Die katholische französische Tageszeitung Présent veröffentlichte am 16. Februar ein Interview mit dem traditionsverbundenen Liturgiewissenschafter und Priester Claude Barthe. Abbé Barthe, einer der Initiatoren der Internationalen Wallfahrt der Tradition Una Cum Papa Nostro Anfang November 2012 nach Rom, analysiert darin die Hintergründe des bevorstehenden Rücktritts von Papst Benedikt XVI., dessen Pontifikat zwischen dem frühen Konzilstheologen Ratzinger und dem die kirchliche Restauration vorantreibenden Glaubenspräfekten hin- und hergerissen gewesen sei. Das Pontifikat habe jedoch die progressiven Kardinäle, die in das Konklave eintreten werden, auf „wenige“ reduziert, unter denen sich zudem kein „papabile“ mehr findet. Es gebe aber die „Links-Ratzingerianer“, die der Linie des frühen Ratzinger entsprechen, wie Kardinal Ginafranco Ravasi, der in dieser Schlußphase des Pontifikats dem noch regierenden Papst und der Römischen Kurie die Fastenexerzitien predigen wird und damit Aufmerksamkeit erhält. Die Progressiven, die einen letztlich „tödlichen Liberalismus“ vertreten, würden durch den Rücktritt Benedikts XVI. Morgenluft atmen, so Barthe.
Wahrscheinlicher, so der 1979 von Erzbischof Lefebvre zum Priester geweihte französische Liturgiker, der 2005 am Beginn des Pontifikats Benedikts XVI. in die volle Einheit mit Rom zurückgekehrt ist, sei jedoch die Wahl eines Vertreters der Linie des Glaubenspräfekten Ratzinger und damit des kirchlichen Wiederaufbaus nach den „Verwüstungen“. Allerdings, so Abbé Barthe, sei das Spektrum dieser Richtung sehr breit.
Wie auch immer die Wahl ausfallen werde, ein Zurück vor das Motu proprio Summorum Pontificum werde es nicht geben. Es liege jedoch vor allem an den Vertretern der Tradition, den überlieferten Ritus zu neuer Blüte zu führen. Bis zum Fest Kathedra Petri erwartet sich Rom eine Antwort der Piusbruderschaft. Die Urkunde zur Errichtung der Personalprälatur St. Pius X. könnte das Datum des 22. Februar tragen, so Abbé Barthe, und damit zum wahren Abschluß dieses Pontifikats werden.
Welches sind die Gründe [für den Rücktritt des Papstes]? Der Papst sprach von seiner Last: Können wir annehmen, daß er nicht die Unterstützung fand, die er selbst für Johannes Paul II. war?
Benedikt XVI. hat auf seine Erschöpfung angespielt. Man spricht vom besorgniserregenden Zustand seines Herzens. Man kann tatsächlich auch sagen, daß er es nicht geschafft, nicht verstanden, vielleicht auch nicht gewollt hat, eine starke Hilfe bei der Ausübung seines Amtes zu finden. Wissend, daß er ein Intellektueller von höchstem Niveau, aber kein Mann des Regierens war, hätte er die Unterstützung eines Staatssekretärs suchen können, der die Kurie unerschütterlich leitet, eines Mannes von gesunder Lehre für die Glaubenskongregation, von Kardinälen als Dikasterienleiter, die mächtige „Barone“ sind, wie dies zu Zeiten Johannes Pauls II. der Fall war, aber diesmal ratzingerianischer Barone. Statt dessen vermittelte er den Eindruck selbst zu zögern, welches die wirkliche „Linie Ratzinger“ ist, die des Konzilstheologen, der dazu beigetragen hatte die Kurie von Pius XII. zu stürzen oder die des Autors von „Zur Lage des Glaubens“, der für fast 25 Jahre als Präfekt der Glaubenskongregation versucht hat, den reißenden Wildbach des Konzils einzudämmen und der, wie man sagen kann, intellektuell den von Johannes Paul II. begonnenen Restaurationsprozeß entwickelt hat.
Die Ernennungen Benedikt XVI. für die Kurie befanden sich, zumindest in ihrer symbolischen Bedeutung, zum größten Teil auf der Linie von „Zur Lage des Glaubens“ (unter anderen: Burke, Sarah, Canizares, Ranjith: letzterer bleibt, wenn auch Tausende von Kilometern entfernt in Colombo, immer ein Mann der Kurie). Es gab aber auch Ernennungen des frühen Ratzinger, um uns zu verstehen: Hummes, für eine gewisse Zeit an die Kleruskongregation, Müller, im vergangenen Jahr an die Spitze der Glaubenskongregation, vor allem Ravasi, ein halbliberaler Exeget.
