Der Gegenexodus – amerikanische Katholiken, die Protestanten werden


(New York) Die dem pro­gres­si­ven Spek­trum zuzu­rech­nen­de, ame­ri­ka­ni­sche Wochen­zei­tung Natio­nal Catho­lic Repor­ter befaß­te sich jüngst mit dem Exodus im angel­säch­si­schen Raum von Katho­li­ken zum Pro­te­stan­tis­mus. Die Wochen­zei­tung ver­öf­fent­lich­te Aus­zü­ge aus einer Stu­die des Forum on Reli­gi­on & Public Life (PEW). Einer renom­mier­te Ein­rich­tung also, die wegen ihrer Neu­tra­li­tät auch von der katho­li­schen Kir­che geschätzt wird. Der Vati­ka­nist Pao­lo Roda­ri mach­te nun in Euro­pa dar­auf aufmerksam.

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Die Fra­ge ist kom­plex wie die myria­den­ähn­li­che  Zer­split­te­rung der pro­te­stan­ti­schen Welt. An die­ser Stel­le kön­nen und sol­len die Ergeb­nis­se der PEW-Unter­su­chung nicht im Detail auf ihre Stich­hal­tig­keit über­prüft wer­den. Noch weni­ger soll eine Wer­tung vor­ge­nom­men wer­den. Tat­sa­che ist, daß es eine nen­nens­wer­te Abwan­de­rung getauf­ter Katho­li­ken Rich­tung einer der unzäh­li­gen pro­te­stan­ti­schen Deno­mi­na­tio­nen gibt. Grund genug, sich mit die­sem The­ma zu befas­sen oder zumin­dest einen Anstoß dazu zu geben.

Zunächst nack­te Zah­len als Tat­sa­che und Aus­gangs­punkt: Jeder zehn­te US-Bür­ger ist ein „ehe­ma­li­ger“ Katho­lik. Umge­legt auf die Gesamt­zahl der Katho­li­ken in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka bedeu­tet dies, daß die katho­li­sche Kir­che im bevöl­ke­rungs­reich­sten und füh­ren­den Staat der west­li­chen Welt rund 30 Pro­zent ihrer Söh­ne und Töch­ter ver­liert. 24 Pro­zent der US-Ame­ri­ka­ner beken­nen sich aktu­ell zum katho­li­schen Glau­ben. Damit ist die katho­li­sche Kir­che die weit­aus größ­te Glau­bens­ge­mein­schaft der USA. Wür­de man jedoch alle zäh­len, die katho­lisch getauft sind, so sind dies 34 Pro­zent der Bür­ger der Ver­ei­nig­ten Staaten.

Die Füh­rung jeder ame­ri­ka­ni­scher Orga­ni­sa­ti­on, die erfährt, daß jeder zehn­te US-Bür­ger ein ehe­ma­li­ger Anhän­ger ist, könn­te nicht mehr ruhig schla­fen. Doch nicht die katho­li­sche Kir­che. „Und man ver­steht nicht den Grund dafür“, so Natio­nal Catho­lic Reporter.

Laut PEW-Stu­die gehen die­se „Ex-Katho­li­ken“ nicht an die Grup­pe der Athe­isten, Agno­sti­ker oder „kon­fes­sio­nell Unge­bun­de­nen“ ver­lo­ren, son­dern an eine der vie­len pro­te­stan­ti­schen Denominationen.

Mit der Apo­sto­li­schen Kon­sti­tu­ti­on Angli­ca­n­o­rum Coe­ti­bus von Papst Bene­dikt XVI. ist gera­de die Rück­kehr vie­ler Angli­ka­ner nach Rom im Gan­ge. Wenn man jedoch zum angel­säch­si­schen Raum auch die USA zählt und nicht nur die Angli­ka­ner im Blick hat, son­dern alle Grup­pie­run­gen der Refor­ma­ti­on, dann sind es immer noch weit mehr Katho­li­ken, die in einem Gegen­ex­odus Rich­tung Pro­te­stan­tis­mus abwandern.

