Wolfgang Ockenfels über Bundespräsident Gauck und den politischen Gewichtsschwund der Katholiken


Inter­view von Vito Pun­zi mit Pro­fes­sor Pater Wolf­gang Ockenfels*

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1. Wie schät­zen Sie den Luthe­ra­ner Joa­chim Gauck als Bun­des­prä­si­dent ein?

Joa­chim Gauck ist ein inte­gre­rer Mann. Sein hohes Anse­hen kommt aus der Tat­sa­che, daß er kein pro­fes­sio­nel­ler Poli­ti­ker ist, son­dern über den eta­blier­ten Par­tei­en steht. Vor allem hat er sich in der Ver­gan­gen­heit kri­tisch mit der sozia­li­sti­schen DDR-Dik­ta­tur aus­ein­an­der­ge­setzt. In Zukunft wird er sich hof­fent­lich auch mit der „Dik­ta­tur des Rela­ti­vis­mus“ kri­tisch befas­sen. Und auch gegen die Dik­ta­tur der „poli­ti­cal cor­rect­ness“ ver­sto­ßen, indem er die Wer­te der christ­li­chen Tra­di­ti­on in die öffent­li­che Debat­te ein­bringt. Die luther­a­ni­sche Kon­fes­si­on spielt dabei kei­ne beson­de­re Rol­le mehr. Aller­dings soll­te Gauck nicht ver­su­chen, in die katho­li­sche Glau­bens- und Moral­leh­re zu inter­ve­nie­ren, wie es eini­ge sei­ner Vor­gän­ger ver­sucht haben. Wir kön­nen in Deutsch­land kei­nen neu­en Kai­ser Wil­helm gebrau­chen, der sich als „sum­mus epis­co­pus“ verstand.

2. Kann man heu­te von einer poli­ti­schen Bedeu­tungs­lo­sig­keit des Katho­li­zis­mus in Deutsch­land (und viel­leicht nicht nur in Deutsch­land) spre­chen? Falls ja, wel­che Ursa­chen wür­den Sie dafür nennen?

Der poli­ti­sche Bedeu­tungs­ver­lust des Katho­li­zis­mus in Deutsch­land ist evi­dent. Vor allem in Fra­gen der Bio-Ethik ist der Ein­fluß der katho­li­schen Kir­che seit dem Ende der Regie­rung Kohl rapi­de geschwun­den. Das hat ver­schie­de­ne Ursa­chen. Zum einen ist unter der Mer­kel-Regie­rung die poli­ti­sche Rol­le der katho­li­schen Kir­che erheb­lich geschrumpft. Und die mei­sten Bischö­fe hal­ten sich in den umstrit­te­nen Fra­gen vor­nehm-diplo­ma­tisch zurück – oder fin­den kei­nen Zugang zu den Mas­sen­me­di­en. Zum ande­ren ist der sozia­le und poli­ti­sche Katho­li­zis­mus, reprä­sen­tiert durch die Ver­ei­ni­gun­gen der Lai­en, in sei­nem Bewe­gungs­cha­rak­ter stark redu­ziert. Der Rück­gang der katho­li­schen Ver­bän­de wirkt sich nega­tiv auf die prak­ti­sche Ver­mitt­lung der katho­li­schen Moral- und Sozi­al­leh­re aus.

3. Vor eini­gen Tagen hat der CDU-Poli­ti­ker Hei­ner Geiß­ler, ein Katho­lik (so sagt er von sich selbst), gesagt: „Ich stel­le aber fest, daß die katho­li­sche Amts­kir­che und ihre offi­zi­el­le Theo­lo­gie in der glo­ba­len gei­sti­gen Aus­ein­an­der­set­zung um eine den Kapi­ta­lis­mus ablö­sen­de neue Welt­wirt­schafts- und Sozi­al­ord­nung so gut wie kei­ne Rol­le spielt““. Sind Sie damit einverstanden?

Die Bemer­kung von Herrn Geiß­ler mag teil­wei­se zutref­fen, wenn man nur die katho­li­sche Kir­che in Deutsch­land vor Augen hat. Aber auch in Deutsch­land gibt es eini­ge Bischö­fe, vor allem den Erz­bi­schof von Mün­chen, Kar­di­nal Rein­hard Marx, der den glo­ba­len Kapi­ta­lis­mus sehr kri­tisch ana­ly­siert. Recht hat Herr Geiß­ler, wenn er meint, daß die mei­sten katho­li­schen Sozi­al­ethi­ker, also die Pro­fes­so­ren an den Uni­ver­si­tä­ten, kaum mehr die Sozi­al­leh­re der Welt­kir­che im Blick haben, wenn es um das Kon­zept einer neu­en Welt­wirt­schafts- und Sozi­al­ord­nung geht. Lei­der haben sie bis heu­te kaum begrif­fen, wie welt­weit bedeut­sam die Sozi­al­enzy­kli­ka Cari­tas in veri­ta­te von Papst Bene­dikt XVI. ist. Dabei hat gera­de die­ser „deut­sche“ Papst an das Kon­zept einer „Sozia­len Markt­wirt­schaft“ ange­knüpft, wie es in Deutsch­land ent­wor­fen wur­de, und es auf die Ebe­ne der Welt­wirt­schaft übertragen.