War das das Problem dieses Pontifikats, das wie ein Konzert in der Mitte der Partitur endet? Der variierende, aber scharfe Widerstand gegen den Papst versuchte ihn ständig zum moralischen Rücktritt zu drängen. Aber man hat den Eindruck, daß die „Guten“ eingeschüchtert wurden und erstarrt sind und mit ihnen der Papst.
Was wäre geschehen, wenn diese von ihm ernannten Männer, darunter einige herausragende, stellvertretenden Einfluß ausgeübt hätten, wie dies unter Johannes Paul II, gewiß, im Durcheinander, der Fall war durch die Sodanos, Res, Sandris, auf schädliche Weise, oder aber wie Medina, Castrillon, ein wirklicher Stürmer, und auch wie … Kardinal Ratzinger? Ein alter Papst, der seine Kräfte maximal schonend, fast unerreichbar wurde (der Großteil der Dikasterienleiter hatte keine regelmäßigen Gespräche mit ihm), abgeschirmt durch eine von der sympathischen Persönlichkeit des Georg Gänswein beherrschten Entourage, wollte, daß alle zu treffenden sensiblen Entscheidungen über den Schreibtisch Benedikts XVI. gehen. Und dort blieben sie monatelang liegen.
Besteht nun nicht die Gefahr eines „Bruchs“ zwischen Anhängern des alten und des neuen Papstes, wenn man das so sagen kann. Und, um es philosophischer anzugehen, die Gefahr eines Relativismus, gegen den Benedikt XVI. so oft die Stimme erhoben hat?
Die Frage setzt voraus, daß der künftige Papst nicht auf der Linie von Benedikt XVI. liegt, sondern, wenn nicht ein Progressiver, denn solche gibt es unter den ‚papabili‘ gar nicht, dann aber ein Links-„Ratzingerianer“ ist, wenn wir es so bezeichnen wollen. In diesem Fall wäre die Wahl von Gianfranco Ravasi am wahrscheinlichsten, 72 Jahre, Präsident des Päpstlichen Kulturrats, auf den sich die Stimmen der Kurienvertreter Johannes Pauls II. vereinen könnten, die entfernt wurden, zudem die Stimmen der wenigen wirklichen Progressiven und all jener der wählenden Kardinäle, die sich grob gesagt, nicht mit der restauratorischen Linie dieses Pontifikats identifizieren können.
Die Restaurationsmaschinerie, wenn man mir erlaubt, es so bildlich auszudrücken, hat aber bei den Ernennungen, der Liturgie, der Verteidigung von Summorum Pontificum nur mit 10 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit gearbeitet. Um von dem, was die Unterdrückung offensichtlicher Häresien und des latenten Schismas, das diese nach sich ziehen, gar nicht zu sprechen …
Dann allerdings würde man nicht den Progressismus, der in Wirklichkeit ein tödlicher Liberalismus ist, neu auftauchen sehen, weil er immer präsent war, aber erleben, wie dieser wieder auf allen Ebenen Leitungsfunktionen übernehmen würde. Die Erleichterung, die er seit der Rücktrittsankündigung ausstrahlt, beweist, daß er glaubt, daß nun wieder seine Stunde gekommen ist.
Ich könnte mir dann eine große Entmutigung bei einem Teil jener sogenannten lebendigen Kräfte vorstellen (die verschiedenen Strömungen der Tradition, neue Gemeinschaften, junge Priester mit römischem Kollar, berufungsstarke religiöse Gemeinschaften, Familien, Jugendbewegungen usw.), aber auch eine Niedergeschlagenheit bei den Liberalen selbst, weil ihre Rückkehr die Verwüstung in den Diözesen, Pfarreien und Orden nur noch verstärken würde.
Damit würde sich der Relativismus, gegen den Benedikt XVI. sich erhoben hat, ad intra seine Ansprüche sichern. Würde das die Gefahr eines Bruchs in der Kirche provozieren? Nicht die Gefahr, aber einen heilsamen Bruch.
Glücklicherweise ist das Szenario, das die Frage impliziert, aber nicht die einzige.
Welches wäre ein alternatives Szenario?
Die alternative Variante scheint mir viel wahrscheinlicher: ein Vertreter der Restauration vereint zwei Drittel der Stimmen im Konklave. Aber das sagt uns noch sehr wenig, weil es viele graduelle Abstufungen dieser Richtung gibt, die von Kardinal Burke bis Kardinal Schönborn, den Erzbischof von Wien reicht. Wenn sich 2005 das Konklave in die Länge gezogen hätte, hätte Kardinal Ratzinger verzichtet und zwei menschlich sehr unterschiedliche, aber auf den ersten Blick gleichgesinnte Männer hätten in den Mittelpunkt rücken können: der Kanadier Kardinal Marc Ouellet, 69 Jahre, heute Präfekt der Bischofskongregetion und Kardinal Angelo Scola, 71, heute Erzbischof von Mailand. Heute gibt es zudem auch den kämpferischen Erzbischof von New York, Kardinal Dolan, 63 Jahre, ein Mann von gleichem Profil.
