(Vatikan) Den Menschen gefällt Papst Franziskus. Das ist eine Gnade für die Kirche. Die sichtbar zur Schau gestellte Demut und Bescheidenheit des neuen Papstes finden hingegen nicht ungeteilte Zustimmung. Sie konstruieren einen unangemessenen Gegensatz, als wären die Päpste zuvor nicht demütig gewesen. Man lese die Testamente der verstorbenen Päpste nach und beachte noch einmal die Demut und Sparsamkeit Benedikts XVI., der die vorhandenen Gewänder nützte, wie durch die darauf abgebildeten Papstwappen unschwer erkennbar ist.
Entscheidender als der schnelle und einfache Beifall mancher für die Bescheidenheit ist, daß der Papst mehr Gehör findet und sich Verstand und Herz der Menschen umfassender für die christliche Botschaft öffnen. Dann wäre auch seiner jüngsten Entscheidung Applaus zu zollen, nicht in den Apostolischen Palast oder besser gesagt, die päpstliche Wohnung einzuziehen. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit solcher demonstrativer Akte bleibt im Raum stehen.
Stimmt es, daß der neue Papst im Hotel wohnt?
Das wurde ich unlängst gefragt. Die Frage kam so überraschend, daß ich drauf und dran war, sofort mit einem empörten Nein zu antworten. Ich habe aber geschwiegen und das war besser so. Er wohnt nämlich wirklich im Hotel.
Ist es aber „besser“ wenn ein Papst in einem Hotel wohnt, statt in seinem eigenen Haus? Der Papst bewohnt nach wie vor die Suite im Domus SanctঠMartà¦, die er als Kardinal am Beginn des Konklave bezogen hatte. Es handelt sich um das unter Johannes Paul II. erbaute Gästehaus des Vatikans und damit gewissermaßen das Hotel des Zwergstaates. Richtig bewußt wurde das, als nach der Papstwahl einer staunenden Öffentlichkeit berichtet wurde, der neue Papst habe zunächst einmal die offene Rechnung im Gästehaus bezahlt. Die Kardinäle müssen für ihre Unterbringung während des Konklaves im Vatikan bezahlen?
Apostolischer Palast großteils für Allgemeinheit zugänglich
Der Apostolische Palast geht bereits auf die Spätantike zurück. Die ältesten heute sichtbaren Teile entstanden im Hochmittelalter. In seine weltweit bekannte Gestalt wurde er zwischen 1508 und 1519 durch Antonio da Sangallo gebracht. Die ausgedehnte Anlage zählt 1400 Räume und Säle, die im Laufe der Jahrhunderte durch die größten Künstler der Welt von Raffael über Michelangelo bis Bramante und unzählige andere ausgestaltet wurden.
Heute sind in großen Teilen des Palastes die Vatikanischen Museen untergebracht und für das Publikum, also die Allgemeinheit geöffnet, so auch die Stanzen des Raffael, die Wohnung Papst Alexanders VI. Borgia und die berühmte Sixtinische Kapelle. Im weitläufigen Palast sind zudem eine ganze Reihe vatikanischer Behörden und Teile der Römischen Kurie untergebracht, so die Präfektur des Apostolischen Hauses, der seit kurzem Kurienerzbischof Georg Gänswein vorsteht, das Amt für die liturgischen Zelebrationen des Papstes, das Msgr. Guido Marini leitet, dann auch die großartige Apostolische Bibliothek und vor allem das sagenumwobene Päpstliche Geheimarchiv mit seinen atombombensicheren Tresorräumen.
Der Apostolische Palast des Vatikans ist seit dem Hochmittelalter die offizielle Residenz des Papstes in seiner Stellung als Kirchenoberhaupt. Im Gegensatz dazu war der päpstliche Quirinalspalast die Residenz des Papstes als Staatsoberhaupt des Kirchenstaates. Nachdem italienische Truppen gewaltsam dem Papst die Kirchenstaaten entrissen hatten, residierten dort ab 1870 die italienischen Könige. Seit 1946 bewohnt der italienische Staatspräsident den Palast am Quirinal.
