Das Kreuz darf in Italiens Schulen bleiben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gab Italien Recht in der Causa Lautsi gegen Italien. Ihre erste Reaktion, als Sie von dieser ganz Europa betreffenden Entscheidung hörten?
Wir haben die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit Genugtuung und Erleichterung zur Kenntnis genommen. Warum sage ich nicht mit Freude? Weil es eigentlich keine Angelegenheit eines menschlichen Gerichtes ist, darüber zu befinden.
Ist das Kreuz eine Frage für die Gerichte? Oder aus einem etwas anderen Blickwinkel: Wie kommt es, daß die religiöse und kulturelle Identität Europas Gegenstand gerichtlicher Verhandlungen ist?
Ob Gott uns erschaffen durfte, ob er uns an einem Kreuz von unseren Sünden erlösen will, ist keine Frage für menschliche Gerichte und Mehrheitsbeschlüsse, genausowenig wie die Frage, ob seit dem Opfer von Kalvaria das Heil eines jeden Menschen von seiner Nähe zum Kreuz und zu Jesus, dem Gekreuzigten, abhängt. Dies ist genauso objektiv vorgegeben wie die Tatsache, daß zweimal zwei vier ist. Aber wie schon beim Tode Jesu, wo Menschen über Gott zu Gericht saßen, so ist es auch heute. Der säkularisierte Zeitgenosse macht sich in der Abtreibung, in der künstlichen Befruchtung und Euthanasie nicht nur zum Herrn über Leben und Tod; er will sich sogar über Gott stellen und dem Schöpfer und Erlöser diktieren, was er zu tun und zu lassen hat. Die religiöse und kulturelle Identität Europas wird vor Gerichtshöfe gezerrt, weil das erste Gebot Gottes außer Kraft gesetzt worden ist: Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.
Seit Jahren werden religiöse Symbole intensiv im Rahmen menschlicher Gesetze diskutiert. Wie steht es aber um das göttliche Recht?
Der Mensch ist ein Wesen aus Leib und Seele bestehend. Das Geistige, die Seele, ist dabei selbstredend das Wichtigere, sie ist die Form des Leibes. Sie spricht sich im Leib aus. Folglich gehört nicht nur der in der Seele verankerte Glaube zum Naturrecht, sondern auch der gesamte sinnliche Ausdruck dieses Glaubens, also die Gestik, das Symbol, der Ritus. Andererseits sind diese sinnlichen Zeichen Schutz und Träger des Geistigen, insbesondere des Glaubens. Durch die körperliche Kniebeuge vor dem allerheiligsten Sakrament bezeuge ich, daß Christus hier wahrhaft, wirklich und wesenhaft gegenwärtig ist. Religiöse Symbole gehören also sehr wohl zum göttlichen Recht, das durch menschliches Recht allenfalls präzisiert, aber niemals aufgehoben oder der Beliebigkeit preisgegeben werden kann.
Ist die Frage des Kreuzes nur eine des Subsidiaritätsprinzips zu den einzelnen Mitgliedsstaaten (im konkreten Fall zu Italien)?
Das ganze heutige Europa hat seine Wurzeln im Christentum, ob es sich um die Länder romanischer, germanischer, angelsächsischer oder slawischer Sprache handelt, und folglich geht es nicht um Sonderrechte, sondern um das Bekenntnis zu unserem Erbe, das allzuviele Europäer in frivoler Weise verschleudern.
War das erste Urteil des EGMR von 2009, das Anti-Kreuzurteil, wirklich das Ergebnis einer mißverstandenen Trennung von Staat und Kirche, die da meint, man müsse jeglichen religiösen und kulturellen Bezug nicht nur vermeiden, sondern sogar zurückweisen, um die Gefühle anderer nicht zu verletzen?
Wir sind und bleiben Erben des christlichen Abendlandes, das keine Trennung von Staat und Kirche, sondern eben gerade ein harmonisches Zusammenwirken von beidem zum Wohle des zeitlichen und noch mehr des ewigen Glückes des Menschen gekannt hat. Wir bekennen uns ausdrücklich zu dieser Tradition. Außerdem ist das Kruzifix der vollkommenste Ausdruck der vollkommenen Liebe Gottes und auch des Mitmenschen. Kein vernünftiger Mensch kann sich dadurch verletzt fühlen.
Wie definiert sich die Religionsfreiheit im Sinne der Menschenrechte?
Die Kirche hat immer gelehrt, niemand dürfe zum Glauben gezwungen werden, und niemand darf auch im privaten Bereich in seinen religiösen Überzeugungen gehindert werden. Anders steht es mit dem öffentlichen Bereich. Hier kann und muß sehr oft die Regierung den Irrtum um eines größeren Gutes willen dulden, aber sie kann ihm nie ein Naturrecht zusprechen. Selbstverständlich wird in einer multikulturellen und multireligiösen Welt das Prinzip der Toleranz immer häufiger und ausgedehnter angewendet werden müssen; im letzten ist dies aber eine Frage der Klugheit der staatlichen Autorität.
