(Vatikan) Ein in Italien erschienenes Buch sorgt für Unruhe im Vatikan und hat Papst Benedikt XVI. verärgert. Alles dreht sich um die Neuerscheinung „Sua Santità “ (Eure Heiligkeit) von Gianluigi Nuzzi. Darin wurden zahlreiche direkt an den Papst oder seinen persönlichen Sekretär Msgr. Georg Gänswein gerichtete, vertrauliche Briefe veröffentlicht. Über einen solchen Vertrauensbruch und die Verletzung der Privatsphäre ist der Papst erbost. Der Vatikan kündigte am vergangenen Samstag an, wegen „Diebstahl“ und „Hehlerei“ gerichtlich vorgehen zu wollen. Rechtliche Schritte wurden bereits innerhalb und außerhalb des Vatikans eingeleitet.
Deckname „Maria“ – Hinter Datenklau wird das Umfeld Kardinal Sodanos vermutet
Der Journalist Gianluigi Nuzzi behauptet, daß „Maria“ seine Quelle sei. Hinter dem Decknamen verbergen sich mehrere Personen, die – so der Autor – Dokumente aus dem Vatikan geschleust hätten, um vom Kirchenstaat unterdrückte Tatsachen ans Licht zu bringen.
Was der Öffentlichkeit als „hehre Tat“ im „Kampf gegen dunkle Mächte“ verkauft wird, sieht man im Vatikan ganz anders. Dort ortet man hinter der Veröffentlichung vertraulicher Dokumente einen Machtkampf der alten Garde, die vor der Berufung des Nicht-Diplomaten Kardinal Tarcisio Bertone zum Staatssekretär den Kirchenstaat lenkte. Als Urheber des Datenklaus werden Anhänger von Bertones Vorgänger Angelo Kardinal Sodano vermutet.
Bertones Berufung wurde von „alter Garde“ nicht verdaut
Kardinal Sodano stammt im Gegensatz zu seinem Nachfolger aus der renommierten Diplomatischen Akademie an der Piazza Minerva in Rom. Nicht daß Kardinal Sodano selbst als Initiator angenommen wird, sehr wohl aber sein näheres Umfeld. Die öffentliche Ausstreuung der Leaks hat nur ein Ziel: den amtierenden Kardinalstaatssekretär Bertone zu diskreditieren und damit letztlich auch Papst Benedikt XVI. zu treffen.
Viele der in Nuzzis Buch veröffentlichen Briefe sind streng vertraulich. Der Sekretär des Papstes wird sie, nachdem er sie gelesen hatte, aus der päpstlichen Wohnung an das Staatssekretariat weitergeleitet haben. Dort hat sich jemand eingeschlichen, Fotokopien davon angefertigt und diese verbreitet. Das Leck ist weit oben in der Hierarchie des Kirchenstaates zu suchen. Zumindest handelten der oder die Täter mit bewußter oder unbewußter Deckung. Nur so läßt sich erklären, mit welcher Selbstverständlichkeit sie sich im kleinsten Staat der Welt zu bewegen wußten.
Untersuchungskommission rechnet mit schneller Aufklärung
Eine ad hoc gebildete Untersuchungskommission unter der Leitung der Kardinäle Julian Herranz, Josef Tomko und Salvatore de Giorgi soll dem Leck einen Namen geben und ans Licht bringen, wer diesen „ungeheuerlichen“ und „kriminellen Vertrauensbruch“ begangen hat. Die Ermittlungen sind bereits im Gange. Es wird damit gerechnet, daß die Verantwortlichen schnell ausgeforscht sein werden. Der Kreis der Personen, die Zugang zu den vertraulichen Dokumenten im Archiv des Staatssekretariats haben, ist sehr klein.
