(Rom) In diesen Tagen gefallen sich zahlreiche Medien darin, sich gegenseitig darin zu übertreffen, wer den schmutzigsten Artikel über die Kirche und den Vatikan veröffentlicht. Wie sehr sich die Autoren und Verantwortlichen damit vor allem selbst besudeln, scheint in einem allgemein sensationslüsternen Rausch wohl nur wenigen bewußt zu werden. Die Kirche sei geprägt durch Intrigen, Geiz, Verrat und sexuelle Perversionen, die – zudem – nun Papst Benedikt XVI. zum Rücktritt veranlaßt hätten. So zumindest die vielfach in unzähligen Variationen wiederholte Behauptung. Ausgegangen ist das Halali von der linken italienischen Tageszeitung La Repubblica, die für ihre kirchenfeindlichen Positionen bekannt ist.
Das medial gezeichnete Bild entspricht dem verpfuschten Duplikat eines schlechten Kopisten, der ohne jedes Können ein großes Meisterwerk nachzuahmen versucht. Die Darstellung bietet keinen Einblick in irgendetwas, sondern „verdunkelt absichtlich die wahre Identität des Pontifikats, das zu Ende geht“ so der Vatikanist Sandro Magister, und wirft absichtlich einen Schatten auf das anstehende Konklave.
Das, was auf dem Spiel steht, sei jedoch viel zu wichtig, so Magister: „Es steht das Schicksal der menschlichen Zivilisation wie auch jedes einzelnen menschliche Lebens auf dem Spiel“. Die Reden Benedikts XVI. in Regensburg, am Collà¨ge des Bernardins, im Reichstag, seine Predigten, sein Lehramt haben eine Auseinandersetzung mit der modernen Welt von welthistorischer Bedeutung angestoßen und zwar zu den entscheidenden existentiellen und letzten Fragen, jenen, vor denen es kein Entrinnen gibt, das nicht in der Vernichtung anderer und letztlich in der Selbstvernichtung endet.
Die Zuhörer in Regensburg, Paris und Berlin, um bei den drei denkwürdigen Beispielen zu bleiben, hörten den Papst und applaudierten, doch verstanden haben ihn nur wenige. Und das lag nicht an seiner selten deutlichen und verständlichen Sprache.
In diesen Tagen wird gerne ein anderer Papst bemüht, um durch vermeintliche Analogien die journalistischen Thesen zu bestätigen. Eines Journalismus, der seine Arbeit nicht als sachliche Informationsaufbereitung versteht, sondern weitgehend als Unterhaltungskultur mißversteht und diese auch noch mit Kultur verwechselt. Das Ergebnis ist die Anhäufung von Klischees, die bedient und vermittelt werden.
Vor 500 Jahren starb genau in diesen Tagen Julius II., jener Papst, der Michelangelo rief, um die Decke der Sixtinischen Kapelle mit Fresken zu dekorieren. Er schuf einen biblischen Bilderzyklus, der zum Großartigsten gehört, was die Welt kennt. Unter diesen Fresken werden sich in wenigen Tagen die Kardinäle zum Konklave versammeln, wenn sie bis zur Wahl eines neuen Papstes dort eingeschlossen sind. Mancher Blick wird bei der Abgabe der Stimme auf die Darstellungen Michelangelos, vor allem auch auf das Jüngste Gericht an der Westseite fallen.
Auch zur damaligen Zeit war die römische Kirche voller Sünden und Sünder, wie ein entsetzter, noch ganz dem mittelalterlichen Denken verhafteter Augustinermönch names Martin Luther empfand, der in Rom bei seiner Reise in die Ewige Stadt die neue Hure Babylons zu sehen glaubte. Hier fehlt der Platz, um Luthers überzogener Meinung zu widersprechen, ohne diese aus dem historischen Kontext angemessen zu erklären.