Einen „ver­steck­ten Exodus“ nennt das PEW die­sen Ver­lust, weil nie­mand davon spre­che, vor allem nicht inner­halb der katho­li­schen Kir­che. Viel­mehr wer­de die­ser Exodus „ver­harm­lost“, wie der Natio­nal Catho­lic Repor­ter meint. Er wer­de damit abge­tan, daß es sich um „die übli­chen Libe­ra­len han­delt, die das Frau­en­prie­ster­tum, die Abschaf­fung des prie­ster­li­chen Zöli­bats, die Homo-Ehe, die Mög­lich­keit Ver­hü­tungs­mit­tel zu gebrau­chen und der­glei­chen mehr haben wol­len. Die Hier­ar­chie gibt nicht nach. Bischö­fe und Kar­di­nä­le igeln sich ein. Und was machen sie? Sie gehen.“ Die­je­ni­gen hin­ge­gen, die „genau die­se Nach­gie­big­keit in Fra­gen der Glau­bens­leh­re mit Unzu­frie­den­heit erle­ben, bit­ten um die Rück­kehr in die katho­li­schen Kir­che“, dies sei, so zumin­dest die Dar­stel­lung des Natio­nal Catho­lic Repor­ter, die katho­li­sche Les­art des Phänomens.

Die Ergeb­nis­se der PEW-Stu­die wei­sen jeden­falls in eine ande­re Rich­tung. Als Haupt­be­weg­grund für den Kon­fes­si­ons­wech­sel wer­den „geist­li­che Bedürf­nis­se“ genannt, die in der katho­li­schen Kir­che nicht befrie­digt wor­den sei­en. So gaben es 71 Pro­zent der Befrag­ten an. Nur eine Min­der­heit nennt unter­schied­li­che Posi­tio­nen in der Glau­bens­leh­re, zum Bei­spiel die kirch­li­che Leh­re zur Abtrei­bung, zur Ehe, zur Sexua­li­tät oder zum Frau­en­prie­ster­tum abzulehnen.

Der weit­aus größ­te Teil wan­de­re in eine pro­te­stan­ti­sche Gemein­schaft ab, weil er „mehr Spi­ri­tua­li­tät, mehr Ver­ti­ka­li­tät und eine stär­ke­re Ver­tie­fung der Inhal­te und umfang­rei­che­res Bibel­stu­di­um“ suche. Bei die­ser gro­ßen Mehr­heit hand­le es sich nicht um libe­ra­le Halba­gno­sti­ker, son­dern um Men­schen, „die jeden Sonn­tag in die Kir­che gehen“, die die „Hei­li­ge Schrift mehr als ande­re lesen und stu­die­ren“, die die „Schrif­ten der Kir­chen­vä­ter ken­nen“ und „ger­ne auch dif­fe­ren­zier­te und schwie­ri­ge theo­lo­gi­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen“ lesen. Ein Haupt­merk­mal die­ser „Exi­lan­ten“ sei das „vor­ran­gi­ge Bedürf­nis des Bibel­stu­di­ums“, die Ver­tie­fung in der Hei­li­gen Schrift. Die Befrag­ten hät­ten daher häu­fig ange­ge­ben, kei­nen katho­li­schen Prie­ster gefun­den zu haben, der ihnen so gehol­fen hät­te, wie sie es woll­ten oder imstan­de gewe­sen sei, sie zu jenen „Höhen auf­stei­gen zu las­sen, wie sie es sich gewünscht“ hätten.

Die Befrag­ten gaben an, hin­ge­gen in einer pro­te­stan­ti­schen Gemein­schaft (natür­lich in unter­schied­lich­sten) eine Ant­wort auf ihre Bedürf­nis­se gefun­den zu haben, wo man durch sola scrip­tu­ra zum Heil gelan­ge.  Ein wei­te­res Ergeb­nis der PEW-Stu­die scheint zu bele­gen, daß für die Abwan­de­rung nicht die gera­de in Euro­pa medi­al gewohn­ten „hei­ßen Eisen“ aus­schlag­ge­bend sind, in denen der katho­li­schen Kir­che „Rück­wärts­ge­wandt­heit“ vor­ge­wor­fen wird: Der weit­aus größ­te Teil der Exi­lan­ten wan­dert nicht zu libe­ra­len, son­dern zu den in der Regel kon­ser­va­tiv­sten Grup­pen des pro­te­stan­ti­schen ame­ri­ka­ni­schen Spek­trums ab.

