(Rom) Sie betete und opferte ihr Leiden und ihr Sterben dem Herrn auf für die Rettung und Heilung einer Person, die von einer „geistlichen Krankheit“ besessen war. Die Rede ist von Schwester Raffaella Strovegli, einer für die Welt völlig unscheinbaren, ja unsichtbaren Klausurschwester der Benediktinerinnenabtei von Fermo in den italienischen Marken. Obwohl die bemerkenswerten Ereignisse bereits auf das Jahr 2009 zurückgehen, wurden sie erst vor wenigen Wochen durch die Abtei bekanntgemacht. Die Äbtissin des Klosters, Mutter Cecilia Borrelli wiederholte sie in einem kurzen Gespräch, das Domenico Agasso für Vatican Insider über Schwester Raffaella führte und darüber, warum das Leben in Klausur „wahre Freiheit“ bedeutet.
Schwester Raffaella Strovegli, Pater Pio von Pietrelcina und ein unbekannter Mann…
An der Pforte des Klosters stand ein erschöpftes Paar und klopfte an unser Herz. Sie baten um ein kräftiges Gebet für einen Verwandten, der von einer spirituellen Krankheit befallen war. Gesagt, getan: ein Zettel mit dem Namen des „Patienten“ wurde auf der Gebetstafel angebracht, die voller Gebetsanliegen ist. Der Konvent nahm sich des Anliegens an, um das das Paar gebeten hatte. Nach einiger Zeit bemerkte ich, daß Schwester Raffaella, die zu den Älteren im Kloster gehört, sich in besonderer Weise des Anliegens angenommen haben muß. In bestimmten Abständen fragte sie mich immer wieder, wie es jener Person geht. Doch ich konnte ihr keinen Erfolg melden. Sie harrte aus, betete weiter und fragte weiterhin in Abständen nach der Person des Gebetsanliegens.
Schließlich verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand und wir mußten sie ins Krankenhaus bringen. Von ihren 89 Lebensjahren hatte sie 69 im Kloster verbracht. Im Krankenhaus ist sie nach einem Monat des Leidens am Abend des 20. April 2009 gestorben. Wir hatten gerade gemeinsam die ersten Verse des Psalms 32 gebetet: „Glückselig diejenigen, deren Missetaten vergeben und deren Sünden bedeckt sind!“, als sie entschlafen ist.
Zur selben Zeit wurde der „Patient“ des Gebetsanliegens von Gottes Gnade berührt und von seinem Leiden geheilt. In der Nacht hatte die befreite Person einen Traum, in der ihr Pater Pio von Pietrelcina erschien und ihr sagte, unser Kloster aufzusuchen, um uns für die Gebete und die Fürsprache zu danken. In besonderer Weise sollte er einer Schwester Raffaella danken, die ihr Leben für ihn aufgeopfert hatte.
Am frühen Morgen des nächsten Tages sahen wir einen jungen Mann unsere Klosterkirche betreten. Sein Gesichtsausdruck zeigte, daß er völlig erschüttert war. Wir kannten ihn nicht und fragten uns, wer das sei. Er schaute sich um, als würde er etwas, jemand suchen. Da entdeckte er im Schwesternchor den Sarg. Zielstrebig ging er darauf zu und kniete dort nieder. Er fragte nach dem Namen der Verstorbenen. Dann weinte er und blieb lange dort im Gebet. Als er aufstand, bin ich zu ihm hingegangen und habe ihn angesprochen. Er erzählte mir die ganze Geschichte seines Leidens und seiner Befreiung. Ein Gebetsanliegen bekam ein Gesicht!
Alles Gesagte bestätigt, daß das in Gott verborgene Leben hinter Klostermauern wirklich „für die anderen“ verschenkt wird, auch wenn das Alter voranschreitet und die Kräfte nachlassen, auch wenn der Körper an einen Rollstuhl gefesselt ist, wie es bei Schwester Raffaella der Fall war, ist man immer und rund um die Uhr auf nicht weniger fruchtbare Weise im „Dienst“.
Sich in ein Klausurkloster „einsperren“ ist das nicht deprimierend und langweilig, wie viele meinen?
Im Kloster gibt es alles, was notwendig ist, nicht mehr! Das „mehr“ lenkt uns von Gott ab. Die Wertschätzung und Freude über die Dinge, die uns gegeben werden, nehmen in dem Maße zu, in dem wir uns bewußt werden, daß jede Sache uns von Gott anvertraut ist und wir nicht ihr Eigentümer sind. Was für eine Freiheit! Deshalb ist Freude eines unserer Wesensmerkmale. Wenn man nicht Sklave der Dinge ist, besitzt man die Freude der Freiheit.
Was ist der Sinn des kontemplativen Lebens?
Unser Leben ist ein ständiges Eintauchen in die Psalmen, in denen wir uns selbst im Positiven wie im Negativen Wiederfinden. Jedes Mal, wenn wir mit dem Herzen beten, gewinnt der Tag einen ganz anderen Wert und Geschmack. Die Benediktinerregel sagt, daß beten arbeiten, leben, lieben ist. Das Kloster wird daher zu einem Leuchtturm in der „Nacht“ des menschlichen Herzens, indem es das Licht Christi ausstrahlt, das den Weg weist.
Text: Vatican Insider/Giuseppe Nardi
Bild: Benediktinerinnenabtei von Fermo