Die andere Wahrheit über Syrien: „Revolution“ wird islamischer, Christenverfolgung nimmt zu


(Damas­kus) In Homs gehen die Kämp­fe zwi­schen der syri­schen Armee und den Rebel­len­ver­bän­den wei­ter. Dem rus­si­schen Außen­mi­ni­ster Ser­gej Law­row sag­te Syri­ens Staats­prä­si­dent Baschar al-Assad zu, sich für eine Waf­fen­ru­he und einen natio­na­len Dia­log ein­zu­set­zen. Law­row erklär­te nach sei­nen Gesprä­chen in Damas­kus: Das Schick­sal Assads „muß von den Syrern ent­schie­den wer­den“, wäh­rend er die Abbe­ru­fung der Bot­schaf­ter durch ver­schie­de­ne Län­der als „unlo­gisch“ bezeich­ne­te. Am 4. Febru­ar ver­hin­der­ten Ruß­land und die Volks­re­pu­blik Chi­na mit ihrem Veto eine Ver­ur­tei­lung Syri­ens durch den Welt­si­cher­heits­rat. Seit­her suchen Diplo­ma­ten nach neu­en Wegen, um die syri­sche Kri­se zu been­den. Gleich­zei­tig über­schla­gen sich Demen­ti und Wider­ru­fe, wonach die USA die Mög­lich­keit einer Mili­tär­ak­ti­on prü­fen würden.

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Bericht­erstat­tung über Syri­en im Westen verzerrt

Die Lage in Syri­en gibt unter­des­sen Anlaß zur Sor­ge. Es meh­ren sich die Signa­le einer zuneh­men­den reli­giö­sen Radi­ka­li­sie­rung, wie Asia­News berich­tet. Die von Asia­News kon­tak­tier­ten Quel­len zeich­nen ein Bild, das sich deut­lich von der all­ge­mei­nen Medi­en­be­richt­erstat­tung unter­schei­det. Die Gewalt gegen die Bevöl­ke­rung geht dem­nach kei­nes­wegs nur vom Assad-Regime aus, son­dern von bei­den Konfliktparteien.

„In Homs wur­den zwei jun­ge Män­ner von Azer ermor­det. Bei­de Fami­li­en­vä­ter. Und zwar nicht von der Armee. Ihre ein­zi­ge Schuld bestand dar­in, daß sie sich nicht an dem von den Rebel­len ver­häng­ten Total­boy­kott betei­lig­ten. Was taten sie? Sie gin­gen zur Bäcke­rei, um Brot für sich und auch für jene zu holen, die nicht den Mut dazu hat­ten. Ande­re wur­den von den Rebel­len erschos­sen, weil sie zur Arbeit gin­gen.“ Die Oppo­si­ti­on und Staa­ten der ara­bi­schen Liga for­dern den Rück­zug der Armee. Die von Asia­News zitier­ten Quel­len ver­si­chern hin­ge­gen, daß es nur dem Schutz der Armee zu dan­ken sei, daß sich die Men­schen noch eini­ger­ma­ßen frei bewe­gen könn­ten. Ohne daß damit bestrit­ten wür­de, daß es auch durch das Mili­tär zur Gewalt­ak­ten komme.

Hin­ter poli­ti­schem Kampf ver­birgt sich reli­giö­ser Konflikt

In Homs, dem anti­ken Emesa, einst christ­li­cher Bischofs­sitz, sind die Chri­sten längst in das Visier der sun­ni­ti­schen Rebel­len gera­ten. Deren Gewalt rich­tet sich eben­so gegen die Ala­wi­ten. Die Fami­lie Assad gehört den Ala­wi­ten an. Die Ala­wi­ten wer­den den Schii­ten zuge­rech­net. Auf­grund sei­ner Her­kunft und zahl­rei­chen Berüh­rungs­punk­ten mit dem Chri­sten­tum, wird das Ala­wi­ten­tum teil­wei­se auch als isla­mi­sier­tes Chri­sten­tum ange­se­hen. Die Ala­wi­ten haben ihr Zen­trum in Syri­en, wo sie etwa 20 Pro­zent der Bevöl­ke­rung stel­len. Der im Westen als Kon­flikt zwi­schen Regime und Oppo­si­ti­on dar­ge­stell­te Kampf in Syri­en ist in Wirk­lich­keit auch ein reli­giö­ser Kon­flikt zwi­schen Sun­ni­ten und Ala­wi­ten. Die christ­li­che Min­der­heit gerät im Nahen Osten ein­mal mehr zwi­schen die Fron­ten. Sun­ni­ten haben Angst, ala­wi­ti­sche Dör­fer zu betre­ten und Ala­wi­ten haben Angst, sun­ni­ti­sche Dör­fer zu betre­ten. Es gibt Regio­nen Syri­ens, in denen sich die bei­den Grup­pen nach Kämp­fen in der Kon­trol­le der Gegend abwech­seln. Dabei kommt es jedes Mal zu zahl­rei­chen Mor­den an der jeweils unter­le­ge­nen Sei­te. Die Men­schen dort leben in stän­di­ger Angst.

