(New York) Dem Neodarwinismus wurde ein weiterer harter Schlag versetzt. Ein Schlag, der von einem Nicht-Gläubigen und von einem Nicht-Biologen geführt wurde. Letzteres scheint nicht unmaßgeblich, da das darwinsche Super-Dogma offenbar nur von außen aufgebrochen werde kann. Den Schlag versetzte der US-Philosoph Thomas Nagel, der an der New York University School of Law Philosophie unterrichtet, mit seinem neuesten Buch: Mind and Cosmos: Why the Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature Is Almost Certainly False, Oxford University Press.
Aufgrund seiner früheren Publikationen war es nur eine Frage der Zeit, bis er sich einem der zentralen Themen zur Gehirn-Debatte zuwenden würde: der Frage über den Ursprung des Gehirns und damit der Evolutionstheorie. Das 130-Seiten-Buch Nagels hat es in sich. Es ist knapp und direkt und peilt ohne Umschweife die ungelösten Punkte der neodarwinistischen Theorie an. Er stellt dabei präzise Fragen, die von den Vertretern des Neodarwinismus Antworten verlangen.
Nagel weist nach, daß die Kritik am Darwinismus nicht so sehr auf wissenschaftlicher Grundlage auf Widerstand stößt, sondern weil sie politically incorrect ist. Diese ideologische Haltung fand ihren institutionalisierten Höhepunkt in einem Dokument des Europarats, in dem er vor den „Gefahren des Kreationismus“ warnt und damit jeden Einspruch gegen die darwinistische „Orthodoxie“ meinte. Trotz des „politisch korrekten“ Drucks wird es jedoch immer schwieriger, die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu ignorieren, die die darwinistische Evolutionslehre in immer größere Schwierigkeiten und Erklärungsnotstände bringen. Der Mangel an zufriedenstellenden Antworten auf die sich stellenden Fragen läßt sich immer weniger rechtfertigen.
Die Kritik am Darwinismus, ein nicht unbedeutendes Detail, kommt wie erwähnt auch in diesem Fall von nicht-gläubiger Seite. Der Kreationismus hat also nichts damit zu tun und auch Thomas Nagel sieht sich gezwungen, sein atheistisches Bekenntnis zu betonen, um sich jener Angriffe zu erwehren, die jede unvoreingenommene Debatte von vorneherein abwürgen wollen. Nagel betont, daß seine Zweifel nicht auf einem religiösen Glauben gründen oder einer alternativen vorgefertigten Meinung, sondern allein auf den vorhandenen wissenschaftlichen Beweisen, dies allerdings im Widerspruch zur vorherrschenden wissenschaftlichen Meinung.
Nach dieser Einleitung geht Nagel sofort zum Angriff über. Wenn es auch noch keine alternative Theorie zur Evolutionstheorie von Darwin gibt, sei letztere dermaßen ungenügend, daß sie nicht länger anerkannt und gebraucht werden könne.
So stößt Nagel zum Kern der Frage vor, indem er die Vertreter des Neodarwinismus auf den Boden der Realität zurückholt. „Im gegenwärtigen Klima eines vorherrschenden wissenschaftlichen Naturalismus, der in allen Themen auf schwerwiegende Weise von den rein spekulativen Erklärungen Darwins und von einem schwerbewaffneten Angriff gegen die Religion abhängt, dachte ich, es sei nützlich über mögliche Alternativen nachzudenken.“ Und weiter: „Ein Verständnis des Universums als grundsätzlich dazu prädisponiert das Leben hervorzubringen und eine Erklärung des Gehirns, die wahrscheinlich eine stärkere Loslösung von den üblichen naturalistischen Erklärungsmustern verlangt, als ich jetzt vorzustellen imstande bin.“
Der Darwinismus ist daher nicht nur eine ungenügende Erklärung des Ursprungs der Spezies, sondern als –ismus inzwischen eine Ideologie geworden, die versucht jeden Bereich der Realität in Beschlag zu nehmen und sich als Erklärungsmuster für alles aufdrängt. Da der Darwinismus ein Paradigma darstellt, auf dem die Weltsicht des politically correct gründet, ist es extrem schwierig ihn in Frage zu stellen, Nagel interpretiert den empörten Widerstand gegen jeden Widerspruch an der Evolutionslehre als atheistisches Credo und damit als paradoxe Form jenes „unerschöpflichen“ Wunsches der Menschen „zu glauben“.
Thomas Nagel hat mit seinem Buch ein neues Manifest der Darwinismus-Kritik vorgelegt. Eine deutsche Übersetzung wäre sehr wünschenswert, um die öffentliche Debatte zum Thema auch im deutschen Sprachraum zu fördern.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons