Sie nannten ihn Facebook: Das Kind als Objekt – Autonomastik als Fieberkurve der Zeit


(New York) „Habt ihr Face­book gese­hen?“ „Ja, er liegt oben im Bett.“ So oder ähn­lich wird es bald zu hören sein, zumin­dest in Ägyp­ten und Bra­si­li­en. Dort haben in den ver­gan­ge­nen Mona­ten zwei Paa­re ihr Kind „Face­book“ genannt. Kein Scherz, son­dern zwei­bei­ni­ge Fak­ten. Nach Kin­dern, die beim Stan­des­amt unter dem Namen „Yahoo“, „Pep­si“ oder „Cha­nel“ ange­mel­det wur­den, gibt es nun also auch Face­books. Tom­ma­so Scan­dro­glio mach­te auf die eigen­wil­li­ge Namens­wahl aufmerksam.

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Ein ägyp­ti­sches Paar woll­te damit dem gleich­na­mi­gen Gehäu­se für sozia­le Netz­wer­ke „dan­ken“, das beim Sturz von Staats­prä­si­dent Muba­rak ent­schei­dend gewe­sen sein soll. Der Kon­junk­tiv ist ange­bracht, denn schließ­lich leben wir im Zeit­al­ter der Werbestrategen.

Das zwei­te Paar stammt aus Bra­si­li­en und lern­te sich über Face­book ken­nen. Nach eini­gen Tau­send Kilo­bytes kam man sich näher. Um genau zu sein, heißt das aus die­ser Bezie­hung gebo­re­ne Kind Face­book­son, der Sohn von Face­book also. Ob Mark Zucker­berg dem­nächst einem Vater­schafts­test unter­zo­gen wird oder gar Eltern­rech­te gel­tend machen wird, ist der­zeit nicht bekannt.

Wie die zwangs­be­glück­ten Kin­der über ihre Namen aus dem Infor­ma­tik­zeit­al­ter den­ken wer­den? Die offen­sicht­lich als Super-Gag gedach­te Namens­wahl hat ein schnel­les Ver­falls­da­tum, wo jede tech­ni­sche Neue­rung nach weni­ger als einem Jahr bereits durch eine neue „Gene­ra­ti­on“ abge­löst wird. Bevor die Kin­der Fuß in einen Kin­der­gar­ten set­zen, wer­den sie schon „über­holt“ sein. Wer erin­nert sich schon noch an My Space, des­sen Erfin­der schwin­del­erre­gen­de Sum­men damit ver­dien­ten, weil es „alle“ nützten?

Abge­se­hen davon dürf­te es nicht gera­de das Umwer­fend­ste sein, „Tage­buch“, „Merk­heft“, „Taschen­ka­len­der“ oder „Jahr­buch“ zu hei­ßen. Letz­te­res ist die Über­set­zung von „Face­book“. Zucker­berg, der Erfin­der die­ser Inter­net­platt­form, auf der jeder sich sein eige­nes sozia­les Netz­werk basteln kann, nahm sei­ne Anre­gung von den Jahr­gangs­bü­chern der ame­ri­ka­ni­schen Col­leges und Uni­ver­si­tä­ten, in denen die Stu­den­ten mit Bild und Anga­ben „ver­ewigt“ wer­den, als er sei­ne Web­sei­te erfand.

Die Mög­lich­keit, daß die bei­den Face­books ein­mal leben­de Wer­be­trä­ger für Zucker­bergs lukra­ti­ve Schöp­fung wer­den könn­ten, wür­de zwar den kom­mer­zi­el­len Pro­mo­ti­ons­stra­te­gien der Zeit ent­spre­chen, wirkt aber mehr absto­ßend, denn anziehend.

Damit wären wir beim wohl sprin­gen­den Punkt. Eltern ent­schei­den sich, ihren Kin­dern einen Pro­dukt­na­men zu geben. Die Ver­ding­li­chung des Men­schen wird dar­in greif­bar, wie sie auch bei Klon­ver­su­chen und der künst­li­chen Befruch­tung her­vor­tritt. Das Kind wird als beweg­li­ches Objekt betrach­tet. Viel­leicht als Luxus­ge­gen­stand, aber eben als Gegen­stand, mit dem man sich das eige­ne Dasein „ein­rich­tet“, wie durch ein Möbel­stück eine Woh­nung. Ein neu­es Kind, ein neu­es Pro­dukt! Ob die bei­den Paa­re ihr näch­stes Kind Face­book 2 nen­nen wer­den, soll­te Zucker­berg ein Update auf den Markt bringen?