Tho­mas J. Ree­se, Autor des Buches „Insi­de the Vati­can“ schrieb in der Zeit­schrift der New Yor­ker Jesui­ten, daß die Fra­ge einer mög­lichst exak­ten Über­set­zung des latei­ni­schen Mis­sa­le ins Eng­li­sche wich­tig sei: „Es braucht aber auch Pre­dig­ten, die imstan­de sind, die See­le zu anzu­rüh­ren.“ Man­gels sakra­men­ta­lem Ver­ständ­nis der Hei­li­gen Mes­se in den pro­te­stan­ti­schen Gemein­schaf­ten, kon­zen­trie­ren sich Pasto­ren in beson­de­rer Wei­se auf das Bibel­stu­di­um, die Aus­le­gung und die Form, mit der eine Pre­digt vor­ge­tra­gen wird.

Zwei Drit­tel der Katho­li­ken, die Pro­te­stan­ten wer­den, sind jün­ger als 24 Jah­re. Dies deu­tet an, daß ein gro­ßer Teil von ihnen in einem kaum oder nur wenig prak­ti­zie­ren­den katho­li­schen Umfeld auf­wach­sen, wahr­schein­lich ein Bekeh­rungs­er­leb­nis bereits in einem pro­te­stan­ti­schem Kon­text erle­ben oder nach einem Bekeh­rungs­er­leb­nis das fami­liä­re Glau­bens­le­ben als unge­nü­gend emp­fin­den und dies mit „katho­lisch“ gleich­set­zen. Die kaum über­schau­ba­re Viel­zahl pro­te­stan­ti­scher Gemein­schaf­ten erhöht zudem die Wahr­schein­lich­keit, jene Nuan­cie­rung zu fin­den, die einem per­sön­lich am mei­sten zusagt. Die Kri­te­ri­en nach denen eine Zuge­hö­rig­keit gewählt wird, wäre eigens zu untersuchen.

Die Ergeb­nis­se der PEW-Stu­die jeden­falls wer­fen für die katho­li­sche Kir­che eine Viel­zahl von Fra­gen auf, mehr jeden­falls als sie beant­wor­ten. Ursa­chen­for­schung zu die­sem Exodus-Phä­no­men und den Kri­te­ri­en, nach denen die Wahl für eine spe­zi­fi­sche Zuge­hö­rig­keit in der kaum über­schau­ba­ren Viel­zahl pro­te­stan­ti­scher Gemein­schaf­ten erfolgt, wird gefor­dert. Ree­se zieht die Schluß­fol­ge­rung: „Ent­we­der man ent­wickelt Pro­gram­me, die auf die geist­li­chen Bedürf­nis­se die­ser jun­gen Men­schen Ant­wort geben oder man wird wei­ter bluten.“

(Palaz­zo Apostolico/​Giuseppe Nar­di, Bild: Palaz­zo Apostolico)

 

 

 

 

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1 Kommentar

  1. So ist das auch, ich sel­ber beschäf­ti­ge mich ger­ne und immer inten­si­ver mit unse­rer Reli­gi­on doch beim katho­li­schen Bereich fin­de ich oft­mals nur „gewohn­heits­kon­ser­va­ti­ve“ die im Ritus das Heil suchen, aber wenig sagen kön­nen was Tho­mas von Aquin denn so geschrie­ben hat, oder wie Pla­ton und Arti­sto­te­les zur Bibel pas­sen – dabei war genau das im Mit­tel­al­ter das Zen­trum der Ent­wick­lung zur rich­ti­gen Theologie.

    Hof­fent­lich kommt das jetzt dann noch. So ne Art katho­lisch-evan­ge­li­kal ist nötig. Nicht das seich­te und ängst­li­che „Katho­lisch sein“ und die­ses däm­li­che Bom­bar­die­ren las­sen von Lüg­nern und sie nie wider­le­gen, obwohl das sehr ein­fach mög­lich ist.

    Auch Pro­te­stan­ten glau­ben, dass die Inqui­si­ti­on der katho­li­schen Kir­che sehr viel mit der Hexen­ver­bren­nung zu tun hat. Dabei waren es mehr­heit­lich „Pro­te­stan­ten“…

    Tem­pla­rii – reco​gno​s​ce​re​.word​press​.com

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