­li­chen Spra­che exi­stie­ren. Chri­stus ret­tet alle, er hat kei­ne Fein­de. Und den­noch spre­chen das Evan­ge­li­um und die kirch­li­che Tra­di­ti­on sowie die Hei­li­gen eine ganz kla­re Spra­che und zwar in einem genau ent­ge­gen­ge­setz­ten Sinn.

Die allgemein geübte Mißachtung von Christus ist nicht moderne, postkonziliare Exegese, sondern Häresie

Die Anwen­dung einer solch unge­recht­fer­tig­ten Dis­kri­mi­nie­rung von Chri­stus durch die Miß­ach­tung nicht geneh­mer Tex­te ist nicht Weis­heit, ist nicht moder­ne, post­kon­zi­lia­re Exege­se, son­dern Häre­sie, wie bereits die Ety­mo­lo­gie des Wor­tes sagt: à ire­sis, Wahl, gemeint ist eine will­kür­li­che, unbe­grün­de­te Wahl.

Man könn­te sich dem moder­nen Den­ken ent­spre­chend fra­gen: Hät­te Chri­stus nicht ohne die­se Pole­mik und Unnach­gie­big­keit aus­kom­men kön­nen, ohne sich so ver­haßt zu machen mit sei­nem über­zo­ge­nen Selbst­be­wußt­sein, ohne Grund für Skan­dal zu sein durch sei­ne Über­tre­tung hoch­ge­hal­te­ner Tra­di­tio­nen, konn­te er nicht dar­auf ver­zich­ten, sich auf­zu­re­gen und vor allem die Obrig­kei­ten zu belei­di­gen? Hat er sich das Unglück des Kreu­zes letzt­lich nicht selbst zuzu­schrei­ben? Wie­so hat er es nicht wie der Bud­dha gemacht, der so ruhig und fried­lich war, daß er von allen geschätzt in Ruhe 80 Jah­re alt wer­den konn­te? Die wei­sen Hin­dus erhe­ben kei­nen Allein­ver­tre­tungs­an­spruch wie Chri­stus. Sicher, sie ver­eh­ren Brah­man, aber dann akzep­tie­ren sie irgend­wie alle Reli­gio­nen als ver­schie­de­ne Aus­drucks­for­men des Absoluten.

Und was Moham­med anbe­langt: ja sicher, er war pole­misch und kämp­fe­risch, aber letzt­lich hat er sich ja nur ver­tei­digt und sei­ne Fein­de besiegt, und wer erin­nert sich schon noch an die 800 von ihm ermor­de­ten Juden und den von ihm begon­ne­nen Hei­li­gen Krieg zur Ret­tung der Welt. Selbst die from­men Juden von heu­te, die der Tho­ra des Moses treu sind, erhe­ben nicht den Anspruch, ihre Reli­gi­on der gan­zen Welt auf­zwin­gen zu wol­len. Sie betrach­ten sie viel­mehr nur als Reli­gi­on ihres Vol­kes und ihrer Väter.

Für die Modernisten ist die Frage, wie Christus mit seinen Feinden umging, tabu

Es gäbe viel auf die­se schein­bar wei­sen und ver­nünf­ti­gen Anmer­kun­gen zu ant­wor­ten. Beschrän­ken wir uns ledig­lich auf eini­ge zen­tra­le Punk­te, um die eigent­li­che Fra­ge zu klä­ren, die nicht unbe­deu­tend ist, wenn sie sich viel­leicht auch nur weni­ge stel­len. Eine Fra­ge, wie Jesus Chri­stus mit sei­nen Fein­den umging, die die Moder­ni­sten in Ver­le­gen­heit bringt und daher für sie ein Tabu ist. Aus die­sem Grund tun sie alles, damit sie ja nicht gestellt wird. Aber uns küm­mern die Moder­ni­sten wenig. Uns inter­es­siert es, Chri­stus nach­zu­fol­gen auf dem Weg der Vervollkommnung.

Wir erken­nen zunächst vor allem den Sinn und die Not­wen­dig­keit von Jesu Streit an. Er ist Teil sei­ner Mis­si­on, den Wil­len des Vaters zu erfül­len. Jesus war unter ande­rem Lehr­mei­ster und Erzie­her, und als ein guter Lehr­mei­ster und Erzie­her kann er nicht anders als sei­ne Jün­ger oder sei­ne Kin­der zu kor­ri­gie­ren, wenn es not­wen­dig ist und zu tadeln, wenn sie es verdienen.