Chri­sten und Ala­wi­ten im Visier isla­mi­sti­scher Sunniten

Asia­News zitiert nicht regi­me­na­he Quel­len: „Die Sicht der Din­ge klärt sich schritt­wei­se und sie ent­spricht nicht dem Bild der inter­na­tio­na­len Pres­se, wenn man es schafft, die dicke Mau­er der Des­in­for­ma­ti­on zu durch­sto­ßen. Die Rea­li­tät ist nicht so schwarz-weiß, wie sie uns ser­viert wird. Sie ist kom­plex. Wird es in einem desta­bi­li­sier­ten Syri­en noch Platz für die Chri­sten geben? Wird die Zukunft Syri­ens die des Irak sein?“, heißt es auf der Inter­net­sei­te des Klo­sters von Saint Jac­ques le Mutilé in Syrien.

Die Ordens­schwe­stern des Klo­sters, die auf­merk­sam die Ereig­nis­se beob­ach­ten, beschrei­ben die christ­li­che Min­der­heit von Homs, Hama (das anti­ke Epi­pha­neia) und Yab­rud (mit der grie­chisch-ortho­do­xen Kon­stan­tin und Hele­na-Kir­che) als „bestens in die Gesell­schaft inte­griert“. Seit Aus­bruch des Kon­flikts sei jedoch eine grund­le­gen­de Ver­än­de­rung im Gan­ge. „Der Kon­flikt wan­del­te sich von einer Volks­be­we­gung für Frei­heit und Demo­kra­tie am Anfang zu einer isla­mi­sti­schen Revo­lu­ti­on heu­te.“ Der Umbruch wur­de am 20. Janu­ar 2012 deut­lich sicht­bar, als die Revo­lu­ti­ons-Koor­di­nie­rungs­ko­mi­tees zum Frei­tags­ge­bet die Paro­le aus­ga­ben: „Das Volk erklärt den Dschihad!“

„Revo­lu­ti­on“ nimmt isla­mi­sti­sche Züge an und ist zur Chri­sten­ver­fol­gung übergegangen

Bis­her wur­den die Chri­sten in Syri­en nicht „direkt“ ver­folgt. Die Chri­sten wur­den Opfer der Gewalt, die die gesam­te Gesell­schaft traf. „Heu­te ist es anders. Eine im Unter­grund vor­han­de­ne Ten­denz wur­de zur offe­nen Rea­li­tät. Die Gewalt, über die wir berich­ten, ist heu­te offen anti­christ­lich“, so die Ordens­schwe­stern auf ihrer Internetseite.

Am 25. Janu­ar wur­de Pater Basi­li­os Nas­sar, grie­chisch-ortho­do­xer Kurat von Kafarb­o­hom, in der Pro­vinz Hama von Rebel­len ermor­det, als er einem von ihnen ange­grif­fe­nen Mann in der Jara­ji­ma-Stra­ße von Hama hel­fen wollte.

Am 24. Janu­ar wur­de der christ­li­che Major Zafer Karam Issa, 30 Jah­re alt, seit einem Jahr ver­hei­ra­tet, vor sei­nem Haus ermor­det. Sein Mör­der ist der Sohn des isla­mi­sti­schen Emirs von Yab­roud, Kha­dra, der dem Chri­sten mit ande­ren Isla­mi­sten auf­lau­er­te, des­sen Lei­che mit mehr als 100 Ein­schüs­sen gebor­gen wurde.

Ver­gan­ge­ne Woche wur­de der jun­ge Christ Khai­ro Kas­so­u­ha, 24 Jah­re alt, vor sei­nem Haus im Bezirk Al-Qusair ermordet.

Frau­en­klo­ster doku­men­tiert Christenverfolgung

Pater Mayas Abboud, Rek­tor des klei­nen, grie­chisch-ortho­do­xen Semi­nars von Damas­kus berich­te­te den Schwe­stern, daß er gestern von der Wit­we des christ­li­chen Mär­ty­rers Nidal Arba­che kon­tak­tiert wur­de. Arba­che war vor kur­zem von den Auf­stän­di­schen ermor­det wor­den. Am Tele­fon berich­te­te die Wit­we Pater Abboud, daß die Chri­sten von Al-Qusair ver­zwei­felt sei­en. Sie sei­en „schutz­los der Will­kür der Auf­stän­di­schen aus­ge­lie­fert. Es schützt uns nie­mand. Das ist mein Testa­ment: Soll­te mir etwas zusto­ßen, ver­traue ich Ihnen mei­nen Sohn an. Küm­mern Sie sich bit­te um ihn. Wir sind alle von den Mili­zio­nä­ren bedroht. Viel­leicht über­lebt niemand.“

Der Christ André Arba­che, der Ehe­mann von Vir­gi­nie Lou­is Arba­che wur­de ver­gan­ge­ne Woche von den Rebel­len ent­führt. Die Fami­lie rech­net mit dem schlimmsten.

