(Rom/Econe) Warum wurde das „Angebot“, das Rom der Priesterbruderschaft St. Pius X. gemacht hat, noch nicht veröffentlicht? In Frankreich, der Heimat des verstorbenen Erzbischofs Marcel Lefebvre, des Gründers der Bruderschaft, wird über die Geheimhaltung der „doktrinellen Präambel“, die der Heilige Stuhl der Bruderschaft unterbreitet hat, weiterhin heftig diskutiert.
Von „La Croix“, der Tageszeitung der französischen Bischöfe, bis zur Internetnachrichtenseite „Baptise“ beschäftigt die Frage, ob „etwas, das alle betrifft, nicht von allen diskutiert werden sollte“. Die Glaubenskongregation übergab dem Generaloberen der Piusbruderschaft, Msgr. Bernard Fellay, eine „doktrinelle Präambel“ als Grundlage für die Versöhnung, ohne diesen Text jedoch öffentlich bekannt zu machen. Die Diskussion in Frankreich konzentriert sich auf die Entscheidung, die „Präambel“ weiterhin geheim zu halten. Die offizielle Erklärung des Heiligen Stuhls beschränkte sich auf die Mitteilung: „Diese Präambel legt einige Prinzipien in Glaubensfragen und Kriterien für die Interpretation der katholischen Lehre dar, die notwendig sind, um die Treue zum Lehramt der Kirche und zum sentire cum Ecclesia zu garantieren.“ Gleichzeitig wurde jedoch hinzugefügt: „Sie lässt dabei jedoch berechtigte Diskussionen, Studien und theologische Erklärungen mancher Ausdrücke oder bestimmter Formulierungen offen, die gegenwärtig in den Texten des II. Vatikanums und dem nachfolgenden Lehramt bestehen.“
„Diese Diskretion ist normal für jedes wichtige Vorhaben, sie garantiert dessen Seriosität. Die uns übergebene doktrinelle Präambel ist, wie im Begleitschreiben angegeben, ein Dokument, das mit Erläuterungen und Änderungen versehen werden kann. Es handelt sich um keinen endgültigen Text.“ Die einzige Sorge der Bruderschaft sei es, die vollständige Glaubenslehre der Kirche zu bewahren und ihr treu zu sein. Aus diesem Grund sei der Text in seiner Erstfassung einer Reihe von Klärungen zu unterziehen. Die Geheimhaltung begründet Msgr. Fellay auch damit, daß die Gefahr besteht, daß sich eine starke progressive Opposition erheben und die Versöhnung zwischen dem Heiligen Stuhl und der Piusbruderschaft behindern könnte. Für die Verhandlungen sei die nötige Ruhe und Entspannung angebracht. Diese sei nicht gegeben, wenn gleichzeitig mediale Interferenzen erfolgen.
Nun hänge alles von den weiteren Schritten der beiden Seiten ab, in wieweit man sich annähert. Bischof Fellay kündigte bereits an, daß das Ergebnis auf alle Fälle veröffentlicht werde, unabhängig vom Ausgang.
Eine Gruppe französischer Intellektueller wie Christine Pedotti, Anne Soupa, Thierry Jaillet und Gilles Marmasse gestehen der Entscheidung Roms, die “Präambel“ geheim zu halten, eine innere Kohärenz zu. Es gehe für Rom und die Piusbruderschaft darum, den Annäherungsprozeß abzuschließen und erst danach das Ergebnis und damit die Bedingungen und Zugeständnisse bekanntzumachen. Gleichzeitig kritisieren sie jedoch, daß eine Lösung nur an der Spitze den „sensus fidei“ verletze, die Fähigkeit der Gläubigen, die Wahrheit wahrzunehmen.
Der schwierigste Knoten, den es zu lösen gilt, ist die Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils, das von den Traditionalisten der Piusbruderschaft bisher völlig abgelehnt wird. Die Einigung mit Rom würde laut dem Sprecher der Bruderschaft in Frankreich, Pater Alain Lorans, für immer die kanonische Situation der Bruderschaft klären. Das wichtigste, so der Priester, sei jedoch, daß sie „der seit 40 Jahren oft verachteten oder sogar verfolgten Tradition das ihr zustehende Heimatrecht in der Kirche geben würde“. Der Weg dahin wurde von Papst Benedikt XVI. aufgestoßen mit dem Motu proprio Summorum Pontificum über die tridentinische Messe. Wenn Bischof Fellay nach reiflicher Prüfung zum Schluß gelange sollte, der „Präambel“ in ihrer Endfassung zustimmen zu können, „wird die Bruderschaft dem sicher zustimmern“, so Pater Lorans.
Es sei eine bedeutende Entwicklung im Gange. Die offizielle Stellungnahme des Heiligen Stuhls nach der Begegnung zwischen Kardinal William Levada und dem Generaloberen der Piusbruderschaft vom 14. September 2011 unterscheide sich in Ton und Inhalt deutlich von jener der Glaubenskongregation, die 2009 noch vor Beginn der Lehrgespräche zwischen dem Heiligen Stuhl und der Bruderschaft veröffentlicht wurde, so Pater Lorans. 2009 hieß es noch, daß „die Anerkennung des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Lehramtes von Johannes XXIII., Pauls VI., Johannes Pauls I., Johannes Pauls II. und Benedikts XVI. eine unerläßliche Bedingung für eine künftige Anerkennung der Priesterbruderschaft St. Pius X. ist“. Die Stellungnahme nach dem 14. September 2011 lässt hingegen „berechtigte Diskussionen, Studien und theologische Erklärungen mancher Ausdrücke oder bestimmter Formulierungen offen, die gegenwärtig in den Texten des II. Vatikanums und dem nachfolgenden Lehramt bestehen.“
Text: Vatican Insider/Giuseppe Nardi
Bild: Vatican Insider