Als Padre Kino ist er heute in den USA und Mexiko bekannt. Seine Statue steht in der Hall of Fame der Vereinigten Staaten von Amerika. Im Trentino, dem einstigen Welschtirol, feiert man in diesem Jahr den 300. Todestag des Tiroler Jesuiten Eusebius Franz Kühn, der bei den Italienern als Eusebio Francesco Chini bekannt ist. Es handelt sich um eine jener herausragenden Gestalten der Kirchengeschichte, die „in jedem Schulbuch stehen müßten, die aber kaum einem größeren Publikum bekannt sind“, so der Trentiner Franceso Agnoli.
Statue in der Hall of Fame des amerikanischen Kapitols
In Europa selbst in seiner engeren Heimat kaum mehr bekannt, ist Pater Kino in den Vereinigten Staaten von Amerika alles andere denn ein Unbekannter. Ihm ist in der Bundeshauptstadt Washington in der National Statuary Hall des Kapitols eine der bedeutendsten Ehrungen der USA zuteil geworden. Mit der Hall of Fame ehrt das amerikanische Parlament seit 1864 die 100 berühmtesten Amerikaner, zwei je Bundesstaat. Am Sockel der Statue findet sich die Inschrift: „Arizona, Eusebio Francisco Kino SJ, Entdecker, Historiker, Rancher, Missionsgründer und Indianerapostel“.
Da Kühn heute im Trentino als „Italiener“ wiederentdeckt wird, gilt es zunächst einen Blick auf die Herkunft dieses großen Jesuiten zu werfen. Eusebius Franz Kühn (Kuehn) wird 1645 am Tiroler Nonsberg geboren, der damals zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörte. Am 10. August wird er in Segno, heute ein Ortsteil der Gemeinde Taio getauft. Der Nonsberg gehört zu jenem deutsch-italienischen Grenzraum Tirols, in dem es damals für jeden Ort einen welschen und einen deutschen Namen gibt: Taio, lautet der italienische Name, Theyl der deutsche. Nicht nur der Adel, dem auch die Familie Kühn angehört, spricht im 17. Jahrhundert mit einer Selbstverständlichkeit italienisch und deutsch.
Der Nonsberger „Italiener“, der gar kein Italiener war
Im Reich geboren, ist auch Eusebius Franz Kühn „Nationis germanicae“, also Teutscher Nation. Taio gehörte innerhalb des habsburgischen Tirols zum Hochstift Trient, einem geistlichen Reichsfürstentum. Dies erklärt, warum die Quellen unterschiedliche Angaben sowohl zu seiner Volks- als auch Staatszugehörigkeit machen und ihn teilweise als Deutschen, als Österreicher oder als Italiener nennen. Heute gehört das Trentino zu Italien, das es im modernen Sinn zur Zeit Kinos noch nicht gab. In seinem Geburtsort erinnern noch einige deutsche Familiennamen wie Tarter, Emer, Visintainer und vielleicht auch Inama (aus dem bayerischen Inham?) an die einstige deutsche Präsenz in Taio. Sie gehören noch heute zu den in Taio am häufigsten vorkommenden Familiennamen. Die deutsche Sprache ist jedoch völlig verklungen.
Und damit zurück zu Eusebius Franz Kühn. Seine Ausbildung, wie für den kaisertreuen Tiroler Adel üblich, erfährt der junge Kühn in Innsbruck, um genau zu sein am Jesuitenkolleg in Hall in Tirol. Im Alter von 20 Jahren tritt er am 20. November 1665 in Landsberg am Lech der Oberdeutschen Provinz der Gesellschaft Jesu bei. Die Jesuiten entfalteten zu jener Zeit als Männer von herausragender Kultur und Teil der wissenschaftlichen Elite eine besondere Anziehungskraft. Sie zeichneten sich gleichzeitig durch bedingungslose Treue zum Papst und dem römischen Lehramt aus.
Statt Universitätskarriere drängt es Kühn in die Mission
Der Orden schickt Kühn zum Studium der Philosophie und Theologie nach Freiburg im Breisgau, Ingolstadt und Innsbruck. In Freiburg und Ingolstadt studierte er auch Mathematik, Astronomie und Geographie, nicht zuletzt auch wegen seines Wunsches, in die Chinamission zu dürfen. Am 22. Juni 1672 empfängt er, wohl in Eisenstadt die Priesterweihe, und bewirbt sich umgehend um die Entsendung in die Mission, beseelt vom Auftrag Christi, in alle Welt hinauszugehen und das Evangelium zu verkünden. Aus diesem Grund schlägt der herausragende Mathematiker 1676 die Berufung auf den Lehrstuhl für Mathematik in Ingolstadt aus, zu der ihn der der Herzog von Bayern bewegen wollte.
