Papst Benedikt XVI. und der Nahe Osten – Libanon-Reise mit Blick nach Syrien und in den Iran


(Bei­rut) Die Rei­se von Papst Bene­dikt XVI. vom 14. bis 16. Sep­tem­ber 2012 in den Liba­non soll dem Exodus der Chri­sten aus dem Nahen Osten ent­ge­gen­wir­ken. Das ist ein zen­tra­ler Punkt für das Ober­haupt der katho­li­schen Kir­che. Der sich seit Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges zuspit­zen­de, viel­schich­ti­ge Kon­flikt zwi­schen isla­mi­schen Staa­ten und isla­mi­sti­schen Bewe­gun­gen auf der einen Sei­te und Isra­el und den USA auf der ande­ren Sei­te führt zu einer immer beschleu­nig­te­ren Auf­lö­sung und Ver­nich­tung der einst gro­ßen christ­li­chen Min­der­hei­ten im Nahen Osten. Im Liba­non stell­ten die Chri­sten bis vor weni­gen Jahr­zehn­ten sogar die Mehr­heit. Heu­te sind sie auch dort zu einer viel­fach bedräng­ten Min­der­heit gewor­den. Die Ursa­chen für die­se Ent­wick­lung sind kei­nes­wegs allein bei fana­ti­schen Isla­mi­sten zu suchen.

Papst kann dem von Extremisten entstellten „Arabischen Frühling“ seinen tieferen Sinn zurückgeben

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Papst Bene­dikt XVI. will die Brü­der und Schwe­stern im Glau­ben stär­ken, sie zum Aus­har­ren auf­for­dern und ihnen ver­deut­li­chen, daß sie noch eine Mis­si­on in der Regi­on haben. Der Islam­ex­per­te Pater Samir Kha­lil Samir, der an der Uni­ver­si­tät von Bei­rut lehrt, unter­streicht die Dring­lich­keit die­ser Bot­schaft an die Chri­sten im Nahen Osten: „Dem häu­fig von den Poli­ti­kern und Extre­mi­sten­grup­pen ent­stell­ten Ara­bi­schen Früh­ling ist ein tie­fe­rer Sinn zurück­zu­ge­ben.“ Das gel­te auch und gera­de wegen der aktu­el­len israe­lisch-ira­ni­schen Span­nun­gen. Die Span­nun­gen rei­chen tief in den Liba­non hin­ein. Eine Sei­te davon ist der Kon­flikt zwi­schen Schii­ten und Sun­ni­ten, auf die der Jesu­it hin­weist. Die­ser Kon­flikt ver­stärkt sich immer mehr und kommt in den Span­nun­gen zwi­schen Sau­di-Ara­bi­en und dem Iran zum Aus­druck. In den Kämp­fen in Syri­en wird auch die­ser Kon­flikt aus­ge­tra­gen, wo die Sun­ni­ten gegen die Ala­wi­ten kämp­fen, die der Schia nahe­ste­hen. Für den Liba­non spie­gelt sich der Kon­flikt in den Span­nun­gen zwi­schen His­bol­lah und den Sun­ni­ten wider. „Die Anwe­sen­heit des Pap­stes könn­te die­sen Zusam­men­prall ent­kramp­fen“, so Pater Samir.

Der Westen sollte sich daran erinnern, daß der Libanon kein islamischer Staat ist

Was man im Westen kaum wis­se, wie der Islam­ex­per­te betont: Der Liba­non ist kein isla­mi­scher Staat. Er ist ein mul­ti­re­li­giö­ser Staat mit einer star­ken christ­li­chen Min­der­heit, die vor nicht lan­ger Zeit noch die Mehr­heit im Land war. Das Ver­fas­sungs­ge­fü­ge ist ein zwi­schen den ver­schie­de­nen Grup­pen fein aus­ta­rier­tes System, das auf Erschüt­te­run­gen emp­find­lich reagiert. Der Staats­prä­si­dent ist ein Christ, um genau zu sein ein mit Rom unier­ter Maro­nit, also ein Katho­lik. Der Mini­ster­prä­si­dent ist ein Mos­lem, wie­der­um um genau zu sein ein Sun­nit. Die höch­sten Staats­äm­ter sind zwi­schen den bei­den Reli­gio­nen, dem Chri­sten­tum und dem Islam genau auf­ge­teilt. Das 128köpfige Par­la­ment besteht genau zur Hälf­te aus Chri­sten und aus Mos­lems ein­schließ­lich der Dru­sen. Der Par­la­ments­prä­si­dent ist ein Mos­lem, in die­sem Fal­le ein Schiit.

Befragt nach den Grün­den, wes­halb Papst Bene­dikt XVI. gera­de den Liba­non für sei­nen Nah­ost-Rei­se aus­ge­wählt hat, ver­weist Pater Samir dar­auf, daß es in der gan­zen Regi­on kein ande­res Land gibt, in dem Chri­sten in grö­ße­rer Zahl leben und aus­rei­chend Sicher­heit gewähr­lei­stet wer­den kann. Im Irak gibt es Chri­sten, wenn deren Zahl im ver­gan­ge­nen Jahr­hun­dert, beson­ders in den ver­gan­ge­nen Jah­ren auch dra­ma­tisch zusam­men­ge­schmol­zen ist, aber es gibt dort kei­ne Sicher­heit. In Ägyp­ten leben nur 250.000 Katho­li­ken, die in einer Bevöl­ke­rung von mehr als 80 Mil­lio­nen kein Gewicht haben. Eine Rei­se dort­hin hät­te nur Sinn, wenn die ortho­do­xen Kop­ten dies als Stär­kung der Chri­sten­heit im Land begrü­ßen wür­den. In Tune­si­en, der Hei­mat des hei­li­gen Augu­sti­nus gibt es kaum noch Spu­ren von Chri­sten. In Jor­da­ni­en, Isra­el und den Palä­sti­nen­ser­ge­bie­ten des West­jor­dan­lan­des war Bene­dikt XVI. im Mai 2009. Des­halb, so Pater Samir, fiel die Wahl auf den Liba­non, wo es eine star­ke katho­li­sche Gemein­schaft gibt, über Gewicht und Respekt ver­fügt, die sehr leben­dig ist und gut orga­ni­siert ist.