Aus Al-Qusair berich­tet der Cou­sin von Pater Lou­ka, des Kura­ten von Nebek, daß die Rebel­len sich als Gerichts­be­hör­de auf­spie­len. Sie kon­trol­lie­ren auf offe­ner Stra­ße Per­so­nen. Befin­det sich der Name der kon­trol­lier­ten Per­son auf von den Revo­lu­ti­ons­ko­mi­tees erstell­ten Listen, wer­de sie sofort erschossen.

In der Pro­vinz Homs wur­den bereits mehr als 230 Chri­sten getö­tet und die Liste wird immer län­ger. Vie­le Chri­sten wer­den ent­führt. Die Auf­stän­di­schen ver­lan­gen meist 20.000–40.000 Dol­lar Löse­geld je Person.

80 Pro­zent der Chri­sten aus mos­le­mi­schen und gemisch­ten Stadt­vier­teln geflüchtet

Aus eini­gen mos­le­misch-christ­lich gemisch­ten Wohn­vier­teln Homs, wie Bab Sbah oder Hami­di­yeh, sind gut 80 Pro­zent aller Chri­sten geflüch­tet. Sie haben in ande­ren Regio­nen bei Ver­wand­ten oder Freun­den Zuflucht gesucht oder im Tal der Chri­sten. Die Chri­sten der Stadt und Pro­vinz von Hama machen es genau­so. Die Unru­he unter den Chri­sten wird mit Fort­dau­er der Rebel­li­on immer stär­ker. Die Flucht­be­we­gung der Chri­sten schwillt immer mehr an.

Die Ordens­obe­re Mut­ter Agnà¨s‑Mariam de la Croix unter­stütz­te mit Zustim­mung des Kon­vents den Dia­log zwi­schen den bei­den Kon­flikt­par­tei­en, anfangs sogar die Auf­stän­di­schen, als die Gegend vom Mili­tär besetzt wur­de. Sie erreich­te vom Mili­tär die Respek­tie­rung der Bewe­gungs­frei­heit für die Zivil­be­völ­ke­rung, die Frei­las­sung von Gefan­ge­nen, die ohne Gerichts­ver­fah­ren vom Mili­tär fest­ge­hal­ten wur­den, daß Oppo­si­tio­nel­le im Klo­ster siche­re Zuflucht haben und dort eine Oppo­si­ti­ons­ver­samm­lung abhal­ten kön­nen. Bei die­ser Ver­samm­lung wur­de ein Mani­fest für den natio­na­len Dia­log ver­ab­schie­det, das von Staats­prä­si­dent Assad spä­ter aner­kannt wur­de. Das Klo­ster mach­te die Welt­öf­fent­lich­keit als erstes auf­merk­sam, daß die Gewalt gegen die Zivil­be­völ­ke­rung nicht nur vom Mili­tär aus­geht, son­dern auch von den Auf­stän­di­schen. Seit­her befin­det sich Mut­ter Agnà¨s‑Mariam und ihr Kon­vent im Visier mili­tan­ter Mos­lems. Das Klo­ster bekräf­tig­te auf der Inter­net­sei­te jedoch sei­ne Hal­tung. Man sei stolz dar­auf, einen Bei­trag zu lei­sten, die Wahr­heit ans Licht zu brin­gen, auch Licht in die dunk­len Sei­ten des Krie­ges. Das Klo­ster ver­öf­fent­licht die wah­ren Listen der Toten und nicht die geschön­ten, wie sie sowohl von der Regie­rungs­sei­te als auch von der Inter­na­tio­na­len Stel­le zur Beob­ach­tung der Men­schen­rech­te in Syri­en ver­brei­tet wer­den, die jeweils eine Kon­flikt­par­tei begünstigen.

Mut­ter Agnà¨s‑Mariam und ihr Kon­vent leben in Todesgefahr

Mut­ter Agnà¨s‑Mariam besuch­te unter Lebens­ge­fahr die Oppo­si­ti­ons­vier­tel von Homs und in Al-Qusair. Das Klo­ster star­te­te eine Hilfs­ak­ti­on für not­lei­den­de Fami­li­en in die­sen Bezir­ken. Im Klo­ster beher­bergt die Schwe­ster­ge­mein­schaft eine gro­ße Zahl von obdach­lo­sen und schutz­su­chen­den Fami­li­en und Frau­en, aber auch zahl­rei­che Kin­dern, die allein auf­ge­fun­den wur­den oder aus­ge­setzt wor­den sind.

Text: Asianews/​Giuseppe Nardi
Bild: Asianews

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