(Rom) Nicht alles was der Vatikanverlag veröffentlicht, glänzt. Beispiel dafür ist das soeben erschienene, umfangreiche Buch von Msgr. Tiziano Ghirelli über modernen Kirchenbau und sakrale Kunst. Der stattliche Preis von 110 Euro wird zwar Massenverbreitung verhindern, nicht aber vielleicht eine Beeinflussung der zuständigen Bau- und Kunstreferate anderer Diözesen. Der Titel ist zumindest offenherzig: „Ierotipi cristiani. Le chiese secondo il magistero“ (Christliche Hieroi Topoi. Die Kirchen gemäß dem Lehramt).
„Ja, aber welches Lehramtes?“ fragt der Kunstkritiker Francesco Colafemmina: „Jenem Ghirellis, nicht dem des Papstes“. Der Begriff „Hieroitopos“ ist den einfachen Gläubigen kaum geläufig, umso mehr aber „mündigen“ Christen. Der Ausdruck wurde aus dem ostkirchlichen Bereich übernommen, allerdings mit Blick auf die gesamte bildende Kunst, von Architektur und Bildhauerei bis zu Malerei und Kunstgewerbe inhaltlich umgebaut. „Statt die Formen des Heiligen zur höchstmöglichen Höhe zu erheben, werden sie nach unten geerdet, gewissermaßen profan gemacht, da Topos wörtlich als irdischer Ort verstanden wird“, so Colafemmina.
Die Entsakralisierung des „mündigen“ Christen
Msgr. Tiziano Ghirelli ist der Diözesankonservator der italienischen Diözese Reggio Emilia-Guastalla und damit für den in den vergangenen Jahren erfolgten Umbau der Kathedrale von Reggio Emilia verantwortlich. Ein Umbau, der unter dem Stichwort „liturgische Anpassungen“ erfolgte und unter den Gläubigen teils zu heftigen Protesten geführt hatte. Namhafte internationale Künstler waren mit der Ausführung beauftragt. Manche der Umbauen geben noch heute Rätsel auf. Sie sind ebenso unerklärlich wie nutzlos. Volksaltar und der Abbau der letzten Abtrennungen zwischen Altarraum und Kirchenschiff gehören zum obligatorischen Programm.
Nach dem jüngsten Bischofswechsel, wurde ein Teil von Ghirellis Umbau sofort wieder beseitigt. Der neue Bischof ließ einen wenig erhebenden Bischofsstuhl des Arte Povera-Künstlers Jannis Kounellis wieder entfernen. Msgr. Ghirelli pilgerte mehrfach nach Rom, um eine kritische Berichterstattung des Osservatore Romano zu seinem Kathedralen-Umbau zu verhindern.
Das nun im Vatikanverlag erschienene Buch entspricht der Dissertation von Msgr. Ghirelli, die am 2. Dezember 2012 an der Theologischen Fakultät der Emilia-Romagna approbiert wurde.
Blick auf den Tabernakel ein schweißtreibendes Suchspiel
Als „Positivbeispiel“ moderner Sakralkunst nennt Msgr. Ghirelli geradezu begeistert (Avvenire v. 16.1.2013) die dem hl. Florian geweihte Kirche von Gavassa. Der für jeden Katholiken beim Betreten einer Kirche entscheidende Blick zum im Altarsakrament anwesenden Herrn, gestaltet sich zum schweißtreibenden Tabernakel-Suchspiel. Kann der geplagte Christ, diesen schließlich doch irgendwann entdecken und mit einem Stoßseufzer erleichtert aufatmen, sucht er Kniebänke hingegen vollends vergebens. Modernen Kirchenbauern, sowohl den klerikalen Bauherrn, wie den Innenarchitekten scheinen sie völlig fremd zu sein. Der „mündige“ Christ kniet nicht, auch nicht vor Gott. Gerade in wichtigen Wallfahrtsorten, die ein gläubiges katholisches Volk anziehen, soll den Christen das Knien offensichtlich ausgetrieben werden. Weder in der neuen, riesigen Wallfahrtskirche von Fatima (geweiht 2009), noch in der neuen großen Wallfahrtskirche von San Giovanni Rotondo (geweiht 2004), in die das Grab des heiligen Pater Pio von Pietrelcina überführt wurde, finden sich Kniebänke.
Gläubigem Gottesvolk soll das Knien ausgetrieben werden
Die Kniebänke wurden keineswegs vergessen, sondern absichtlich weggelassen, wie man aus beiden Fällen weiß. Kein Diözesan- oder Ordensverantwortlicher, kein Ordensoberer oder Bischof stellte sich diesem perfiden Eingriff in den Weg. In den Jahren seither fand sich auch niemand, der diesen schwerwiegenden Mangel beheben wollte, denn er wäre bei einem Minimum an gutem Willen leicht zu beheben. Beide Kirchen wurden mit den Spenden frommer Pilger und treuer Söhne und Töchter der Kirche errichtet. Ein fürwahr doppelt perfider Angriff auf die Ehrfurcht vor dem Allerheiligsten, denn weder das Knien während der Wandlung noch eine Anbetung ist erwünscht. Wenn der Papst diese Kirchen besucht, wird ihm ein Gebetsschemel hingestellt, denn der Papst kniet, wenn er betet. Dem Volk aber hinter seinem Rücken, soll das Knien im wahrsten Sinne des Wortes ausgetrieben werden. Eine erwähnenswerte Ausnahme bildet übrigens seit Jahren Kanada, wo die katholischen Diözesen die Kniebänke wiederentdecken.