Die von den Päpsten bewohnten Teile des vatikanischen Palastes variierten im Laufe der Zeit. Manche können im Rahmen der Vatikanischen Museen besichtigt werden. In der jüngeren Neuzeit bewohnten die Päpste einen Teil des zweiten Stockes, in dem Leo XIII. als letzter Papst wohnte und starb. Die Räume sind unverändert geblieben, aber nicht zugänglich. Der heilige Papst Pius X. zog 1903 in die genau darüber gelegenen Räume des dritten Stockes. Dort lebten und starben seither alle Päpste bis zum 28. Februar 2013, dem Rücktritt von Benedikt XVI.
Nur zehn von 1400 Räumen bilden Privatwohnung des Papstes – Die Hälfte ist Kapelle
Worin bestehen die päpstlichen Gemächer, die der neue Papst so demonstrativ ablehnt? Die Wohnung des Papstes besteht aus zehn Räumen: einem Vorraum/Gang, einem kleinen Büro für die päpstlichen Sekretäre, einer Bibliothek/Besprechungsraum, einem Arbeitszimmer des Papstes, einer Privatkapelle, die den weitaus größten Platz einnimmt, einem Badezimmer, einem Arztzimmer für Notfälle, einem Eßzimmer, einem kleinen Wohnzimmer und einer Küche (die graphische Darstellung oben zeigt den ungefähren Zustand der Papstwohnung am Ende des Pontifikats von Johannes Paul II.).
2006 waren nach Jahrzehnten alle Stromleitungen und die Küche erneuert worden. In den 1930er Jahren waren im Anschluß an die päpstlichen Räume einige Mini-Appartements für die Mitglieder des päpstlichen Haushaltes geschaffen worden. Während des Pontifkats von Benedikt XVI. stand auch dessen Bruder Georg ein solches zur Verfügung.
Die Räume sind den Maßstäben des 16. Jahrhunderts entsprechend recht geräumig, aber ausgesprochen bescheiden, um nicht zu sagen altmodisch eingerichtet, weil Päpste nicht mit der Mode gehen. Wem würde schon die Schlafzimmereinrichtung von Benedikt XVI. gefallen? Er nahm sie in Demut an.
Päpstliche Wohnung inzwischen verkleinert – Im Hotel wirkt alles improvisiert und provisorisch
Nach dem Aufbrechen der Siegel, die beim Tod eines Papstes (im konkreten Fall nach dem nicht wirklich nachvollziehbaren Rücktritt von Benedikt XVI.) an der päpstlichen Wohnung angebracht werden, erklärte der neue Papst, daß ihm die Papstgemächer zu groß seien. Er blieb im Gästehaus und die päpstliche Wohnung wurde, wohl nach seinen Vorgaben umgebaut. Die Effizienz der vatikanischen Handwerker ist bekannt. Die Umbauarbeiten sind seit vergangener Woche abgeschlossen. Der neue Hausherr hatte es sich inzwischen jedoch anders überlegt. Er will auch in die verkleinerte Wohnung nicht einziehen, sondern im Hotel bleiben, wo er seine Mitarbeiter empfängt und auch die Staatsgäste wie Argentiniens Staatspräsidentin Kirchner oder den Jesuitengeneral.
Ist es billiger in einem Hotelzimmer zu wohnen als in der eigenen Wohnung? Und die Kosten für die Umbauarbeiten? Für den persönlichen Sekretär, das päpstliche Sekretariat, die anderen Mitarbeiter einschließlich der Sicherheitskräfte mußten Räume im Domus eingerichtet werden. Alles wirkt improvisiert, provisorisch und damit unstet, so als wäre der neue Papst nur vorübergehend Vertreter Christi oder jedenfalls nur vorübergehend in Rom.