Wie­viel Para­dig­ma­ti­sches liegt in die­ser tra­gi­ko­mi­schen Chronik­mel­dung aus Kai­ro und Rio de Janei­ro? Sie signa­li­siert jeden­falls eine neue anthro­po­no­masti­sche Aus­drucks­form der Ent­christ­li­chung. Kei­nes­wegs die erste und wohl auch nicht die letz­te. Das Stu­di­um der Vor­na­mens­prä­fe­ren­zen in den ver­schie­de­nen Epo­chen erschließt inter­es­san­te Erkennt­nis­se. Heu­te läßt sich ein Über­gang von den Hei­li­gen zu vir­tu­el­len Namen fest­stel­len. Nomen est omen, sagt die Volks­weis­heit. Die Wahl eines Hei­li­gen­na­mens war durch die Tau­fe eine Form von Bin­dung, die den Namens­trä­ger einem himm­li­schen Für­spre­cher anver­trau­te, ihn vor allem jedoch zu from­mer Recht­schaf­fen­heit und einem tugend­haf­ten Leben anhal­ten soll­te. Papst Bene­dikt XVI. for­der­te zum Drei­kö­nigs­fest 2011 die Eltern auf, ihren Kin­dern Namen von Hei­li­gen geben.

Kaum gebo­ren, dach­te man bereits an die himm­li­sche Zukunft, da dies­sei­ti­ges und jen­sei­ti­ges Leben eine bekann­te Ein­heit dar­stell­ten. Schließ­lich, so waren sich vie­le Gene­ra­tio­nen bewußt, liegt im Stre­ben nach dem See­len­heil die letzt­lich ein­zig rele­van­te Her­aus­for­de­rung irdi­scher Umtrie­big­keit. Der Namens­pa­tron, ein Hei­li­ger, ein Seli­ger oder ein Mär­ty­rer waren Weg­ge­fähr­ten, die ange­ru­fen wur­den. Wen wer­den wohl die Face­books anru­fen? Zucker­berg? Er wird sich wahr­schein­lich hüten, ihnen sei­ne Tele­fon­num­mer zu geben. Wann wer­den sie ihren Namens­tag fei­ern? Am Grün­dungs­tag von Face­book? Ob Zucker­berg in sei­ner Fir­men­ge­schich­te einen exak­ten Tag „kano­ni­siert“ hat?

Die über­lie­fert Pra­xis in der Namens­wahl bevor­zug­te die Tra­di­ti­on vor der Exzen­trik. Ein Name wur­de nicht aus­ge­wählt, um den unge­frag­ten Namens­trä­ger bewußt über alle ande­ren zu erhe­ben, um einer mög­lichst auf­fäl­li­gen Mode nach­zu­hän­gen. Die Namens­wahl erfolg­te ein­ge­bet­tet in eine jahrhunderte‑, ja jahr­tau­sen­de­al­te Tra­di­ti­on eines Vol­kes, eines Lan­des, einer Reli­gi­on. Die Namen waren aus­nahms­los spre­chend, ob es sich nun um die Namen der jüdi­schen oder ger­ma­ni­schen Über­lie­fe­rung han­delt: „Face­book“ (Gesichts­buch) klingt dage­gen nach dem, was es ist: lee­rer Tech­nik. Durch die Wie­der­ho­lung von Namen in ver­schie­de­nen Gene­ra­tio­nen wur­den im Zei­chen von Kon­ti­nui­tät und Fami­li­en­tra­di­ti­on Erin­ne­rungs­ket­ten geschaf­fen, die das Ein­ge­bet­tet­sein in ein grö­ße­res Gan­zes einer Fami­lie, eines Stam­mes, eines Vol­kes bewußt mach­te. Durch jede Erwäh­nung wur­de auch ein Onkel, ein Groß­va­ter oder Urah­ne, eine Urgroß­mutter oder Urur­groß­mutter in Erin­ne­rung geru­fen, die schon lan­ge nicht mehr lebten.

