(Erfurt) Bereits Bundespräsident Christian Wulff, sprach als persönlich Betroffener das Thema bei seinem Willkommensgruß an Papst Benedikt XVI. auf Schloß Bellevue an; daß das Thema vielen Deutschen am Herzen liege, betonte Stefan Vesper, der ZDK-Generalsekretär am Vorabend des Papstbesuches. Es geht um die konfessionell gemischten katholisch-protestantischen Ehen, die fast ein Drittel aller deutschen Ehen ausmachen. Die Paare können gemeinsam den Sonntagsgottesdienst besuchen, nicht aber zusammen die Heilige Kommunion empfangen. Dafür setzt die katholische Kirche das wahre Verständnis der Transubstantiation voraus, während ein katholischer Ehepartner nicht das in protestantischen Gottesdiensten verteilte Brot essen kann, da – mangels Weihepriestertum – die Realpräsenz Christi nicht gegeben ist und kein vollständiges Verständnis der heiligen Eucharistie vorhanden ist, die bis zur Kirchenspaltung auch für die heute protestantischen Gegenden galt.
Zuerst der wahre Glauben, dann eucharistische Gemeinschaft
Bei der Begegnung des Papstes mit den protestantischen Vertretern brachte der Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider, das Thema erneut vor: „Für uns alle wäre es ein Segen, in einer nicht allzu fernen Zeit eine eucharistische Gemeinschaft frei von Hindernissen möglich machen zu können.“
Die große Zahl an gemischtkonfessionellen Ehen verbunden mit einem radikalen Wissensschwund in religiösen Dingen, erzeugen Erwartungshaltungen, die eine den Glaubenskern berührende Frage zu einer bloßen „Willensfrage“ reduziert. Deshalb mahnte der Papst zur Geduld und schärfte in seiner Ansprache in der ehemaligen Erfurter Augustinerkirche den Blick auf das Wesentliche. Das gläubige Herz müsse die Wahrheit erkennen. Nur daraus könne wieder die verlorengegangene Einheit, nämlich die Einheit in Wahrheit wachsen. Beim Treffen mit den EKD-Vertretern sagte Papst Benedikt XVI.:
„Nicht Taktiken retten uns, retten das Christentum, sondern neu gelebter Glaube“
„Das Notwendigste für die Ökumene ist zunächst einmal, daß wir nicht unter dem Säkularisierungsdruck die großen Gemeinsamkeiten fast unvermerkt verlieren, die uns überhaupt zu Christen machen und die uns als Gabe und Auftrag geblieben sind. Es war der Fehler des konfessionellen Zeitalters, daß wir weithin nur das Trennende gesehen und gar nicht existentiell wahrgenommen haben, was uns mit den großen Vorgaben der Heiligen Schrift und der altchristlichen Bekenntnisse gemeinsam ist. […]
Freilich, die Gefahr, daß wir sie verlieren, ist nicht irreal. […]
Tiefgehender und in unserem Land brennender ist die zweite Herausforderung an die ganze Christenheit, von der ich sprechen möchte: der Kontext der säkularisierten Welt, in dem wir heute als Christen unseren Glauben leben und bezeugen müssen. Die Abwesenheit Gottes in unserer Gesellschaft wird drückender, die Geschichte seiner Offenbarung, von der uns die Schrift erzählt, scheint in einer immer weiter sich entfernenden Vergangenheit angesiedelt. Muß man dem Säkularisierungsdruck nachgeben, modern werden durch Verdünnung des Glaubens? Natürlich muß der Glaube heute neu gedacht und vor allem neu gelebt werden, damit er Gegenwart wird. Aber nicht Verdünnung des Glaubens hilft, sondern nur ihn ganz zu leben in unserem Heute. Dies ist eine zentrale ökumenische Aufgabe, in der wir uns gegenseitig helfen müssen: tiefer und lebendiger zu glauben. Nicht Taktiken retten uns, retten das Christentum, sondern neu gedachter und neu gelebter Glaube, durch den Christus und mit ihm der lebendige Gott in diese unsere Welt hereintritt. Wie uns die Märtyrer der Nazizeit zueinander geführt und die große erste ökumenische Öffnung bewirkt haben, so ist auch heute der in einer säkularisierten Welt von innen gelebte Glaube die stärkste ökumenische Kraft, die uns zueinander führt, der Einheit in dem einen Herrn entgegen. Und darum bitten wir Ihn, daß wir neu den Glauben zu leben lernen und daß wir so dann eins werden.“
Beim anschließenden Ökumenischen Gottesdienst vertiefte er den Gedanken:
