Ökumenismus: Die Perspektive Benedikts XVI. und Kardinal Kaspers – Verschiedene Strömungen im Vatikan


(Castel Gan­dol­fo) Ab dem 30. August wird sich in der Som­mer­re­si­denz des Pap­stes wie­der der Ratz­in­ger-Schü­ler­kreis ver­sam­meln. Dort wer­den sich mit Joseph Ratz­in­ger und Wal­ter Kas­per der „römisch­ste“ und der „anti-römisch­ste“ Ver­tre­ter der Römi­schen Kurie gegen­über­ste­hen, wie der Vati­ka­nist Pao­lo Roda­ri die bei­den cha­rak­te­ri­sier­te. Kar­di­nal Kas­per war selbst Schü­ler des sei­ner­zei­ti­gen Theo­lo­gie­pro­fes­sors Joseph Ratz­in­ger. The­ma des dies­jäh­ri­gen Tref­fens ist das Ver­hält­nis zwi­schen Katho­li­ken, Luthe­ra­nern und Angli­ka­nern. Ein The­ma, zu dem es an der Römi­schen Kurie unter­schied­li­che theo­lo­gi­sche Strö­mun­gen gibt. Aus­gangs­punkt der Tagung des Schü­ler­krei­ses wird ein Buch von Kar­di­nal Kas­per aus dem Jahr 2009 sein, in dem er kurz vor sei­nem Aus­schei­den als Prä­si­dent des Päpst­li­chen Rats zur För­de­rung der Ein­heit der Chri­sten ver­such­te, eine Bilanz der Bezie­hun­gen zu ziehen.

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Der Öku­me­nis­mus ist für eini­ge Län­der von beson­de­rer Aktua­li­tät. Dazu gehört vor allem die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land. Dort wur­den durch eine pan­christ­li­che Ein­heits­ö­ku­me­ne Erwar­tungs­hal­tun­gen auf­ge­baut, die sich teil­wei­se in Erzwin­gungs­druck auf Rom umwan­deln. Rom, so der ver­mit­tel­te Ein­druck, sei ein Brems­klotz, der unein­sich­tig an einem „über­hol­ten“ Kir­chen­bild fest­hal­te. Jen­seits der theo­lo­gi­schen Gesprä­che wur­den in der kon­kre­ten Umset­zung des Öku­me­nis­mus mit­tels aus­ge­präg­ter Rela­ti­vie­rung für nicht weni­ge ein­fa­che Gläu­bi­ge selbst zen­tra­le Unter­schei­dungs­merk­ma­le zwi­schen den Kon­fes­sio­nen übertüncht.

Die unter­schied­li­chen Strö­mun­gen deut­scher Befind­lich­kei­ten strah­len weit in den Vati­kan hin­ein. Ver­stärkt gilt dies, seit Deut­sche dort füh­ren­de Ämter beklei­den. Bereits in der Ver­gan­gen­heit fan­den sich die Kar­di­nä­le Ratz­in­ger und Kas­per auf gegen­sätz­li­chen Posi­tio­nen wie­der. Bei­de ver­kör­pern abseits der Extre­me gewis­ser­ma­ßen die bei­den Haupt­strö­mun­gen des deut­schen Öku­me­nis­mus. Kar­di­nal Ratz­in­ger muß­te sich jah­re­lang mit den Posi­tio­nen Kas­pers aus­ein­an­der­set­zen und sich die­sen auch wider­set­zen, als der ehe­ma­li­ge Bischof von Rot­ten­burg-Stutt­gart von Papst Johan­nes Paul II. als „Mini­ster“ für die Öku­me­ne nach Rom beru­fen wur­de. Das war im Jahr 1999. Zunächst wur­de Wal­ter Kas­per Sekre­tär des zustän­di­gen Rats, also Vize-Mini­ster, um 2001 zur Num­mer Eins aufzusteigen.

Woll­te man die gegen­sätz­li­chen Posi­tio­nen zwi­schen Ratz­in­ger und Kas­per ver­ein­fa­chend zusam­men­fas­sen, könn­te man sagen, daß für Ratz­in­ger der Vor­rang der Welt­kir­che zukommt und nicht den Orts­kir­chen. Kas­per hin­ge­gen ist der Mei­nung, daß der Pri­mat den Orts­kir­chen zukom­me, die in Sum­me die Welt­kir­che bil­den. Des­halb sei es ange­mes­sen und not­wen­dig, den Orts­kir­chen mehr Hand­lungs­spiel­raum zu las­sen, zum Bei­spiel auch, wenn auch nicht so direkt aus­ge­spro­chen, durch das Recht sich selbst die Bischö­fe zu wählen.

Bei die­sem Punkt mag Kas­pers eige­ne Lebens­ge­schich­te eine Rol­le spie­len. Die Diö­ze­se Rot­ten­burg-Stutt­gart ver­fügt über das alte Wahl­recht, wonach das Dom­ka­pi­tel den Bischof wählt und der Papst die Wahl nur bestä­tigt. Das Kir­chen­ober­haupt ist nicht zur Bestä­ti­gung ver­pflich­tet. Aller­dings wür­de eine Ableh­nung eines gewähl­ten Bischofs eine Rei­he von Kon­flik­ten nach sich ziehen.