Wie werten Sie die gehäuften Angriffe in verschiedenen Ländern gegen christliche Symbole (auch in Bayern und Österreich)? Die Kläger gehören auffallend häufig dem organisierten Atheismus an, einer winzig kleinen Gruppe.
Militanter Atheismus, wie ihn zum Beispiel Herr Dawkins in Großbritannien vertritt, macht sich gerade in ehemals tiefchristlichen Ländern bemerkbar. Es würde uns nicht wundern, wenn eines Tages der Nachweis geführt werden könnte, daß es sich hier um ein Netzwerk von antikirchlichen Geheimgesellschaften und Sekten handelt, die schon vor mehr als 200 Jahren in der Französischen Revolution den gesalbten König auf das Schafott brachten und einer nackten Dirne auf dem Altar von Notre Dame als Göttin Vernunft huldigten.
Sind die Angriffe auf die christlichen Symbole mit der Entscheidung des EGMR beantwortet und Vergangenheit?
Vielleicht war die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes bei der jetzigen Atmosphäre des Säkularismus noch das Höchste, was man an Positivem erwarten konnte. Natürlich werden die alten Teufel nicht ruhen und bei nächstbester Gelegenheit wieder auf den Plan treten, wobei sie durch den Angriff auf die christlichen Symbole insbesondere den Glauben an Gott zum Einsturz bringen wollen, durch den Angriff auf die christliche Moral in besonderer Weise die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, also das christlich-abendländische Menschenbild.
Die jüdisch-kommunistische Schriftstellerin Natalia Ginzburg schrieb 1988 im Organ der Kommunistischen Partei Italiens, daß das Kreuz keine Diskriminierung darstelle, weil es Ausdruck der christlichen Revolution sei, die auch der Idee der Gleichheit der Menschen zum Durchbruch verhalf. Das deutsche Bundesverfassungsgericht erklärte 1995 die bayerische Vorschrift, das Kreuz in allen Grundschulklassen auszustellen, als verfassungswidrig und begründete dies ausdrücklich mit dem Artikel 4 zur Religionsfreiheit im deutschen Grundgesetz. Der katholische Schriftsteller Vittorio Messori akzeptierte damals das Urteil mit der Begründung: „Ich bin Christ und Papist, aber das Christentum ist nicht der Islam: Es zwingt den Glauben nicht auf, sondern bietet ihn an. Wenn jemand das Kreuz sucht, muß er frei sein, es zu finden, wenn er sich frei dazu entschließt, dies zu tun. Gott ist für den Islam Zwang, für das Christentum ist er Geschenk und Überraschung“. Ihre Ergänzung, Ihr Widerspruch?
Das Kreuz ist Ausdruck der Überwindung des alten Heidentums durch die katholische Wahrheit und die christliche Liebe. Es ist Ausdruck der Herrschaft Gottes über seine Schöpfung, der Liebe des Erlösers zu seinen Geschöpfen. Nicht umsonst sagt Erzbischof Lefebvre in seinem Geistlichen Wegweiser [1]Gemeint ist der III. Sonderdruck aus Lefebvre, Marcel: Damit die Kirche fortbestehe, Stuttgart Priesterbruderschaft St. Pius X. 1992: „Deshalb ist in den Plänen der unendlichen Weisheit Gottes das Kreuz Jesu für die Verwirklichung der Erlösung, der Neuerschaffung, der Erneuerung der Menschheit die vollkommene, totale, endgültige, ewige Lösung, durch die alles gelöst wird.“
Wir können und wollen niemanden zum Glauben zwingen, wie schon gesagt. Aber wir predigen mit Überzeugung das Kreuz, das Blut Christi als den einzigen Weg zum Heil des Menschen. Die Kirche ist missionarisch und lädt darum alle Menschen mit Nachdruck auf den Weg des Heils ein. Ein unverbindliches Angebot entsprach nie ihrer Haltung.
Herr Pater: Warum machen Sie Wahlkampf für die CDU?
Wir machen nicht Wahlkampf für die CDU, sondern setzen uns in besonderer Weise in Baden-Württemberg gegen die mögliche Bildung einer Linkskoalition zur Wehr, weil diese Kräfte einem antichristlichen Programm verpflichtet sind und ein antichristliches Ziel verfolgen.
(Die Fragen stellten Giuseppe Nardi und Linus Schneider, Bild: Dieter Volkerts)
-
↑1 | Gemeint ist der III. Sonderdruck aus Lefebvre, Marcel: Damit die Kirche fortbestehe, Stuttgart Priesterbruderschaft St. Pius X. 1992 |
---|