4. Glau­ben Sie, wie vie­le sagen, daß die Pädo­phi­lie-Skan­da­le der ver­gan­ge­nen Jah­re so wich­tig für die gerin­ge­re Auto­ri­tät der Kir­che waren?

Die­se medi­al insze­nier­ten Skan­da­le haben in der Tat die öffent­li­che Glaub­wür­dig­keit der Kir­che stark redu­ziert. Die vie­len, über lan­ge Zeit­räu­me zusam­men­ge­tra­ge­nen Miss­brauchs­fäl­le sind aller­dings skan­da­lös und pein­lich, wenn man sie nach den mora­li­schen Maß­stä­ben der Kir­che misst. Man soll­te nicht ver­ges­sen, daß die alte grie­chisch-römi­sche Pädo­phi­lie erst durch die Kir­che geäch­tet wur­de. Das „Loli­ta-Phä­no­men“ wird heu­te noch lite­ra­risch ver­klärt. Dar­um soll­te man von die­ser Kir­che gera­de heu­te erwar­ten, daß sie alle Fäl­le von Kin­des­miss­brauch, die sich heu­te beson­ders im fami­liä­ren und staat­li­chen Erzie­hungs­be­reich ereig­nen, mas­siv kritisiert.

5. Wel­che Bedeu­tung hat­te für die Katho­li­ken der Besuch von Papst Bene­dikt XVI. in Deutsch­land im Sep­tem­ber? Ich mei­ne ins­be­son­de­re die Rede vor der Bun­des­ver­samm­lung wird von den Poli­ti­kern nicht ernst genom­men? Oder?

Es ging in die­ser bedeut­sa­men Rede um das Pro­blem des Natur­rechts, also um die Unter­schei­dung zwi­schen posi­ti­vi­sti­scher Lega­li­tät und vor­po­si­ti­ver Legi­ti­mi­tät. Es ging also um die uralte Fra­ge: Wie gerecht sind die staat­li­chen Geset­ze? Eine klas­si­sche phi­lo­so­phi­sche Fra­ge, die nicht erst bei Cice­ro anklingt. Lei­der gibt es zu die­ser ent­schei­den­den Fra­ge nur weni­ge Poli­ti­ker, die bereit sind, dar­über öffent­lich zu dis­ku­tie­ren. Für die mei­sten ist es nur eine höchst per­sön­li­che Gewis­sens­fra­ge und Gewis­sen­ent­schei­dung. Aber nach wel­chen objek­ti­ven Kri­te­ri­en? Dar­über wird eine neue Dis­kus­si­on zu füh­ren sein, an der sich alle Tei­le der Gesell­schaft zu betei­li­gen haben.

6. Wel­che Zukunft sehen Sie für die Katho­li­ken in der deut­schen Gesell­schaft und in der deut­schen Poli­tik? Hat der „Ber­li­ner Kreis“ eine Zukunft?

Die deut­schen Katho­li­ken haben nur eine Zukunft in Gesell­schaft und Poli­tik, wenn sie ein­heit­lich auf­tre­ten. Dazu gehört ein kla­res Bekennt­nis zur römisch-katho­li­schen Welt­kir­che, deren Teil sie sind. Andern­falls zer­split­tern sie sich wie die Pro­te­stan­ten, wo jeder sein eige­ner Papst ist. Der „Ber­li­ner Kreis“ besteht zwar nicht nur aus gläu­bi­gen Katho­li­ken. Aber er könn­te Bei­spiel geben für eine christ­li­che Demo­kra­tie, die nicht nur dem Mer­kel-Prag­ma­tis­mus anhängt, son­dern klas­si­sche und christ­li­che Wer­te ver­tei­digt, die einer wahr­haft euro­päi­schen Ord­nung entspricht.


* Der Domi­ni­ka­ner Pater Wolf­gang Ocken­fels (Jahr­gang 1947) ist Pro­fes­sor für Christ­li­che Sozi­al­wis­sen­schaft und Ethik an der Theo­lo­gi­schen Fakul­tät der Uni­ver­si­tät Trier und Chef­re­dak­teur der Zeit­schrift „Die Neue Ord­nung“ (Bonn).

Vito Pun­zi (Jahr­gang 1961), Jour­na­list, Über­set­zer und Ger­ma­nist, lehrt deut­sche Kulturgeschichte

Erst­ver­öf­fent­li­chung in ita­lie­ni­scher Spra­che: Bus­so­la Quotidiana
Bild: Jens Falk

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