Christliche Führung zieht Assad-Regime einer islamischen Republik vor

Es gebe aber noch wei­te­re Grün­de, so der Nah­ost­ex­per­te. Der Papst besu­che den Liba­non auch wegen der Nähe zu Syri­en, mit dem der Liba­non und die liba­ne­si­schen Chri­sten enge Ver­bin­dun­gen haben. „Der Papst kommt, um den Chri­sten, die in poli­ti­schen Fra­gen und ange­sichts der schwe­ren syri­schen Kri­se gespal­ten sind, eine kla­re Ori­en­tie­rung zu geben.“ Die christ­li­che Füh­rung aller Deno­mi­na­tio­nen bevor­zu­ge in Syri­en das Assad-Regime, das zwar nicht demo­kra­tisch sei, dafür aber den Chri­sten Sicher­heit und weit­ge­hen­de Reli­gi­ons­frei­heit garan­tiert. Die christ­li­che Bevöl­ke­rung sei hin­ge­gen geteilt. Die Ober­schicht sei mit dem Regime, weil es ihnen aus­rei­chend siche­ren Lebens­raum las­se. Eine Situa­ti­on, die nicht gegen eine unsi­che­re Zukunft und schon gar nicht gegen eine isla­mi­sche Repu­blik ein­tau­schen möchte.

Glei­ches gel­te auch für die Ober­schicht der Mos­lems in den gro­ßen Städ­ten wie Damas­kus und Alep­po. Die ärme­ren Schich­ten lei­den unter zahl­rei­chen Pro­ble­men und Schi­ka­nen. „Wer Gerech­tig­keit und Demo­kra­tie will, kann nicht mit der Regie­rung sein, vor allem wer poli­tisch anders denkt als die Regie­rung, kann sei­ne Mei­nung nur unter der Gefahr von Gefäng­nis und Fol­ter äußern“, so Pater Samir.

Christliche Medien des Libanon erreichen Christen im gesamten Nahen Osten und die Diaspora weltweit

„Die Chri­sten des Nahen Ostens brau­chen aus­ge­wo­ge­ne Wor­te des Pap­stes, der ihr der­zei­ti­ges Unbe­ha­gen besei­tigt. Die Prä­senz und Stär­ke der Chri­sten und der Katho­li­ken im Liba­non hilft den Chri­sten im gesam­ten Nahen Osten.“ Das gel­te vor allem für die christ­li­chen Medi­en, die ihren Sitz im Liba­non haben, aber von dort aus auch die ande­ren Staa­ten errei­chen. Dazu gehö­ren vor allem die katho­li­schen Radio­sen­der, wie die „Stim­me der Lie­be“ und Fern­seh­sen­der wie Noor­Sat oder Telelu­mie­re. Der katho­li­sche Rund­funk wer­de von den Chri­sten des gesam­ten Nahen Osten gehört aber auch welt­weit von der christ­li­chen Dia­spo­ra von Ame­ri­ka über Deutsch­land bis nach Austra­li­en, so Pater Samir.

Im Liba­non spre­chen bedeu­te daher für den Papst zu allen ori­en­ta­li­schen Chri­sten auf der gan­zen Welt spre­chen. Vom Liba­non aus kön­ne er ihnen allen sei­ne Bot­schaft zukom­men las­sen. Das gilt auch für die Bot­schaft der Bischofs­syn­ode für den Nahen Osten: „Bleibt im Nahen Osten, hier ist eure Mission.“

Christliche Universitäten bilden Elite des Libanon aus

Die Bedeu­tung der Chri­sten im Liba­non wird unter ande­rem dar­an sicht­bar, daß es nur eine staat­li­che Uni­ver­si­tät gibt, die 1951 gegrün­det wur­de, dafür aber sie­ben christ­li­che Uni­ver­si­tä­ten. Die bei­den älte­sten, die pro­te­stan­ti­sche Ame­ri­ka­ni­sche Uni­ver­si­tät, gegrün­det 1866, und die St. Josef-Uni­ver­si­tät der Jesui­ten von 1875. Hin­zu kom­men fünf christ­li­che Uni­ver­si­tä­ten jün­ge­ren Datums: die Kas­lik-Uni­ver­si­tät von 1962 und die Louai­ze-Uni­ver­si­tät von 1987, die von zwei ver­schie­de­nen maro­ni­ti­schen Mönchs­or­den getra­gen wer­den, die grie­chisch-ortho­do­xe Bala­mand-Uni­ver­si­tät von 1988, die maro­ni­ti­sche Anto­nia-Uni­ver­si­tät von 1996 und die Uni­ver­si­tät La Sapi­en­za, die 1999 von der maro­ni­ti­schen Diö­ze­se Bei­rut gegrün­det wur­de. In die­sen Uni­ver­si­tä­ten wird die Eli­te des Liba­non aus­ge­bil­det, nicht nur die christ­li­che. Die St.-Josef-Universität zählt der­zeit 11.000 Stu­den­ten, von denen 34 Pro­zent Mos­lems sind.

Text: Asianews/​Giuseppe Nardi
Bild: Asianews

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