Die Mel­dung der bei­den neu­ge­bo­re­nen Face­books geht ein­her mit einer ande­ren Nach­richt aus Groß­bri­tan­ni­en. Dort kann man für ledig­lich 33 Pfund sei­nen Namen beim Stan­des­amt ändern las­sen. Die eng­li­schen Behör­den erle­ben einen Ansturm von Antrags­stel­lern. Mit gutem Grund sind sol­che Ände­run­gen in vie­len Län­dern durch hohe büro­kra­ti­sche Hür­den erschwert. Auch dar­in drückt sich eine Form von inne­rer Sta­bi­li­tät eines Gemein­we­sens aus.
Die Grün­de, wes­halb in Eng­land die Namens­än­de­run­gen boo­men sind natür­lich eben­so zahl­reich wie die Antrags­stel­ler. Sie rei­chen von den Steu­er­flücht­lin­gen bis zu den Aus­län­dern, die ihre Namen angli­sie­ren wol­len. Bizar­rer wird es, wenn man erfährt, daß es nun in Eng­land 30 Men­schen gibt, die mit Vor­na­men Micha­el Jack­son hei­ßen, 15 Way­ne Roo­ney, fünf Amy Wine­hou­se, fünf David Beck­ham. Um den oben begon­ne­nen Gedan­ken fort­zu­set­zen, könn­te man nach der Ent­christ­li­chung zugun­sten von Hit­lers und Sta­lins Neu­hei­den­tum, von einer Ent­christ­li­chung zugun­sten neu­er nicht-kano­ni­sier­ter Pop-Hei­li­gen sprechen.

Es han­delt sich nicht wirk­lich um ein neu­es Phä­no­men. Die Adep­ten des Futu­ris­mus nann­ten ihre Kin­der „Auf­zug“, „Licht“. Auch Kom­mu­ni­sten nann­ten ihre Kin­der in bewuß­ter Ableh­nung des Chri­sten­tums nach alt­rö­mi­scher Ein­falls­lo­sig­keit: Erster, Zwei­ter, Drit­ter, Letz­ter. Man­gels eines eige­nen mar­xi­sti­schen „Hei­li­gen­ka­ta­logs“ zog man blan­ke Ordi­nal­zah­len vor, zwi­schen die sich manch Lenin, Sta­lin und Kati­uscha ein­schlich, bei der nicht ganz klar war, ob eine klei­ne Katha­ri­na oder doch eine Sta­lin­or­gel gemeint war.

So blie­be noch die Fra­ge nach dem wach­sen­den Drang zur Namens­än­de­rung. Sie scheint Aus­druck jenes schran­ken­lo­sen Kapi­ta­lis­mus, der sich beherr­schend des Den­kens bemäch­tigt und damit in alle Lebens­be­rei­che hin­ein­dringt. Wie man ein Auto, ein Kleid, einen Fern­se­her wech­selt, wie man nach Funk­tio­na­li­tät und Qua­li­tät, vor allem aber nach Mar­ke schielt, so wech­selt man den Namen. Wie man die Frau nach „Lebens­ab­schnitt“ wech­selt, so wech­selt man durch die Namens­än­de­rung ein Stück von sich selbst und „erfin­det“ sich, so zumin­dest Wunsch und Trug­bild in einem, selbst neu. Der Name wird zum blo­ßen Acces­soire, wie letzt­lich alles in einer aus­tausch­ba­ren Welt. Die indi­vi­du­el­le Kennt­lich­keit einer Per­son, ihre seman­ti­sche Cha­rak­te­ri­sie­rung, die jeweils die Ein­zig­ar­tig­keit jedes Ein­zel­nen unter­streicht, wird zer­legt in vie­le Ein­zel­tei­le, die vor allem eines aus­zu­drücken schei­nen: die gro­ße Flucht des Men­schen vor der Rea­li­tät und sich selbst.

Der Mensch scheint nicht mehr der sein zu wol­len, der er ist. Er will der „Enge“, den Ein­schrän­kun­gen sei­nes Daseins ent­kom­men. Da er es natür­lich nicht kann, ver­sucht er es mit zuneh­men­dem Eti­ket­ten­wech­sel, der letzt­lich zum Eti­ket­ten­schwin­del wird, vor allem zum per­ma­nen­ten Selbst­be­trug. Geför­dert wird der Trend durch das kapi­ta­li­sti­sche Markt­ge­schrei, immer etwas Neu­es kau­fen zu sol­len, sich immer Neu­es anzu­schaf­fen, neue Märk­te zu erfin­den, die durch pfif­fig-aal­glat­te PR-Zen­tra­len „in“-gemacht wer­den, zum „must“, zur Mode auf­ge­bla­sen wer­den. Die Erfin­dung der Auto­no­mastik, der Selbst­be­stim­mung des Namens, wird damit zu einer Fie­ber­kur­ve unse­rer Zeit.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: BQ

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