Was der Gläubige in modernen Kirchen hingegen zur Genüge findet, ist gähnende Leere. Es scheint, als wollten die Diözesansachverständigen das leere Allerheiligste im Jerusalemer Tempel nachempfinden, das sichtbar wurde, als Christus auf Golgota am Kreuz starb und der Tempelvorhang zerriß.
Leere des Jerusalemer Tempels und Entleerung der modernen Kirchen
Moderne Bauherren haben dabei jedoch etwas grundlegend mißverstanden. Der jüdische Tempel von Jerusalem war leer. Durch das Kreuzesopfer Jesu Christi ist das Allerheiligste jedoch gefüllt, in jeder Kirche durch Seine Realpräsenz. Leere, kahle Kirchen scheinen daher mehr emblematischer Ausdruck einer inneren Leere der Moderne zu sein. Auf geradezu entsetzliche Weise, wird diese Leere im Bildteil von Msgr. Ghirellis Buch deutlich. Ein Priester inmitten des leeren Nichts. „Eine Metapher der zeitgenössischen Kirchenbaukunst?“ fragt der Kunstkritiker Colafemmina. Für Msgr. Ghirelli handelt es sich um Positivbeispiele. Der obligate, doch wenig aussagekräftige Hinweis auf einen „Dialog zwischen Kirche und Kunst“ darf natürlich nicht fehlen.
Profanierung des Sakralen – Lehramt wird ignoriert
Das päpstliche Lehramt zu den Bereichen Liturgie und sakrale Kunst wird weitgehend ignoriert, jedenfalls als nur von zweitrangiger Relevanz betrachtet. Gemeint ist jenes Lehramt, das betont, daß der Tabernakel im Mittelpunkt stehen soll, das zur Anbetung auffordert, das die Wiederentdeckung der Gebetsrichtung zum Thema macht, das unterstreicht, daß die Architektur untrennbar auf die Liturgie ausgerichtet sein und daher in allem mit der Liturgie übereinstimmen muß, das die partecipatio actuosa nicht als Drängeln im Altarraum und als Animationsprogramm mißversteht, sondern als Gebetspraxis, das die zunehmende, in Wirklichkeit aber unmögliche Austauschbarkeit zwischen Priester und Gläubigen im Gottesdienst zurückdrängen will, genauso das Profane aus dem sakralen Raum, den Mißbrauch der Kirche als Ausstellungs‑, Vortrags- oder Versammlungsraum.
Positivbeispiele Barcelona und Karaganda – Negativbeispiele Gavassa und Würzburg
Kardinal Cañizares, der Präfekt der Gottesdienstkongregation, nannte erst vor wenigen Wochen in einem Interview die Sagrada Familia von Barcelona als Vorbild für einen angemessenen Kirchenbaustil unserer Zeit. An seiner Kongregation wurde jüngst eine neue Abteilung für Kunst und Musik in der Liturgie geschaffen, um den Multifunktionshallenbau zu beenden. Vorbildwirkung sollte auch die neue Kathedrale von Karaganda in Kasachstan haben, die 2012 geweiht wurde.
Revolutionärer Zwang zum Sturz der kirchlichen Tradition
Im Gegensatz dazu scheinen Kontakte zu Architekten ihrer Wahl, die nicht selten irgendwelchen lokalen Interessen- und Machtstrukturen entspringen, ebenso Kontakte zur Kunstszene allgemein und ein gehöriger Hang zu „großen“ Namen unter den Architekten und Künstlern, am besten von Weltrang, mit denen sich der diözesane oder ordernsinterne Kunstverantwortliche schmücken will, ausschlaggebend. Denn das sichert Eingang in die Fachzeitschriften und vor allem Aufmerksamkeit in der Ortspresse und in den Hochglanzillustrierten. Hinzu kommt nicht selten ein nicht zu unterschätzender, geradezu revolutionärer Zwang zum Sturz der kirchlichen Tradition. Der Umbau der Augustinerkirche von Würzburg vereint das Gesagte zum prototypischen Negativbeispiel.
Wie gelangte Ghirellis Buch in das Programm des Vatikanverlags? Es braucht sicher gute Kontakte und zudem brachte Ghirelli die Finanzierung selbst mit, was die Sache gewiß erleichterte. Sie wurde bereits 2011, ein Jahr vor Drucklegung von der Sparkassenstiftung von Reggio Emilia sichergestellt.
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Text: Fides et Forma/Giuseppe Nardi
Bilder: Fides et Forma/Katholische Kirche in Kasachstan/Messa in Latino/Wikicommons