Die Fra­ge nach dem Vor­rang von Welt­kir­che oder Orts­kir­chen spie­geln den Kon­flikt über den Pri­mat des Pap­stes wider. Die Stel­lung des Pap­stes stellt einen zen­tra­len Kern des Öku­me­nis­mus­kon­flikts dar. Sie wur­de im Lau­fe der Kir­chen­ge­schich­te immer wie­der in Fra­ge gestellt. Die päpst­li­che Vor­rang­stel­lung und Ent­schei­dungs­ge­walt wur­de ger­ne als „Macht“ gele­sen, zumin­dest von Krei­sen, die mit gewis­sen Ent­schei­dun­gen nicht ein­ver­stan­den sind. Stärk­te das Erste Vati­ka­ni­sche Kon­zil die Vor­rang­stel­lung des Pap­stes, gab es auf dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil eine star­ke Strö­mung zu des­sen Ein­schrän­kung. Dem Papst wur­de die Kol­le­gia­li­tät entgegengesetzt.

Her­mann Josef Pott­mey­er, ein „nach­kon­zi­lia­rer“ Theo­lo­ge, steht in der Pri­mats­fra­ge der Posi­ti­on Kas­pers nahe. Der deut­sche Fun­da­men­tal­theo­lo­ge gehör­te im fünf­ten und sech­sten Quin­qu­en­ni­um (1992–2004) der Inter­na­tio­na­len Theo­lo­gen­kom­mis­si­on an. Er ver­glich zur Ver­an­schau­li­chung des Kon­flikts die Theo­lo­gie mit einer Land­schaft. Die theo­lo­gi­sche Tra­di­ti­on rund um den Pri­mat des Petrus ähn­le einer Grenz­re­gi­on zwi­schen zwei seit lan­gem ver­fein­de­ten Staa­ten. Über­all sto­ße man auf Kampf­spu­ren, alte Schüt­zen­grä­ben, Bun­ker und unter den gefähr­lich­sten Über­bleib­seln des Krie­ges, eini­ge Tret­mie­nen. Die gefähr­lich­ste Tret­mie­ne sei das vom Ersten Vati­ka­ni­schen Kon­zil ver­kün­de­te Unfehl­bar­keits­dog­ma des Papstes.

Zumin­dest erwähnt sei auch die radi­ka­le Posi­ton, die im Pri­mat des Pap­stes per se einen Stein des Ansto­ßes sehen. Hans Küng, der es vor­zieht trotz einer Ver­söh­nungs­ge­ste Bene­dikts XVI., der ihn bald nach sei­ner Wahl zu einem Gespräch ein­lud, an sei­nem selbst­ge­strick­ten „Welt­ethos“ fest­zu­hal­ten, ali­men­tiert seit Jahr­zehn­ten in anti­rö­mi­schem Affekt eine gan­ze anti­päpst­li­che Strö­mung. Sei­ner radi­ka­len Mei­nung nach hät­te das Vati­ka­num Eins den Pri­mat als abso­lu­te päpst­li­che Mon­ar­chie defi­niert. Und da sich Küng, wie bereits im 19. Jahr­hun­dert die pro­te­stan­ti­schen Kir­chen und ein klei­ner Teil der katho­li­schen Kir­che, der schließ­lich in einem häre­ti­schen Schis­ma ende­te, der­ma­ßen an der Unfehl­bar­keit stößt, behaup­tet er, das Erste Vati­ka­ni­sche Kon­zil habe eine all­ge­mei­ne Unfehl­bar­keit des Pap­stes festgelegt.

Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil beton­te hin­ge­gen die Gemein­schaft der Bischö­fe und die Kol­le­gia­li­tät. Ein Teil der Kon­zils­vä­ter, die sich jedoch nicht durch­set­zen konn­ten, ver­such­te den Pri­mat als Sum­me der Bischö­fe fest­zu­schrei­ben. In die­ser Fra­ge kreuz­ten sich die gei­sti­gen Schwer­ter Ratz­in­gers und Kas­pers bereits in den 90er Jahren.

Seit­her schwelt ein Kon­flikt zwi­schen den bei­den Strö­mun­gen, bei denen, grob gefaßt, sich Petrus der Sum­me der Bischö­fe gegen­über­sieht. Da bei­de Strö­mun­gen leben­dig und aktiv sind, ist die Fra­ge offen, wo genau sich bei­de tref­fen, wo bei­de einen akzep­ta­blen Ver­söh­nungs­punkt aus­fin­dig machen kön­nen. Die Fra­ge ist offen, da bei­de Sei­ten einen offe­nen Bruch ver­mei­den und damit jenen Spiel­raum las­sen, der die nöti­ge theo­lo­gi­sche Ver­tie­fung der Fra­ge erlaubt, die irgend­wann zur Klä­rung füh­ren wird. Das Unfehl­bar­keits­dog­ma von 1870 steht dabei unum­stöß­lich. Ein Zurück dahin­ter gibt es nicht.