Vor Julius II. hatte Alexander VI. auf dem Stuhl Petri gesessen, ein Spanier namens Rodrigo de Borja, dessen Sohn Cesare (der Name erinnert weniger an einen Heiligen als an den berühmten römischen Konsul) Nicolò Macchiavelli zu seinem bekanntesten Werk „Der Fürst“ anregte. Schon das mit dem Sohn eines Papstes ist zumindest erklärungsbedürftig. Durch seinen päpstlichen Onkel machte Borja früh Karriere in der Kirche als Kardinal. Seine Priesterweihe empfing er aber erst mit seiner Wahl zum Papst, weshalb er seine Kinder als Laie zeugte.
Julius II. hingegen war ein Mann der Waffen, der noch im fortgeschrittenen Alter mit dem Schwert in der Hand auf die Festung von Mirandola vorrückte. Und dennoch, als er am 21. Februar 1513 starb, sagen die Chroniken, daß seine Sterbestunde von „so großer Frömmigkeit und solcher Reue geprägt war“, daß er „ein Heiliger schien“.
Jenseits seiner Feldzüge und seiner politischen Aktionen, die er ausführte, um der Kirche die Unabhängigkeit und Freiheit gegen die politischen Mächte seiner Zeit zu sichern, war Julius II. der Bannerträger einer „theologisch und an Weisheit grandiosen Vision“ der Kirche, von einer „beispiellosen Synthese zwischen christlichem Glauben und klassischer Zivilisation, zwischen Fides und Ratio, die auf wunderbare Weise in den größten Meisterwerken Gestalt annahm, die von der ganzen Welt noch heute voll Staunen bewundert werden“.
Papst Julius II. hat dies der Welt hinterlassen. „Das ist seine wahre Identität und seine unsterbliche Botschaft“, so Magister. Am 21. Februar erinnerte Antonio Paolucci, der Direktor der Vatikanischen Museen mit einem bestechenden Portrait im Osservatore Romano an diesen Papst. Denn auch die Vatikanischen Museen waren in ihren ersten Anfängen eine geniale Idee Julius II., mit den Stanzen des Raffael im päpstlichen Palast, der Aufstellung der antiken Statuen im Belvedere-Garten durch Bramante, den Architekten seines Vertrauens.
Die Vision Julius II. wurde bis heute nicht wirklich in seinem ganzen Umfang verstanden. Eine Vision, die in zahlreichen Ansprachen und Predigten Benedikts XVI. anklang. So auch am Samstag, den 23. Februar, als er am Ende der Fastenexerzitien der Römischen Kurie das Wort ergriff und auf die ihm so wichtige Verbindung zwischen Vernunft und Kunst, zwischen Wahrheit und Schönheit zu sprechen kam, wenn dieser Verbindung auch durch das „Böse in dieser Welt, durch das Leiden, die Korruption“ widersprochen werde.
„Die mittelalterlichen Theologen übersetzten das Wort ‚Logos‘ nicht nur mit ‚Verbum‘, sondern auch mit ‚Ars‘: ‚Verbum‘ et ‚Ars‘ sind austauschbare Synonyme. Nur durch diese beiden Worte zusammen erscheint es für die mitterlalterlichen Theologen möglich, die ganze Bedeutung des Wortes ‚Logos‘ auszudrücken. Der ‚Logos‘ ist nicht eine mathematische Vernunft; der ‚Logos‘ hat ein Herz: der ‚Logos‘ ist auch Liebe. Die Wahrheit ist schön und die Wahrheit und die Schönheit gehören zusammen: die Schönheit ist das Siegel der Wahrheit“, so Benedikt XVI.
So sehr weder das Papstum eines Alexanders VI. noch eines Julius II. unseren Vorstellungen entsprechen mag, ist Tatsache, und das allein ist entscheidend, daß weder der eine noch der andere in seinem Pontifikat ein Dokument erlassen hat, das mit der überlieferten Lehre der Kirche nicht in Einklang steht.
Text: Settimo Cielo/Giuseppe Nardi
Bild: Portrait Benedikts XVI. von Sergio Favotto (favotto.it)