(Paris) Nouvelles de France veröffentlichte am Freitag ein Interview mit dem Generaloberen der Priesterbruderschaft St. Pius X. In deren Umfeld heißt es, der Präfekt der Glaubenskongregation, Kurienerzbischof Gerhard Ludwig Müller habe der Bruderschaft eine Art Ultimatum gestellt. Bis zum 22. Februar, dem Fest Petri Stuhlfeier, soll die Bruderschaft auf die ihr am 13. Juni 2012 von Müllers Amtsvorgänger Kardinal Levada übergebene Fassung der „Doktrinellen Präambel“ antworten. Sollte keine Antwort in Rom einlangen, werde Rom an jeden Priester der Bruderschaft einzeln mit diesem Einigungsangebot herantreten. Die Vorgangsweise Müllers verhärtet die Fronten nicht unbedingt, da eine Antwort nicht auf unbestimmte Zeit verzögert werden konnte.
Das Interview ist unter besonderer Berücksichtigung der unerwarteten Ankündigung Benedikts XVI. zu lesen, zum Monatsende zurückzutreten. Der Generalobere der Piusbruderschaft scheint dem abtretenden Papst eine Botschaft zu übermitteln, vor dem Amtsverzicht noch eine wohlwollende und großmütige Geste gegenüber der Bruderschaft zu setzen, durch die das Nadelöhr von Präambeln und zu unterschreibenden Dokumenten vermieden werden könnte. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel die Rücknahme der kanonischen Sanktionen und Restriktionen gegen die Priester der Bruderschaft und deren Ausübung ihres Priestertums.
Einen vergleichbaren Schritt setzte Benedikt XVI. bereits, als er die Aufhebung des Exkommunikationsdekrets gegen die Bischöfe der Bruderschaft anordnete. Ein Schritt, der auf ein einfaches Schreiben des Generaloberen erfolgte, mit dem er um die Aufhebung bat und die Treue der vier Bischöfe zum Papst bekannte. Könnte sich nicht in dieser Ausnahmesituation, in der sich die Kirche und das Papsttum durch den ungewöhnlichen Schritt Benedikts XVI. befindet, ähnliches wiederholen? Das scheint die Frage, die Bischof Fellay in den Raum stellt, vor allem angesichts des allgemein bekannten Wunsches Benedikts XVI., die von ihm schmerzlich empfundene Spaltung zu überwinden. Ein Gedankenspiel, das denkbar erscheint, wenn die in diesen Tagen erwartete Antwort der Bruderschaft an Rom ausreichend „römisch“ ausfallen sollte, um dem Papst die Möglichkeit zu einer besonderen Geste zu bieten. Dies vor allem, da das zurücktretende Kirchenoberhaupt sich nicht mehr um ein mögliches Geheul progressiver Kreise kümmern muß und der Ausschluß von Bischof Williamson einen entscheidenden Stolperstein der vergangenen Jahre ausgeräumt hat.
Monsignore, würden Sie es begrüßen, wenn der letzte wichtige Akt Papst Benedikts XVI. die Wiedereingliederung der Priesterbruderschaft St. Pius X. wäre?
Für einen Moment habe ich gedacht, daß Benedikt XVI. mit der Ankündigung seines Rücktritts uns gegenüber vielleicht eine Geste setzen würde. Letztlich erscheint es mir aber schwierig, daß dies möglich sein wird. Wahrscheinlich wird man den nächsten Papst abwarten müssen. Ich sage Ihnen, auch auf die Gefahr hin, Sie zu überraschen, daß es wichtigere Probleme für die Kirche gibt, als die Priesterbruderschaft St. Pius X., und werden diese gelöst, wird in gewisser Hinsicht auch das Problem der Bruderschaft gelöst.
Einige sagen, die Piusbruderschaft möchte, daß Rom die ordentliche Form des Römischen Ritus für unerlaubt erklärt: können Sie uns diesen Punkt erhellen?
Wir wissen gut, daß es sehr schwierig ist, von den Autoritäten die Verurteilung der neuen Messe zu erwarten. In Wirklichkeit wäre es bereits ein großer Schritt, wenn das, was korrigiert werden müßte, auch korrigiert würde.
In welcher Hinsicht?
Man könnte es mit einer Instruktion der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung tun. Schließlich ist das nicht so kompliziert. Ich denke, daß wegen der schwerwiegenden und gefährlichen Mängel, die diesen Ritus verurteilenswert machen, bedeutende Veränderungen vorzunehmen wären. Die Kirche könnte diese wichtigen Korrekturen problemlos, ohne Gesichts- oder Autoritätsverlust durchführen. Aber jetzt sehe ich den Widerstand einiger Bischöfe gegen die legitime Absicht des Papstes, im Meßkanon die Übersetzung pro multis mit „für viele“ und nicht „für alle“ zu korrigieren, einer Falschübersetzung, die sich in einigen Sprachen findet.
Wünschen Sie eine Revision des Zweiten Vatikanischen Konzils?
Was das Zweite Vatikanum betrifft, halten wir es wie bei der Messe für notwendig, eine Reihe von Punkten, die falsch sind oder zum Irrtum führen, zu klären und zu korrigieren. Dennoch erwarten wir uns nicht, daß Rom das Zweite Vatikanum so schnell verurteilt. Rom kann aber die Wahrheit verkünden und diskret die Irrtümer korrigieren und die Autorität bewahren [Das ist genau das, was Benedikt XVI. gestern mit seiner Verurteilung des „virtuellen Konzils“ getan hat]. Wir sind überzeugt, daß die Bruderschaft ihren Baustein zum Haus des Herrn beiträgt, in dem sie einige umstrittene Punkte aufzeigt.
Im Klartext, Sie wissen daß die Forderungen der Piusbruderschaft nicht von heute auf morgen erfüllt werden.
Sicher, ich denke aber, daß sie es schrittweise werden. Und es wird der Moment kommen, an dem die Situation akzeptabel wird und wir einverstanden sein können, auch wenn das heute noch nicht der Fall zu sein scheint.
Sie haben Benedikt XVI. bereits in den ersten Monaten seines Pontifikats getroffen. Können Sie uns in jenem Augenblick ihr Empfinden ihm gegenüber beschreiben?
Ich kann sagen, daß ich einem Papst begegnet bin, der den ehrlichen Wunsch hatte, die Einheit der Kirche zu erreichen, auch wenn wir nicht imstande waren, uns zu einigen. Aber, glauben Sie mir, ich bete jeden Tag für ihn.
Was war Ihrer Ansicht nach der wichtigste Akt seines Pontifikats?
Ich denke, daß dies ohne jeden Zweifel die Veröffentlichung des Motu proprio Summorum Pontificum ist, das den Priestern der ganzen Welt die Freiheit gibt, die überlieferte Messe zu zelebrieren. Er hat dies, das muß man sagen, mit Mut gegen Widerstände getan. Ich denke, daß dieser Akt auf lange Sicht sehr gute Früchte bringen wird.
Text und Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: MiL