(New York) Der Skandal rund um pädophile Kleriker war ein reinigendes Gewitter. Die neue Sensibilität führte in der katholischen Kirche zur Erneuerung durch Reinigung. Die positiven Folgen sind in den USA bereits sichtbar. Nach dem „schrecklichen Jahrzehnt“, wie in kirchlichen Kreisen der USA die Jahre zwischen 2001 und 2011 genannt werden, in denen über die Kirche schwere Image- und Finanzprobleme hereinbrachen, sind deutliche Signale der Erholung erkennbar.
Boston: gestern Epizentrum des Pädophilieskandals, heute Symbol der Erneuerung
Im vergangenen Jahr wurden in den USA 467 Neupriester geweiht. Geradezu auffallend ist dabei , daß gerade das Priesterseminar der Erzdiözese Boston, die in der jüngeren Vergangenheit das amerikanische Epizentrum des Pädophilieskandals war, zum neuen Symbol der Erneuerung geworden ist. 2003 sandte der Papst Sean Patrick O’Malley aus dem Kapuzinerorden nach Boston, um als neuer Erzbischof eine grundlegende Reinigung der Erzdiözese durchzuführen. Sein Vorgänger war 2002 im Alter von erst 70 Jahren abgesetzt und zunächst als Seelsorger in ein Nonnenkloster geschickt worden.
Priesterseminar Boston: 2011 Bewerber aus Platzmangel abgewiesen
Um das Erbe, das Erzbischof O’Malley antrat, beneidete ihn kein Bischof, doch das schreckte den Sohn des heiligen Franz von Assisi nicht ab. Mit seiner klaren Linie aus Kirchentreue, ernster Strenge und neuer Armut (die Diözese war durch Schadensersatzzahlungen pleite) gelang ihm in nicht einmal einem Jahrzehnt ein Neuanfang, sodaß er im vergangenen Herbst aus Platzmangel Bewerber für das Priesterseminar abweisen mußte.
Selbst das Wall Street Journal berichtete von diesem „unerwarteten Boom“ mit einer umfangreichen Reportage über den neuen „siegreichen Katholizmus“. Die Wirtschaftszeitung führt dieses überraschende Phänomen, das nicht nur in der Erzdiözese Boston sichtbar wird, auf die „traditionelle Form“ des Katholizismus einer neuen Bischofsgeneration zurück, auf die sogenannten „kreativen Konservativen“, wie die von Papst Benedikt XVI. ernannten Bischöfe in den USA inzwischen genannt werden.
Die positive Entwicklung der Priesterberufungen in den USA steht in direktem Gegensatz zur Berufungskrise in den westlichen Ländern Europas. In den USA sank 2011 im fünften Jahr hintereinander das Alter der Neupriester, während in Europa die Zahl der Neupriester sinkt und jene der Spätberufenen steigt.
Studie der Universität Georgetown: Die neuen Seminaristen beten regelmäßig Rosenkranz und pflegen eucharistische Anbetung
Die Universität Georgetown führte eine Studie unter den amerikanischen Seminaristen durch. 69 Prozent der Seminaristen sind Weiße, 15 Prozent Hispanics, 10 Prozent, Asiaten und Ozeanier und sechs Prozent Afroamerikaner. Etwa jeder Dritte hat einen Verwandten, der Priester oder Ordensmann ist. Mehr als die Hälfte haben mehr als zwei Geschwister, jeder Vierte hat sogar fünf oder mehr Geschwister. 21 Prozent der Neueintritte 2011 nahmen an einem Weltjugendtag unter Papst Benedikt XVI. teil. 70 Prozent beten regelmäßig den Rosenkranz, 65 Prozent nahmen vor ihrem Eintritt ins Seminar an eucharistischen Anbetungen teil. Im Durchschnitt verspürten die neuen Seminaristen ihre Berufung im Alter von 16 Jahren. In 66 Prozent der Fälle kam ein entscheidender Anstoß zum Eintritt ins Seminar von einem Priester. 71 Prozent gaben an, in ihrer Berufung von einem Priester, Freund, Großvater, Verwandten oder Pfarrangehörigen ermutigt worden zu sein. Etwa die Hälfte, daß andere sie davon abzuhalten versuchten.
US-Phänomen ein Vorbild für Europa
Die gegenläufige Tendenz der USA wird besonders im Vergleich zu Irland deutlich, das ebenfalls vom Pädophilieskandal erschüttert wurde. Auf der grünen Insel nahm die Zahl der Priester im vergangenen Jahrzehnt um zehn Prozent ab. Das amerikanische Beispiel könnte zum Vorbild für jene Teile Europas werden, allen voran Frankreich, in denen die Berufungskrise zu einem dramatischen Priestermangel führte.
Weltweit nahm die Zahl der Seminaristen in den vergangenen fünf Jahren um 4 Prozent zu, wie das Päpstliche Jahrbuch Annuarium Statisticum Ecclesiae offenlegt. Die geographischen Unterschiede sind signifikant, weshalb Papst Benedikt XVI. bereits vor einiger Zeit anordnete, das Phänomen genau zu studieren.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Roman Catholic Vocations