Diplomaten gegen Salesianer
Der neue Regierungsstil, der mit Kardinal Bertone im Staatssekretariat Einzug hielt und in der Formel „Weniger Diplomatie und mehr Evangelium“ zusammengefaßt werden kann, stieß der Vorgängermannschaft arg auf. Hinzukamen mehrere Fehler, die dem neuen Kardinalstaatssekretär vor allem in den ersten fünf Jahren der Regierungszeit Papst Benedikts XVI. unterliefen. Kardinal Bertone gelang es nicht ausreichend den prophetischen und intellektuellen Schwung des Papstes zu unterstützen und damit in der Kirche und außerhalb sichtbar zu machen. Vor allem beförderte er innerhalb der Römischen Kurie bevorzugt Salesianer auf Posten die traditionell in der Hand der vatikanischen Diplomatie waren. Der Kardinalstaatssekretär ist selbst ein Salesianer Don Boscos. Sein Bestreben, sich mit Personen seines Vertrauens zu umgeben, ist natürlich. Die Neuernannten zeichnen sich neben ihrer fachlichen Qualifikation jedoch dadurch aus, daß sie über keine diplomatische Erfahrung verfügen. Damit wurde die Kluft zwischen der neuen und der alten Garde noch vertieft. Die Berufung des Bischofs von Savona, Domenico Calcagno, zum Apostolischen Verwalter des Heiligen Stuhls, des Bischofs von Vercelli, Giuseppe Versaldi, zum Präfekten für die wirtschaftlichen Angelegenheiten und des Rektors der Universität der Salesianer, Enrico Dal Covolo, an die Päpstliche Lateran-Universität, alle drei zweifelsfrei für diese Aufgaben qualifiziert, sorgte in der alten Mannschaft für Verärgerung. Und wie es scheint, war der Ärger so groß, daß man es den neuen Kardinalstaatssekretär spüren lassen wollte. In dieser Stimmung wurden selbst Ernennungen des Papstes, die sein engstes Umfeld betrafen, zum Gegenstand der Kritik. Da waren die neuen Sekretäre, die natürlich ihre eigene Arbeitsweise mitbrachten und die Frauen, die dem Papst den Haushalt führen. Hatte Johannes Paul II. Ordensschwestern um sich, bevorzugt Benedikt XVI. gottgeweihte Laien der Memores Domini, wie der Vatikanist Paolo Rodari anmerkt.
Fall Viganò machte den Machtkampf öffentlich
Der Fall Viganò steht exemplarisch für den internen Grabenkampf und ließ ihn erstmals offen nach außen sichtbar werden. Danach ging es Schlag auf Schlag und dürfte in direktem Zusammenhang damit stehen. Erzbischof Carlo Maria Viganò, ein treuer Gefolgsmann des früheren Kardinalstaatssekretärs Sodano, seit 2009 Sekretär des Governatorats des Kirchenstaates, wurde im Oktober 2011 vor Ablauf seiner Amtszeit aus der Römischen Kurie entfernt. Viganò, die Nummer Zwei im Verwaltungsamt des Kirchenstaates, wollte neuer Gouverneur werden und damit die Nachfolge von Kardinal Lajolo antreten. Statt dessen wurde er auf den Posten eines Nuntius in den Vereinigten Staaten von Amerika abgeschoben. Der Botschafterposten ist einer der prestigeträchtigsten der Welt, doch Viganò wollte sich seine „Abschiebung“ nicht wortlos bieten lassen. Wohl in der Hoffnung, damit seine Versetzung verhindern zu können, ließ der Kurienerzbischof die erste „Bombe“ platzen.Er schrieb mehrere Briefe, unter anderem an Kardinalstaatssekretär Bertone und an Papst Benedikt XVI., in denen er die Namen derer nannte, von denen er behauptete, daß sie ihn in ein schlechtes Licht gestellt hätten mit dem Ziel, ihn „abservieren“ zu lassen. Der Brief an Kardinal Bertone wurde den Medien zugespielt und just in der Fernsehsendung des Journalisten Gianluigi Nuzzi verlesen, der inzwischen ein Buch herausgegeben hat. Der Einstand Viganòs in den USA stand damit unter keinem guten Stern. Gerade jetzt, wo dort die Bischöfe gegen Präsident Obama einen erbitterter Kampf für die Religionsfreiheit ausfechten.
Viganò behauptete in dem Schreiben, er sei entfernt worden, weil er gegen „faule Äpfel“ vorgehen wollte, die hinter dem Rücken des Papstes in die eigene Tasche gewirtschaftet hätten. Er vergaß nicht anzumerken, daß diese „Äpfel“ Kardinalstaatssekretär Bertone nahestünden. Doch es war nichts mehr zu machen. Der Papst hatte entschieden, daß Viganò nach seinen zwei geharnischten Briefen, die sofort in die Medien gelangten, und wohl gerade deshalb, Rom zu verlassen hatte. Er mußte gehen, obwohl sich zu seinen Gunsten und damit letztlich gegen Staatsekretär Bertone mehrere gewichtige Kardinäle einsetzten.