1678 ist es schließlich soweit. Sein Orden beruft ihn in die Mission, allerdings nicht nach China, sondern nach Amerika. Zweieinhalb Jahre verbringt Pater Kühn zur Vorbereitung und zum Erlernen der spanischen Sprache im damals ebenfalls habsburgischen Spanien, wo er den Kometen Halley studiert. In Kastilien wird sein Name zu Kino umgeformt, um ihn für die Spanier leichter aussprechbar zu machen.
Als leitender Missionar und königlicher Kosmograph landet er 1681 in Vera Cruz im Vize-Königreich Neu-Spanien. Den Kern Neu-Spaniens bildet das heutige Mexiko. Dazu gehörten fast ganz Mittelamerika, Kuba, Florida, der ganze pazifische Westen der heutigen USA von Texas über Arizona und Kalifornien bis nach Alaska, Venezuela, Südseeinseln und die Philippinen.
Missionar und Forschungsreisender
In der Neuen Welt kann Pater Kino seine Fähigkeiten als Mathematiker, Astronom, Kartograph, Handwerker, Entdecker und Erforscher, vor allem aber als Mann Gottes unter Beweis stellen. Von Mexiko-Stadt aus nimmt er an der Atondo-Expedition zur Erkundung von Nieder-Kalifornien (California Baja) teil. 1687 wird er mit der Missionierung der Pima-Indianer in Pimeràa Alta (heute Nordwest-Mexiko und Süd-Arizona) beauftragt. Dort gründet er die erste Missionsstation Nuestra Señora de los Dolores, von wo aus er bis an sein Lebensende die gesamte Missions- und Forschungstätigkeit organisiert. Mehr als 40 Expeditionen unternimmt er von Dolores aus zur Erkundung und Missionierung Kaliforniens und der angrenzenden Gebiete und entdeckt dabei die Mündungen des Colorado und des Gila. Sein riesiges Missionsgebiet umfaßt mehr als 130.000 Quadratkilometer, seine Forschungsreisen führen ihn im Norden bis über den Colorado River und im Westen bis an den Pazifik. Parallel zur Evangelisierung der Indianer erforscht er das Land und erfaßt es kartographisch. Von Pater Kino stammen die ältesten Landkarten des heutigen Westens der Vereinigten Staaten von Amerika. Bei einigen Missions- und Forschungsreisen wird er von zwei deutschen Mitbrüdern, Pater Markus Anton Kapp und Pater Adam Gilg begleitet, die erste völkerkundliche Abhandlungen über die Indianer dieses immensen Raumes verfassen. Auf seine Entdeckungen geht das Wissen zurück, daß Nieder-Kalifornien keine Insel, wie damals allgemein angenommen, sondern eine Halbinsel ist.
Pater Kino tritt als unermüdlicher Verkünder des Evangeliums auf. Er gründet von Dolores aus eine Reihe von Missionsstationen und schiebt die Missionsgrenze um etliche Hundert Kilometer weiter nach Norden. Seine Berichte über die Amerika-Mission lösen im deutschen Sprachraum große Begeisterung aus, was Pater Kinos Sorge um ausreichend Ordenskräfte in der Mission entgegenkommt. Der Enthusiasmus unter den deutschen Jesuiten ermöglicht die Gründung ganzer Missionsketten bis Kalifornien. Wegen der unwirtlichen Landschaft entwickelt Pater Kino ein Programm zur Selbstversorgung jeder Station durch Viehzucht, Obst- und Gemüseanbau.
Verteidiger der Indianer in der Tradition Bartolomeo de las Casas
Die Indianer, denen er den christlichen Glauben bringt, unterweist er in der Landwirtschaft und macht sie mit neuen Formen der Hygiene vertraut. Pater Kino hat mit einer oft grausamen Realität zu tun, die nichts mit dem Mythos vom „guten Wilden“ gemein hat, den später manche Kreise der westlichen Gesellschaft hegen und pflegen sollten. Vor allem vermittelt er den Indianern rastlos friedvolle, zwischenmenschliche Umgangsformen und tritt gegen die blutigen und ebenso sinnlosen Stammeskämpfe und Grausamkeiten von Stammesritualen auf. Er hilft ihnen, das Nomadendasein aufzugeben und seßhaft zu werden. Statt in Hütten und Höhlen zu leben, lernt er ihnen solide Häuser aus Ziegelsteinen zu bauen. Die Indianer mit dem Getreideanbau vertraut zu machen, ermöglichte deren Seßhaftwerden und das Zusammenleben in größeren Gemeinschaften. Die Schaffung größerer Orte bot wiederum Sicherheit gegen die ständige Gefahr von Apachenangriffen.
Durch die Erschließung von Nord-Sonora und Süd-Arizona durch die Landwirtschaft spielt Pater Kino eine entscheidende Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. Der amerikanische Historiker Herbert Bolton bezeichnete den Jesuiten als „ersten Rancher“, sein Kollege Peter Horwath als „ersten Cowboy“. Keine 200 Jahre nach Pater Kino waren die Pima-Gebiete zum Kornspeicher des neugegründeten Staates Arizona geworden.
