Franziskus? Ein barmherziger Papst ohne Abstriche in der Glaubenslehre – Gespräch mit Kardinal Cipriani Thorne


2005 vor Beginn des Konklave Vordergrund Kardinal Bergoglio Hintergrund Kardinal Cipriani Thorne, Papst setzt durch schlichte Gesten neue Zeichen, an Glaubenslehre wird sich nichts ändern(Lima) Der Erz­bi­schof von Lima, Juan Luis Kar­di­nal Cipria­ni Thor­ne gab Andrés Bel­tra­mo àlvarez ein Inter­view für Vati­can Insi­der über den neu­en Pon­ti­fex, Papst Fran­zis­kus, des­sen Per­sön­lich­keit und eini­ge Aspek­te, die sich in den Gene­ral­kon­gre­ga­tio­nen vor dem Kon­kla­ve abzeich­ne­ten. Der Kar­di­nal, der dem Opus Dei ange­hört, gilt als kon­ser­va­ti­ver Fels im latein­ame­ri­ka­ni­schen Episkopat.
Das am 18. April 2005 bei der Mes­se Pro Eli­gen­do Roma­no Pon­ti­fi­ce im Peters­dom auf­ge­nom­me­ne Bild zeigt im Vor­der­grund den dama­li­gen Kar­di­nal Jor­ge Mario Berg­o­glio und dahin­ter den Erz­bi­schof von Lima, Kar­di­nal Cipria­ni Thorne.

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Wie ist die Wahl eines latein­ame­ri­ka­ni­schen Pap­stes herangereift?

Es herrsch­te ein gro­ßer Drang unter den Kar­di­nä­len, daß der Nach­fol­ger Bene­dikts XVI. ein Latein­ame­ri­ka­ner sein soll­te. Es han­del­te sich um so etwas wie eine fixe Idee auch unter den nord­ame­ri­ka­ni­schen Kar­di­nä­len. Unter ihnen ent­stand eine „anti-ita­lie­ni­sche“ Stim­mung, des­sen Ursa­che ich nicht zu benen­nen wüß­te und die ich nicht tei­le. Die­ser Geist hat sich dann auch auf eini­ge ita­lie­ni­sche Pur­pur­trä­ger aus­ge­wei­tet. Die­ser Umstand und das zah­len­mä­ßi­ge Gewicht der latein­ame­ri­ka­ni­schen Katho­li­ken haben dann die Suche nach einem Kar­di­nal aus die­sem Kon­ti­nent eingeleitet.

War­um wur­de er gewählt?

Er ist ein Mann weni­ger, ein­fa­cher Wor­te und mit einer tie­fen Spi­ri­tua­li­tät. Wir alle wer­den lang­sam sei­ne Fähig­keit zur Kon­tem­pla­ti­on und sei­nen fast mysti­schen Geist ent­decken. Er ist auch mit einer sehr star­ken Per­sön­lich­keit aus­ge­stat­tet: fähig Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, ganz selb­stän­dig, ein Mann der Tat, der gleich­zei­tig immer das Wesent­li­che des Lebens lieb­te. Ich glau­be, daß er Ent­schei­dun­gen tref­fen wird, die die Kir­che auf den Weg des Gebets brin­gen wer­den. Er ist so gemacht und zeigt es auch. Das dazu, was sei­ne Gesten betrifft. Auf der dok­tri­nel­len Ebe­ne aber, so glau­be ich, wer­den wir eine Kon­ti­nui­tät mit Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. erleben.

Wird er also das Rich­ti­ge zu ent­schei­den wissen?

Ich den­ke ja; wir wer­den für ihn beten. Er wird sei­ne Ent­schei­dun­gen tref­fen, aber er braucht noch Zeit. Revo­lu­tio­nen wird er aber kei­ne machen.

Vie­len sehen ihn aber wie einen Revolutionär.

Man darf sich eines Pap­stes nicht nach ideo­lo­gi­schen Denk­mu­stern bemäch­ti­gen. Er steht abso­lut über die­sen. Er hat die Idee einer armen Kir­che und einer Kir­che für die Armen ange­sto­ßen. Man darf das aber nicht in einem ideo­lo­gi­schen Rah­men inter­pre­tie­ren, wie es zum Bei­spiel jene der Befrei­ungs­theo­lo­gie tun. Das hie­ße einen Men­schen mit einer enor­men intel­lek­tu­el­len Fähig­keit unan­ge­mes­sen zu redu­zie­ren, des­sen Lie­be zu Chri­stus ihn bis zu den Quel­len des christ­li­chen Gei­stes führt.

Eini­ge Kri­ti­ker sagen, daß in sei­nen Gesten die Absicht bestehe, das Papst­tum zu „ent­sa­kra­li­sie­ren“. Ist dem so?