Und sollte das Konklave des kommenden Monats lange dauern, warum nicht auch an einen Kardinal aus einem aufstrebenden Land denken, wie man zu sagen pflegt, zum Beispiel aus Asien? Geben wir keine Prognose ab. Wenn ich aber Kardinal wäre – eine „unmögliche Annahme“, wie jene des heiligen Franz von Sales – und angenommen, die ersten Sondierungswahlgänge würden ergeben, daß die Kandidaten, denen ich mich am meisten nahe fühle, keine Chance hätten, würde ich aus verschiedenen vernünftigen Gründen Scola wählen.
Andererseits, wenn Benedikt XVI. den Eindruck hat, daß die Situation kritisch ist (ich spreche nicht von seiner physischen Verfassung), ist dann nicht auch zu berücksichtigen, daß er es vorzieht, daß das Konklave jetzt stattfindet anstatt später?
Dem stimme ich vollkommen zu. Vor allem weil sein Schatten zwangsläufig über den Treffen der Kardinäle, die dem Konklave vorausgehen und auf dem Konklave selbst liegen wird, bei dem nicht als Wähler, aber in seiner Funktion als Präfekt des Päpstlichen Hauses, Msgr. Gänswein, teilnehmen wird.
Was wird aus dem Motu proprio Summorum Pontificum? Könnte es aufgehoben werden? Wie wird sich dieser oder andere Punkte dem nächsten Nachfolger des Petrus darstellen?
Das wichtigste Element des Motu proprio, auf dem alle seine Bestimmungen aufbauen, ist folgende Feststellung: „Demgemäß ist es erlaubt, das Messopfer nach der vom seligen Johannes XXIII. promulgierten und niemals abgeschafften Editio typica des Römischen Messbuchs als außerordentliche Form der Liturgie der Kirche zu feiern.“ Ein Partizip Perfekt (abrogatum), das von einem Temporaladverb (numquam) verneint wird. Das ist alles, aber die Konsequenzen sind kolossal. Kann man sich einen Papst vorstellen, der sagt: „Benedikt XVI. hat sich geirrt, weil Paul VI. sehr wohl das vorherige Missale abgeschafft hat“? So etwas wird nicht geschehen. Auch wenn Benedikt XVI. es tatsächlich gegenüber Paul VI. gemacht hat. Kann man sich einen Papst vorstellen, der sagt: „Ich selbst schaffe das der Reform von Paul VI. vorangehende Missale ab?“ Bis ein anderer Papst eine Abschaffung abschafft, indem er die Nicht-Abschaffung bestätigt? Und so weiter und so fort. Die Frage der Glaubenslehre ist: handelt es sich um eine im Wesentlichen abschaffbare Messe? Darauf muß ich nicht meine Antwort geben.
Es ist klar, daß ein Summorum Pontificum ablehnend gegenüberstehender Papst die Bedingungen für die öffentliche Zelebration von Messen in der außerordentlichen Form vermehren wollen könnte. Das wäre übrigens gar nicht notwendig, weil viele Bischöfe bereits gegen Geist und Buchstabe eine sehr restriktive Auslegung praktizieren. Es genügt, daß ein Papst sie darin ermutigt. Oder noch einfacher, daß er sie in ihrem Handeln einfach gewähren läßt.
Der künftige Papst kann aber Summorum Pontificum ausweiten. Auf alle Fälle müssen sich alle aller Ränge, die ihn gebrauchen, dafür einsetzen, wie sie sich nach der Reform Pauls VI. einsetzten, um die alte römische Liturgie zu neuem Leben und neuer Blüte zu führen. Es geht um die Gott zu erweisende Ehre und um das Heil der Seelen.
Was wird aus den Gesprächen und der Zukunft der Piusbruderschaft?
So unglaublich es erscheinen mag, wird sich in unmittelbarer Zukunft nichts ändern. Ich will es genauer erklären. Alle wissen inzwischen, daß die Kommission Ecclesia Dei am 8. Januar einen Brief an Bischof Fellay geschickt hat und von ihm bis 22. Februar, dem Fest Kathedra Petri eine Antwort erwartet. Mit diesem Tag könnte die Errichtung einer Personalprälatur Sankt Pius X. datiert sein. Das wäre ein wirklicher Abschluß des Pontifikats Benedikts XVI: Die Rehabilitierung von Msgr. Lefebvre. Man kann sich den Paukenschlag vorstellen und natürlich auch, welches Gewicht dies für die Ereignisse im März hätte.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Amici Benedetto XVI.