Er kann nicht anders, als sie gegen die Betrü­ge­rei­en der fal­schen Lehr­mei­ster zu ver­tei­di­gen, indem er die­sen anrü­chi­gen Gestal­ten droht. Und manch­mal ist dafür Stren­ge und Beschimp­fung not­wen­dig. Wenn die Fein­de sich nicht besin­nen und umkeh­ren, kann es auch not­wen­dig sein, sie zu erschrecken. Und wenn sie so hoch­mü­tig sind, daß sie nicht ein­mal erschrecken, dann um so schlim­mer für sie. Ihre Nie­der­la­ge wird noch viel bren­nen­der sein. Auch die­se extre­men Metho­den kön­nen gut tun, und dazu füh­ren, zumin­dest das Wir­ken des Fein­des zu hem­men, wie alle gro­ßen Leh­rer und Erzie­her der Geschich­te wissen.

Christus sagte von sich nichts als die Wahrheit und dies allein mit dem Ziel, die Menschheit zu retten

Zwei­tens: es ist wahr, daß Chri­stus irri­tiert hat und Anlaß für Skan­dal war, weil er sich Eigen­schaf­ten zusprach, die allein Gott zukom­men. Es ist klar, daß ein sol­ches Ver­hal­ten durch ein rein mensch­li­ches Wesen der hel­le Wahn­sinn wäre, eine Form extre­men Hoch­muts und wahn­wit­zi­ger Anma­ßung. Aber Jesus, der wirk­lich Got­tes Sohn war, sag­te von sich selbst nichts ande­res als die Wahr­heit, und das – was wich­tig ist – nicht aus irgend­ei­ner Form von Eitel­keit, son­dern ein­zig und allein mit dem Ziel, die Mensch­heit zu ret­ten. Nur Gott kann der Ret­ter der gan­zen Mensch­heit sein, aber die­ses Heil besteht dar­in, „den Sohn zu erken­nen und Jenen, der ihn gesandt hat.“

Drit­tens, ange­mes­se­ne Stren­ge hat nichts mit einem irra­tio­na­len oder lei­den­schaft­li­chen Wut­aus­bruch zu tun, son­dern erwächst aus der Lie­be und der Gerech­tig­keit. Es ist daher undenk­bar, daß Chri­stus, wie man­che unsin­ni­ger­wei­se sagen, gegen­über sei­nen Fein­den „aus­fäl­lig“ gewor­den sei und sie belei­digt habe, so als könn­te der Sohn Got­tes die „Fas­sung ver­lie­ren“ und sei­ne Lei­den­schaf­ten oder die Wor­te nicht zügeln. Nichts von alle­dem: Chri­stus nimmt die­ses star­ke und ener­gi­sche Ver­hal­ten – jene Tugend, die das Evan­ge­li­um „παρρησία“ (Par­r­he­sie) nennt – bei völ­li­ger Kon­trol­le sei­ner Emo­tio­nen ein, bei völ­li­ger gei­sti­ger Klar­heit und aus­schließ­lich zum Wohl der Per­so­nen, die er tadelt. Das ist im übri­gen genau der Stil der Propheten.

Wenn wir Kindes Gottes sein wollen, müssen wir uns den Irrtümern und Sünden der Welt widersetzen

Vier­tens: Chri­stus sagt uns klar und deut­lich, wenn wir sei­ne Jün­ger sein und mit ihm an der Ret­tung der Welt mit­wir­ken wol­len, dann müs­sen auch wir den Mut haben, unse­re Iden­ti­tät als Kin­der Got­tes zu zei­gen, indem wir uns den Irr­tü­mern und Sün­den der Welt für deren Rei­ni­gung und Ret­tung wider­set­zen auch um den Preis, wie Selbst­ge­rech­te zu erscheinen.

Dar­aus folgt eine letz­te Kon­se­quenz: Wir müs­sen den scha­len, ergeb­nis­lo­sen und zwei­deu­ti­gen Dia­log­kult unse­rer Tage kor­ri­gie­ren, eine Pra­xis, die, wenn wir das Vor­bild von Chri­stus ernst neh­men, ganz und gar nicht christ­lich ist und unter des­sen Deck­man­tel von Freund­lich­keit und Tole­ranz sich ein beschä­men­der Oppor­tu­nis­mus und ein Dop­pel­spiel ver­steckt, das eines wah­ren Jün­gers Chri­sti abso­lut unwür­dig ist.

Wenn wir von uns wirk­lich sagen wol­len, sei­ne Jün­ger zu sein, dann müs­sen wir in einer Art mit den Men­schen unse­rer Zeit spre­chen, die wenn nötig – und wir hof­fen natür­lich, daß dies sel­ten der Fall ist –  auch har­te und muti­ge Töne gebraucht, auch auf die Gefahr hin, Ver­fol­gung zu erlei­den oder sogar zum Preis unse­res Lebens. Wenn Chri­stus sich damit begnügt hät­te, es wie Bud­dha oder Moham­med zu machen, gäbe es kein Myste­ri­um cru­cis, das der Weg und das Unter­pfand für unser ewi­ges Heil ist.

Text: Per­so­na e Libertà
Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Stu­dio Domenicano

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