Man darf nicht die Natür­lich­keit des Pap­stes im Umgang mit den Men­schen mit sei­ner Ver­ant­wor­tung als Stell­ver­tre­ter Chri­sti ver­wech­seln. Ich den­ke, daß ihm die­se bei­den unter­schied­li­chen Ebe­nen sehr klar bewußt sind. Er will nicht ent­sa­kra­li­sie­ren, er ist ein­fach nur in sei­nen Gesten ein­fach. Es ist nicht leicht von einer gan­zen Rei­he pro­to­kol­la­ri­scher Pflich­ten und Not­wen­dig­kei­ten ein­ge­sperrt zu sein, die einen dazu brin­gen kön­nen, zu sagen: „Nehmt mir nicht die Frei­heit!“ Er ist ein zutiefst frei­er Mensch und mit der Hil­fe aller wird er auf dem rech­ten Weg vor­an­schrei­ten. Die Men­schen wol­len die Nähe des Pap­stes, aber sie wol­len noch mehr auch das päpst­li­che Amt.

Wird sei­ne Wahl in Latein­ame­ri­ka auch poli­ti­sche Aus­wir­kun­gen haben?

Der Papst hat den Jour­na­li­sten bereits gesagt, daß die Mis­si­on der Kir­che nicht eine poli­ti­sche ist. Zwei­fels­oh­ne ist die Kir­che in Latein­ame­ri­ka Teil unse­rer Kul­tur, aber manch­mal gibt es poli­ti­sche Bewe­gun­gen, die das Volk von sei­nen Tra­di­tio­nen zu tren­nen ver­su­chen. Es sind die Poli­ti­ker, die manch­mal ver­su­chen die katho­li­schen Wur­zeln unse­rer Völ­ker aus­zu­rei­ßen. Die Her­kunft des Pap­stes aus Latein­ame­ri­ka muß uns zu einem ver­stärk­ten Ver­ant­wor­tungs­be­wußt­sein füh­ren und zu einer Freu­de, wenn wir die der­zei­ti­ge Reak­ti­on der Poli­ti­ker auf die­ses Pon­ti­fi­kat sehen.

Als Johan­nes Paul II. gewählt wur­de, löste allein schon die­se Tat­sa­che in der poli­ti­schen Klas­se Polens und des Ostens Äng­ste aus. Gibt es auch in Latein­ame­ri­ka hoch­ran­gi­ge Per­sön­lich­kei­ten, die nun zittern?

Wir dür­fen den Poli­ti­kern nicht sagen, daß sie Angst haben müs­sen. Im Gegen­teil, ich wür­de ihnen sagen, heu­te müs­sen wir den Glau­bens­schatz ver­tei­di­gen, der in Latein­ame­ri­ka exi­stiert. Der Papst wird es tun, davon bin ich über­zeugt: er wird die Fami­lie ver­tei­di­gen, die Ehe zwi­schen Mann und Frau, das Recht der Kir­che auf Reli­gi­ons­un­ter­richt. Er wird die geist­li­chen Reser­ven, die unse­ren Kon­ti­nent aus­zeich­nen gegen säku­la­ri­sti­sche und feind­li­che Ten­den­zen stär­ken, die nur den Kon­flikt suchen. Fran­zis­kus ver­langt viel Kohä­renz: wenn du betest und an die Sakra­men­te glaubst, wie kannst du dann steh­len? Wie kannst du dei­ne Frau ver­las­sen? Wie kannst du lügen? Wie kannst du töten? Der Papst wird dies mit gro­ßer Barm­her­zig­keit und einer direk­ten und glaub­wür­di­gen Spra­che zu sagen wissen.

Wird es eine gro­ße Latein­ame­ri­ka­rei­se geben?

Ich habe ihn bereits nach Peru ein­ge­la­den, ver­ste­he aber, daß es noch zu früh ist, eine Ant­wort zu erhal­ten. Jetzt, nach Ostern, muß er sei­ne Mann­schaft bil­den und dann wird er ent­schei­den, ob er rei­sen wird oder nicht. Wir kön­nen aber sagen, daß die­se uner­war­te­te Wahl eini­ge neue Ele­men­te auf den Tisch gebracht hat: die Authen­ti­zi­tät des Glau­bens, die Mystik, das Kei­ne-Angst-Haben. Mit der Hil­fe aller kann Fran­zis­kus ein Segen für die Kir­che sein. Zusam­men mit der latein­ame­ri­ka­ni­schen Freu­de ist es unse­re Ver­ant­wor­tung, ihm bei der Erfül­lung sei­ner Mis­si­on zu helfen.

Text: Vati­can Insider/​Giuseppe Nardi
Bild: Mar­co Longari

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