Die Kon­flikt­li­nie zwi­schen Papst Bene­dikt XVI. und Kar­di­nal Kas­per ver­lief auch ent­lang der Fra­ge der wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen. Wie­der­um ein beson­ders im deut­schen Sprach­raum aktu­el­les The­ma. Kas­per war mit dem dama­li­gen Vor­sit­zen­den der deut­schen Bischofs­kon­fe­renz, Karl Kar­di­nal Leh­mann deut­lich „auf­ge­schlos­se­ner“ als Kar­di­nal Ratz­in­ger als Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on. Ähn­lich waren die Fron­ten in der Fra­ge, ob Katho­li­ken sich am staat­li­chen Bera­tungs­schein­we­sen betei­li­gen dür­fen, das die straf­freie Tötung unge­bo­re­ner Kin­der ermög­licht. Kar­di­nal Ratz­in­ger dräng­te mit Papst Johan­nes Paul II. auf einen strik­ten Rück­zug der Katho­li­ken aus dem Schein­we­sen des Staa­tes. Der dama­li­ge Nun­ti­us in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, Gio­van­ni Lajo­lo, 2007 von Papst Bene­dikt XVI. zum Kar­di­nal erho­ben, hat­te alle Hän­de voll zu tun, zwi­schen den deut­schen Bischö­fen und der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on zu vermitteln.

In ande­ren Fra­gen sind sich die bei­den hin­ge­gen erstaun­lich nahe. Dazu gehört zum Bei­spiel die Über­zeu­gung, daß Jesus Chri­stus das ein­zi­ge Heil der Mensch­heit ist und es des­halb kein Heil in und durch ande­re Reli­gio­nen gibt, wie Kar­di­nal Ratz­in­ger 2000 in der Erklä­rung Domi­nus Jesus bekräf­tig­te. Kas­per stimm­te damals auf­fal­lend nicht in den Chor der Kri­ti­ker ein, dem hin­ge­gen auch eini­ge hohe Kir­chen­ver­tre­ter ange­hör­ten. Er kri­ti­sier­te viel­mehr die „soge­nann­ten libe­ra­len Aus­le­gun­gen“, die sich „selbst als pro­gres­siv defi­nie­ren, in Wirk­lich­keit aber sub­ver­siv sind“. Glei­ches gilt auch für ein ande­res The­ma, das Ratz­in­ger beson­ders wich­tig ist: die Lit­ur­gie. Kas­per wider­sprach jenen, die der Mei­nung sind, die Lit­ur­gie sei besten­falls eine Neben­er­schei­nung des Glau­bens­le­bens: „Die Kri­se im Ver­ständ­nis der Eucha­ri­stie ist der inner­ste Kern der gegen­wär­ti­gen Kir­chen­kri­se.“

Wie wer­den sich Ratz­in­ger und Kas­per, erste­rer nun Papst Bene­dikt XVI., letz­te­rer eme­ri­tier­ter „Mini­ster“, gewis­ser­ma­ßen im Ruhe­stand, in den letz­ten August und ersten Sep­tem­ber­ta­gen zum The­ma Öku­me­ne gegen­über­tre­ten? Die Tref­fen des Schü­ler­krei­ses dien­ten dem Papst in den ver­gan­ge­nen Jah­ren, um sich unter ande­rem auch dadurch zu wich­ti­gen The­ma durch eine fun­dier­te Bestands­auf­nah­me einen klä­ren­den Blick für bevor­ste­hen­de Ent­schei­dun­gen zu ver­schaf­fen. Die Apo­sto­li­sche Kon­sti­tu­ti­on Angli­ca­n­o­rum coe­ti­bus, die es Angli­ka­nern ermög­licht, in die Ein­heit mit Rom zurück­zu­keh­ren, ist ein deut­li­ches Signal, wie sich Papst Bene­dikt XVI. die Früch­te der Öku­me­ne vor­stellt. Gegen­über den Luthe­ra­nern sand­te er ein wohl­wol­len­des Signal, als er in der Augu­sti­ner­kir­che von Erfurt die Per­son Mar­tin Luthers öffent­lich erwähn­te. Dabei han­del­te es sich nicht um die von man­chen Krei­sen gewünsch­te und von ande­ren hin­ein­in­ter­pre­tier­te „Reha­bi­li­tie­rung“ des ein­sti­gen Augu­sti­ner-Ere­mi­ten. Dazu sind die Gegen­sät­ze zwi­schen „Refor­ma­tor“ und „Kir­chen­spal­ter“ in der Gestalt des deut­schen Theo­lo­gen zu groß.

Text: Paix Liturgique/​Giuseppe Nardi
Bild: vaticandiplomacy

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