Benedikt XVI., entschiedener Verfechter von Transparenz soll als „Zudecker“ diskreditiert werden.
Eine Absicht der der Öffentlichkeit zugespielten Dokumenten ist es auch, Papst Benedikt XVI. zu diskreditieren. Der Papst, der mehr als jeder andere seit Beginn seines Pontifikats für Transparenz eintritt und der intern schon mehrfach darauf drängte, auch unangenehme und schmerzhafte Angelegenheiten offen und offensiv anzugehen, und dies beim Pädophilieskandal nicht nur einforderte, sondern durch die neuen Regeln exemplarisch vorexerzierte, soll durch die gezielten Indiskretionen auf verzerrende Weise als Bremser und Zudecker hingestellt werden. Wer immer diesen Vertrauensbruch begangen hat, rechnete bewußt mit den antikirchlichen Reflexen zahlreicher Journalisten.
„Neue Garde“ verschaffte Papst nicht die erwartete Rückendeckung
Die Wahrheit stellt sich ganz anders dar. Hinter dem Rücken des Papstes tragen zwei Gruppen an der Römischen Kurie einen erbitterten Kampf gegeneinander aus: die alte Garde, die Benedikt XVI. nach seiner Wahl entmachten wollte und die neue Garde, der er sein Vertrauen schenkte, die ihm aber dieses Vertrauen noch nicht wirklich vergolten hat. Von ihr kam noch nicht die erhoffte Unterstützung und Stärkung für den Reform- und Erneuerungsplan, der Papst Benedikt XVI. für die Kirche vorschwebt und mit der er die Kirche für das dritte Jahrtausend rüsten will. Dazu gehören tiefgreifende Neuorientierungen wie jene, in Europa Abschied zu nehmen von der überkommenen Vorstellung einer Volkskirche. Daran scheinen verschiedene, heterodoxe alte Kräfte verzweifelt festhalten zu wollen. Zu ihnen zählt gewissermaßen auch das Paradox „basisdemokratischer“ Gruppen, die sich mit dem Etikett radikaler Reformer schmücken. Der Papst sieht die gläubigen Katholiken hingegen als Minderheit in Europa und wagt dies im Gegensatz zu Bischöfen und Laienvertretern auch auszusprechen. Er sieht seine Aufgabe darin, diese Minderheit zu stärken und nicht der Fiktion einer Volkskirche nachzuhängen, die es nicht mehr gibt.
Papst das eigentlich Opfer der Intrige – Berufung eines neuen Kardinalstaatssekretärs?
Papst Benedikt XVI. ist damit auch das eigentliche Opfer des intriganten Spiels. Doch der Papst ist, anders als landläufig angenommen, ein starker Mann der Tat. Sein Verständnis vieler Dinge unterscheidet sich lediglich von vorherrschenden Vorstellungen. An der Römischen Kurie stehen grundlegende Umbauten bevor, darunter auch die Berufung eines neuen Kardinalstaatssekretärs. Als Kandidat für das Amt des vatikanischen „Ministerpräsidenten“ wird der französische Kurienerzbischof Dominique Mamberti genannt. Mamberti, derzeit Leiter der Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten im Staatssekretariat und damit „Außenminister“ des Heiligen Stuhls, gehört dem Diplomatischen Korps an. Ihm wird nachgesagt, die Fähigkeit zu besitzen, mit beiden Fraktionen gut zusammenarbeiten zu können. Diese Ruhe braucht der Papst, um den Rücken für sein Erneuerungsprogramm freizuhaben. Damit stehen mit der Berufung eines neuen Präfekten der Glaubenskongregation in zwei Schlüsselpositionen Veränderungen bevor.
Papst plant grundlegenden Umbau der Römischen Kurie
Papst Benedikt XVI. nützte vergangenen Mittwoch die Sitzung der Glaubenskongregation, bei der über die Zukunft der Piusbruderschaft gesprochen wurde, um den Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller in Audienz zu empfangen. Personalentscheidungen sind weder für den einen noch den anderen Posten gefallen. Weshalb noch ganz andere Namen für das Staatssekretariat und die Glaubenskongregation hinzutreten können.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Petrus