Sein Ziel, ganz Kalifornien und vor allem die berüchtigten Apachen zu missionieren und zu befrieden, und eine Verbindung zwischen seiner Mission im Süden und der französischen Mission in Kanada herzustellen, gelingt ihm allerdings nicht. „Freundlich und bescheiden, zugleich mutig und couragiert, asketisch in der persönlichen Lebensführung“, dessen erstes Anliegen das Wohlergehen der Indianer war, wurde Pater Kino zum Vorbild der deutschen Jesuitenmissionare. In der Tradition eines Bartolomeo de las Casas tritt er zur Verteidigung der Indianer gegen die spanischen Funktionäre und Grundherren auf. Er kämpft gegen die De-facto-Sklaverei, mit der Spanier die Indianer zum Erzabbau zwingen wollten und tritt für die Einhaltung der Indianergesetze der spanischen Krone ein. Unter den Indianern hatte sein Wort mehr Gewicht als jede spanische Militärgarnison erzwingen konnte, wie Zeitgenossen feststellten.
Jede der Missionsstationen besucht er immer wieder auf seinem treuen Pferd, begleitet von seinem Hund und einer sprechenden Amsel. Pater Kino erlernt die Sprache der Pima und ihre Sitten. Gemeinsame religiöse Elemente bilden den Ausgangspunkt seiner Evangelisierungsarbeit. Die Pima, obwohl Polytheisten, die Schamanen und Hexenmeistern folgen, bewahrten sich die Erinnerung an einen Schöpfergott und eine Art Ursünde. Daran knüpfte er an.
Pater Kino, der Indianerapostel stirbt am 15. März 1711 an Fieber in der von ihm gegründeten Missionsstation Santa Maràa Magdalena de Buquivaba im Norden des heutigen mexikanischen Bundesstaates Sonora. Da der herausragende Missionar dort begraben liegt, wurde die heute 40.000 Einwohner zählende Stadt 1966 auf Wunsch der ihn verehrenden Bevölkerung in Magdalena de Kino umbenannt. Aus mehreren seiner Missionsstationen wurden Städte im heutigen Mexiko, Kalifornien und Arizona.
Ein Missionar als „Gründervater Arizonas“
Der Tiroler Jesuit wird heute sowohl in den USA als auch in Mexiko geehrt und verehrt. Während er in Europa weitgehend unbekannt ist, tragen in den beiden amerikanischen Staaten zahlreiche Städte, Orte, Straßen und Schulen seinen Namen. Ihm wurden an verschiedenen Orten Denkmäler errichtet und nicht zuletzt in der 1864 geschaffenen National Statuary Hall des Kapitols in Washington eine Statue gewidmet. 1977 entstand der Film: „Father Kino, Padre on Horseback“, auch bekannt unter dem Titel „Mission to Glory: A True Story“.
Seinen Spuren folgte übrigens der spanische Franziskaner, Junà¬pero Serra, der zum Apostel Kaliforniens wurde. Aus dessen Missionsgründungen, die an jene von Pater Kino anschlossen, entstanden die Städte San Francisco, Los Angeles, San Diego, Santa Barbara und andere mehr. Er folgte dem Missionsideal des Jesuiten Kino: Missionierung der Indianer, Unterweisung in Ackerbau und Viehzucht und ihre Verteidigung gegen den Mißbrauch durch die Europäer.
Pater Serra ist der einzige Spanier, der Aufnahme in die National Statuary Hall des Kapitols fand. Pater Eusebius Franz Kühn, alias Padre Kino ist allerdings nicht als „einziger Italiener“ in der Hall of Fame des amerikanischen Parlaments verewigt, wie es neuerdings in italienischen Veröffentlichungen heißt, sondern als „German“.
.
- Senft, Willi: Kühn, Eusebius Franz, in: Austria-Lexikon [Onlinefassung] URL: https://www.austria-lexikon.at/af/Wissenssammlungen/Biographien/Kühn,_Eusebius_Franz
- Dörflinger, Johannes, „Kino, Eusebio“, in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977), S. 625 f [Onlinefassung] URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd119167670.html
- Borengässer, Norbert M.: „Kino, Eusebio Francisco“, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon III (1992), Spalten 1506–1509
[Onlinefassung] URL: https://www.bautz.de/bbkl/k/Kino.shtml - Silvercruys, Suzanne: Kino, Eusebio, in: World News
[Onlinefassung] URL: https://wn.com/eusebio_kino?orderby=relevance&upload_time=this_month - Agnoli, Francesco: Padre Kino, in: Il Foglio v. 2. Juni 2011
[Onlinefassung] URL: https://www.libertaepersona.org/dblog/articolo.asp?articolo=2543
(Bilder: Wikimedia/Il Foglio)