(Kairo) Gegen wen sich die „arabischen Revolutionen“ dieser Monate richten, steht fest. Weniger klar scheint hingegen, wofür diese so schnell und wohlwollend „Revolution“ genannten Aufstände eintreten. Die Demokratie, schallt es zumindest aus zahlreichen Medien, in deren Redaktionsstuben nicht selten der Wunsch Vater des Gedankens scheint. Die Demokratie kann in arabischen Ländern, denen jede Erfahrung damit fehlt, nur ein leerer Behälter sein. Die Zukunft werden also jene Kräfte bestimmen, die über ein Programm, geeignetes Führungspersonal und die nötige Anhängerschaft verfügen, um den Behälter zu füllen. Vor allem aber werden jene entscheiden, die den nötigen Willen und die Entschlossenheit zur Macht besitzen. Damit ist noch nichts, aber rein gar nichts darüber ausgesagt, in welche Richtung diese Staaten künftig steuern werden.
Umso erstaunlicher ist das weitgehende mediale Desinteresse am Verfassungsreferendum in Ägypten. Dabei handelt es sich um die erste, wirklich konkrete nach-revolutionären Zukunftsentscheidung in einem der betroffenen Staaten.
Am 19. März 2011 waren die ägyptischen Wähler aufgerufen, ein Paket aus zehn Bestimmungen zu bestätigen oder zu verwerfen, das hinter verschlossenen Türen von einem Komitee aus acht vom Obersten Militärrat ernannten Juristen geschnürt worden war. Sie wurden mit einer Zustimmung von 77 Prozent angenommen. Dabei hatten sich gerade die Demonstranten vom Tahrir-Platz dagegen ausgesprochen, die Hauptakteure der Anti-Mubarak-Revolution waren.
Was aber wurde von den Wählern beschlossen? Unter anderem die Bestätigung von Artikel 2 der ägyptischen Verfassung. Dieser legt fest, daß die Sharia die Hauptquelle der ägyptischen Rechtsordnung ist mit allen schwerwiegenden Folgen für die Frauen und die Minderheiten. Deren größte sind die Christen des Landes, allen voran die Kopten, die Ägypten bereits vor der Eroberung durch den Islam gestalteten.
Mit einer Verfassung, die im islamischen Recht gründet, sind die Rechte der Frauen und der Minderheiten schwer kompromittiert. Frauen dürfen zum Beispiel nicht für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren. Das entspricht letztlich jener Logik, mit der Frauen und Männer bei der Stimmabgabe in streng getrennten Warteschlangen eingereiht wurden.
Verschiedene Beobachter internationaler Nichtregierungsorganisationen machten auf die penetrante Propaganda der Moslembruderschaft vor Wahlsitzen aufmerksam. Für September sind Wahlen angesetzt. Die Moslembrüder warten in den Startlöchern, um die Macht am Nil zu übernehmen. Die Wahlsieger werden eine neue Verfassung verabschieden. Das Referendum vom 19. März war eine Weichenstellung, die den Moslembrüdern entgegenkommt.
(Giuseppe Nardi)