„Im Vorfeld meines Besuches war verschiedentlich von einem ökumenischen Gastgeschenk die Rede, das man sich von einem solchen Besuch erwarte. Die Gaben, die dabei genannt wurden, brauche ich nicht einzeln anzuführen. Dazu möchte ich sagen, daß dies so, wie es meistens erschien, ein politisches Mißverständnis des Glaubens und der Ökumene darstellt. Wenn ein Staatsoberhaupt ein befreundetes Land besucht, gehen im allgemeinen Kontakte zwischen den Instanzen voraus, die den Abschluß eines oder auch mehrerer Verträge zwischen den beiden Staaten vorbereiten: In der Abwägung von Vor- und Nachteilen entsteht der Kompromiß, der schließlich für beide Seiten vorteilhaft erscheint, so daß dann das Vertragswerk unterschrieben werden kann. Aber der Glaube der Christen beruht nicht auf einer Abwägung unserer Vor- und Nachteile. Ein selbstgemachter Glaube ist wertlos. Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken und aushandeln. Er ist die Grundlage, auf der wir leben. Nicht durch Abwägung von Vor- und Nachteilen, sondern nur durch tieferes Hineindenken und Hineinleben in den Glauben wächst Einheit. Auf solche Weise ist in den letzten 50 Jahren, besonders auch seit dem Besuch von Papst Johannes Paul II. vor 30 Jahren, viel Gemeinsamkeit gewachsen, für die wir nur dankbar sein können. Ich denke gern an die Begegnung mit der von Bischof Lohse geführten Kommission zurück, in der ein solches gemeinsames Hineindenken und Hineinleben in den Glauben geübt wurde. Allen, die daran mitgewirkt haben, von katholischer Seite besonders Kardinal Lehmann, möchte ich herzlichen Dank aussprechen. Ich versage mir, weitere Namen zu nennen – der Herr kennt sie alle. Miteinander können wir alle nur dem Herrn danken für die Wege der Einheit, die er uns geführt hat, und in demütigem Vertrauen einstimmen in sein Gebet: Laß uns eins werden, wie du mit dem Vater eins bist, damit die Welt glaube, daß er dich gesandt hat (vgl. Joh 17,21).“
Mit Orthodoxen „Tag der gemeinsamen Eucharistie nicht fern“
Zu den Orthodoxen sagte Papst Benedikt XVI. bei der Begegnung in Freiburg im Breisgau am 24. September 2011 hingegen zur Frage der eucharistischen Gemeinschaft: „Unter den christlichen Kirchen und Gemeinschaften steht uns die Orthodoxie theologisch am nächsten; Katholiken und Orthodoxe haben beide die gleiche altkirchliche Struktur. So dürfen wir hoffen, daß der Tag nicht zu ferne ist, an dem wir wieder gemeinsam Eucharistie feiern können.“
Harter Schlagabtausch zwischen Kardinal Koch und EKD-Vorsitzendem Schneider
Die Forderung stand auch im Mittelpunkt einer gemeinsamen Pressekonferenz von Bischofskonferenz und EKD im Anschluß an die Begegnung mit Papst Benedikt XVI. An der stark besuchten Pressekonferenz nahmen der EKD-Ratsvorsitzende Schneider, der Vorsitzende der Bischofskonferenz Msgr. Zollitsch und der Präsident des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch. Trotz des herzlichen Klimas, in dem die ökumenische Begegnung mit dem Papst am Vormittag in Erfurt stattfand, kam es auf der Pressekonferenz zu einem zum Teil harten Schlagabtausch zwischen Kardinal Koch und dem EKD-Vorsitzenden, wenn auch in höflichem Tonfall.
Von Journalisten gefragt, behauptete Schneider, die Angelegenheit werde den katholischen Brüdern bereits „seit langem“ unterbreitet, was auf katholischer Seite einige Irritation auslöste. Kardinal Koch antwortete umgehend: Zuerst seien die „theologischen Fragen zu klären, angefangen bei den ethischen Fragen zum Leben“. Das seien „dringende“ Fragen, bei denen die Protestanten jedoch häufig weit von den katholischen Positionen entfernt seien. Schneider konterte mit dem Hinweis, daß die theologischen Fragen zwar wichtig seien, „aber die Wünsche und das konkrete Leben der Gläubigen“ seien eine nicht weniger wichtige „theologische Kategorie“.
EKD-Schneider: Papst hat Luther mit seinem Besuch de facto „rehabilitiert“
Auch zu Luther gingen die Positionen deutlich auseinander. Der EKD-Vorsitzende richtete die Frage „an die katholische Kirche“, ob sie sich die Gestalt des Erfurter Augustinermönches „als eine Art Scharnier zwischen unseren Kirchen“ vorstellen könne, „nachdem er ja beiden angehöre?“, in Anspielung an die Tatsache, daß Luther katholischer Priester und Mönch war, bevor er die Kirchenspaltung auslöste und sich von der katholischen Kirche lossagte. Schneider verstieg sich schließlich zur gewagten Behauptung, Papst Benedikt XVI. habe „heute“ mit seinem Besuch in Erfurt Luther zwar nicht formal, aber de facto „rehabilitiert“.
Kardinal Koch: Sehen sich Protestanten in Kontinuität oder im Bruch mit der Kirchengeschichte vor Luther?
Der vatikanische Leiter des ökumenischen Dialogs replizierte, indem er seinen Gesprächspartner herausforderte, auf die Frage zu antworten, ob sich die Protestanten „im Bruch mit der Vergangenheit der Kirche – einer Kirche der Freiheit, laut der Reformation – oder in Kontinuität“ mit den 1500 Jahren Kirchengeschichte bis Luther sehen.
Entsprechend offen ist die Frage nach den 500 Jahr-Feiern der Reformation (für die Protestanten), der Kirchenspaltung (für die Katholiken) im Jahr 2017. Die Protestanten möchten daraus ein Glaubensfest machen, das auch den Katholiken offensteht. Beide Seiten beeilten sich jedoch zu unterstreichen, daß es noch viel zu früh sei, über eine Einladung an den Papst zu diesem Anlaß zu sprechen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican Insider