Papsttum braucht Kontinuität nicht Aktionismus
Hinzu kommt die unweigerliche Frage, ob es wirklich angemessen ist, daß der Papst in einem Hotel hofhält, wo andernorts im Vatikan alle entsprechenden Räumlichkeiten zur Verfügung, ja inzwischen leer stehen. Er empfängt Einzelpersonen und kleinere Gruppen im Gästehaus. Manche Gäste des Vatikans wohnen quasi Suite an Suite mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche, das sie aufsuchen. Der Papst verwendet allmorgendlich denselben allgemeinen Speisesaal wie die anderen im Haus untergebrachten Gäste. Ist diese fast kumpelhafte Nähe aber angebracht? Was soll sie bringen, außer den Eindruck eines exaltierteren Aktionismus zu vermitteln?
Was die Kirche braucht, ist eine immer neue Form der Verkündigung. Johannes Paul II. war ein philosophischer Denker, Benedikt XVI. ein theologischer Denker. Franziskus könnte vor allem pastoral neue Akzente setzen. Viel wäre schon gewonnen, wenn er dafür sorgen würde, daß die Dokumente der vatikanischen Behörden in eine allgemein zugängliche Sprache umgesetzt würden. Der Papst hat zu bewahren und sicherer Hort der Stabilität und der Kontinuität zu sein, um so mehr in einer unruhigen, kurzlebigen Zeit, während die Katechese eine immer neue Übersetzung in die Sprache der Zeit braucht.
Papst Benedikt XVI. strahlte die Würde in Person aus. Die Körperhaltung der Menschen ist verschieden, wie eben die Menschen verschieden sind. Das sah man auch bei der ungewöhnlichen, ja befremdlichen Begegnung zweier Päpste jüngst auf Castel Gandolfo, was keine Wertung sein soll.
Papst Johannes Paul II. war ein ausgesprochen populärer und zugänglicher Papst, der wie kein Papst zuvor die Nähe zu den Menschen suchte. Eine Nähe, die Benedikt XVI. aufgrund seines Alters in dem Maße nie möglich war. Johannes Paul II. strahlte bei dieser größtmöglichen Nähe immer eine große innere Würde aus, die für das Amt des Papstes von besonderer Bedeutung ist. Nicht der Person des jeweiligen Amtsinhabers wegen, aber des Amtes wegen, als Vikar Christi. Papst Franziskus vermittelt noch immer eher den Eindruck eines sympathischen Dorfpfarrers.
Der Papst ist ein Vater, er ist in Stellvertretung Christi der Vater aller Gläubigen, aller Getauften und der ganzen Menschheit. Er ist der oberste Priester, er verwaltet die gnadenvermittelnden Sakramente, er steht an der Stelle des einzigen Retters und Heilands, nach dem die Menschheit zu allen Zeiten sehnsüchtig dürstet. Zu ihm wollen und sollen die Menschen aufschauen, weil sie etwas von jener anziehenden Wahrheit spüren, die Christus begleitete und die so viele Menschen, wie uns die Heilige Schrift überliefert, wahrnahmen, auch die Blinden, wenn er in ihre Nähe kam.
Domus SanctঠMartঠneuer Apostolischer Palast?
Daß ein Staatsoberhaupt und das Kirchenoberhaupt der größten Religionsgemeinschaft der Welt in einem Hotel residiert, ist fürwahr etwas Neues. Der Apostolische Palast ist heute gewissermaßen das Gästehaus des Vatikans. Denn als Apostolischer Palast gilt eigentlich das Gebäude, in dem der Papst wohnt.
Ob es gut oder sogar besser ist, als die bisherige Regelung, darf zumindest hinterfragt werden. Und wen begeistert es letztlich, wenn ich jemandem sagen kann, mein Papst, das Oberhaupt der Kirche, dem Christus die Schlüssel zum Himmelreich für mein und dein dramatisches Lebens mit allen Höhen und Tiefen anvertraut hat, wohnt nun „aus Demut“ in einem Hotel.
Ja, etwas Neues ist das schon. Ein Aha-Erlebnis ist es nicht. Ist es nicht vielmehr kurzlebiger Aktionismus in einer noch kurzlebigeren Zeit, die schnell applaudiert und ebenso schnell vergißt? Das Papsttum aber ist zeitlos, ewig, bis zum Ende der Zeiten.
Bild: Gente v. 5/5/2005