(Köln) „Spielen die deutschen Bischöfe Foul, indem sie die römische Sedisvakanz ausnützen?“ Diesen Eindruck vermitteln sie zumindest, wie der spanische Kirchenhistoriker Francisco de la Cigoña schreibt. Obwohl der Stuhl Petri erst am 28. Februar frei wird, bestehe kaum ein Zweifel, daß in diesen letzten Tage des Pontifikats Benedikts XVI., die durch die Fastenexerzitien geprägt sind, kaum noch große päpstliche Entscheidungen zu erwarten sein werden. „Wir erleben also für einen Monat eine Kirche ohne Oberhaupt“, so de la Cigoña.
„Es wirkt geradezu erbärmlich, daß die deutschen Bischöfe diese Zeit ausnützen könnten, um die ‚Pille danach‘ einzuführen und den nächsten Papst vor vollendete Tatsachen zu stellen“, kommentierte der Kirchenhistoriker jüngste deutsche Ereignisse. Kaum gibt der Papst seinen Rücktritt bekannt, nützten deutsche Bischöfe die Gelegenheit einer Semi-Sedisvakanz und bald der Sedisvakanz, um den „nicht verhandelbaren Werten“ den Rücken zu kehren? Alles begann durch einen medial unter Verzerrung der Fakten hochgespielten Vergewaltigungsfall in Köln. Vergewaltigungsfälle machen nur Promillbereiche am Gesamtkomplex Abtreibung aus, stellen aber seit Beginn der Abtreibungsdebatte das Brecheisen dar, mit dem die Abtreibungslobby das Lebensrecht auszuhebeln versucht. Und dies sehr erfolgreich. Ein marginaler Ausnahmefall wird zum Maßstab für die Gesamtfrage umfunktioniert, weil er als Moralkeule gegen Lebensschützer eingesetzt werden kann. Im Drang, sich gegen medial orchestrierte Angriffe gegen Einrichtungen der Erzdiözese Köln zu verteidigen, tappte Erzbischof Joachim Kardinal Meisner selbst in die Abtreibungsfalle, indem er sich auf angebliche Forschungsergebnisse ausgerechnet der Abtreibungslobby stützte. Seither steht die Frage im Raum, ob er einfach nur schlecht beraten war oder ob es sich um eine tatsächliche Richtungsänderung in der katholischen Kirche in Deutschland handelt. Vielleicht, um endlich aus dem lästig gewordenen Korsett des Lebensschutzes ausbrechen zu können, das so wenig dem „modernen Lebensgefühl“ zu entsprechen scheint und noch weniger den längst geltenden gesetzlichen Bestimmungen.
Die Vergewaltigungsfalle scheint nun den Abtreibungskeil auch in die katholische Kirche zu treiben. Von den deutschen Bischöfen war bisher nämlich keine Kritik an Meisners Ausritt zu hören. Mit Nuancen kam vom Erzbischof von Berlin, Kardinal Woelki, bis zum Essener Bischof, Kardinal Lehmann Zustimmung. Es scheint, als sei sich die Mehrheit der deutschen Bischöfe darin einig, den unerwarteten Rücktritt Benedikts XVI. als Gelegenheit zu nützen, um sich in einer zentralen ethischen Frage von der römischen Position abzusetzen. Das ist nicht neu. Seit der „Königsteiner Erklärung“ von 1968 als Antwort auf die prophetische Enzyklika Humanae vitae Papst Pauls VI. befinden sich die deutschen Bischöfe im Widerspruch zu Rom. Eine Wunde des Ungehorsams, die bis heute nicht geheilt wurde.
Die Ergebnisse der genannten Studie, so der spanische Kirchenhistoriker, seien sicher zu untersuchen. Die von der Abtreibungslobby vorgelegten Ergebnisse allein genügen aber nicht. Sie müssen erst bestätigt werden. Und selbst dann sind immer noch eine ganze Reihe anderer Aspekte zu berücksichtigen, von der verhütenden Wirkung, über die Gewaltanwendung bis zur Offenheit für das Leben, um eine Entscheidung treffen zu können.
„Eine Entscheidung, die aber weder erfolgen kann, während die Kathedra Petri vakant ist, noch über den Kopf des Papstes hinweg“, so de la Cigoña.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Fides et Forma