(Hamburg) Unter dem Titel „Halsstarrigkeit im Namen Gottes“ veröffentlichte die Wochenzeitung „Die Zeit“ in ihrer Beilage „Christ und Welt“ (ehemaliger Rheinischer Merkur) ein Gespräch mit Norbert Bolz von der Technischen Universität Berlin.
Darin widerspricht der Religionswissenschaftler und Medientheoretiker der verbreiteten Überzeugung, daß die katholische Kirche „modern“ sein müsse. Vielmehr liege in der „Unzeitgemäßheit“ eine besondere „neue Macht“. So kommt er zum Schluß, daß die Priesterbruderschaft St. Pius X., wie wohl insgesamt der Traditionalismus sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft der katholischen Kirche verkörpert. Die Piusbruderschaft betone vor allem die dogmatische Glaubenslehre der Kirche, von der sich andere Teile in unterschiedlicher Akzentuierung entfernt hätten. Das „Dogma“ sei jedoch „ein identitätsstiftender Teil des Katholizismus“, was häufig vergessen werde. Papst Benedikt sehe, so Bolz, seine Aufgabe darin, an die konstitutiven Elemente des katholischen Glaubens zu „erinnern“ und „das zu stärken, was das Christentum dogmatisch zum Christentum macht“.
Zwischen den „Extremen“, die durch Bischof Bernard Fellay und die Piusbruderschaft auf der einen und Hans Küng und einem ungeduldigen Liberalismus auf der anderen Seite personifiziert werden, versuche der Papst zu vermitteln. Daß er dabei bei Fellay mehr Übereinstimmung finde als bei Küng, liege an der jeweiliger Akzeptanz der unveräußerlichen Glaubensinhalte.
Bolz irrt allerdings, wenn er meint, Benedikt XVI. habe nur das Gespräch mit Fellay, nicht aber mit Küng gesucht. Gleich nach seiner Wahl zum Papst lud er sowohl den einen als auch den anderen nach Castel Gandolfo ein. Daß sich daraus nur mit einer Seite eine Vertiefung der Gespräche ergab, liege weniger am Papst als an der inhaltlich substantiellen Bereitschaft seiner Gesprächspartner, ihn in seiner Absicht zu unterstützen, eine „in einer modernen Gesellschaft überlebensfähige Kirche zu gestalten“ , so Bolz.
Ein Gespräch mit den „Küngs“ als „Medienlieblingen“ sei, so Bolz, nicht notwendig. Die „reaktionäre Seite“ in die „offizielle Welt der Kirche“ zurückzuholen, sei die „problematischere“ Herausforderung für Benedikt XVI., die er wegen des Wesens des Katholizismus jedoch für notwendig erachtet.
Angesprochen auf die Befreiungstheologie, meinte Bolz, daß das ein alter Hut sei und„ihre besten Tage“ längst hinter sich habe. Deren „Revolutionspathos“ sei gegenüber Diktaturen „sinnvoll“, in Demokratien wirke sie hingegen nur „sentimental und naiv“. Die katholische Kirche richte ihr Interesse daher auf die Reaktion nicht auf die Revolution, so Bolz.
Auf die Frage ob es besser sei „ein Reaktionär zu sein als ein Gutmensch“ antwortete Bolz, daß der Papst „schlecht beraten“ wäre, wenn er „auf einmal zum Gutmenschen“ würde.
Die Meinung, daß eine Hinwendung zum Dogma zu Laienfrust und leeren Kirche führe, sei ein Irrtum, so Bolz. Die evangelischen Kirchen seien leer, weil sie sich durch eine „radikale Anpassung an den Zeitgeist“ in eine „Sackgasse“ manövriert hätten. Es gebe nämlich eine „wachsende Sehnsucht vieler Menschen nach Strenge, Tradition, Liturgie und dogmatischer Festigkeit“. Es sei durchaus denkbar, daß Papst Benedikt XVI. durch „die Macht der Unzeitgemäßheit“ der Kirche „neue Relevanz“ gebe.
Laut Bolz sehe der Papst in einer sich leerenden Kirche eine Voraussetzung, damit sie sich wieder füllt. „Ich halte dieses Kalkül nicht für unrealistisch“, so der Religionswissenschaftler. Papst Benedikt XVI. „ist der erste Papst, der den Mut hat, auszusprechen, was alle wissen“, aber offensichtlich viele nicht aussprechen wollen, daß die Kirche „mit ihrem Schrumpfen leben“ müsse. Doch der Papst bleibe nicht dabei stehen. Vielmehr sehe er „im Prozeß des Gesundschrumpfens“ die Chance, die eigentliche Glaubenslehre wieder sichtbar werden zu lassen. Deshalb setze er mehr auf Fellay und die Piusbrüder als auf Küng und die Liberalen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Benediktinerkloster Bellaigue