In welchem Jahr starb Herodes?


von Rug­ge­ro Sangalli

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Einer der häu­fig zitier­ten histo­ri­schen Bezugs­punk­te, um die im Evan­ge­li­um berich­te­ten Ereig­nis­se zeit­lich ein­ord­nen zu kön­nen, betrifft das Todes­jahr von König Hero­des dem Gro­ßen: das Jahr 4 vor Chri­stus, zumin­dest nach vie­len Autoren.

Die­se Jah­res­an­ga­be ver­dan­ken wir den Schrif­ten des Fla­vi­us Jose­phus, der sie aller­dings nie aus­drück­lich nennt. Sie wird her­ge­lei­tet von den Regie­rungs­jah­ren von Arche­la­os, Phil­ip­pos und Anti­pas, den Erben des Hero­des. Doch Fla­vi­us Jose­phus selbst lie­fert zumin­dest ein Dut­zend Hin­wei­se, die im Wider­spruch dazu ste­hen und die Jah­res­zahl als Todes­jahr von Hero­des unbrauch­bar machen. So war es zum Bei­spiel nicht unüb­lich, als Regie­rungs­jah­re des Nach­fol­gers auch jene Zeit zu rech­nen, in denen das Amt aus­ge­übt wur­de, aber der alte König noch lebte.

Erstaun­li­cher­wei­se schrei­ben heu­te zahl­rei­che Autoren, daß „Hero­des sicher im Jahr 4 vor Chri­stus gestor­ben ist“. Sie tun dies mit sol­chem Ver­trau­en in Fla­vi­us Jose­phus, daß sie zahl­rei­che ande­re sei­ner Anga­ben, die wesent­lich prä­zi­ser sind, ein­fach igno­rie­ren. Fla­vi­us Jose­phus schrieb, daß Hero­des 70jährig starb. Eben­so, daß Hero­des bereits im Alter von nur 15 Jah­ren von sei­nem Vater Anti­pa­ter zum Ver­wal­ter von Gali­läa ernannt wur­de, nach­dem die­ser von Pom­pei­us ein­ge­setzt zur Macht gelangt war, nach­dem die Römer 63 vor Chri­stus Jeru­sa­lem erobert hatten.

Wei­ters wis­sen wir, daß Hero­des zur Zeit der Schlacht von Acti­um, im Sep­tem­ber 31 vor Chri­stus, im sieb­ten Jahr sei­nes König­tums stand. Laut Jüdi­schen Alter­tü­mern dau­er­te sei­ne Regie­rungs­zeit 37 Jah­re, also 30 bis 31 Jah­re nach der Schlacht von Acti­um. Wir wis­sen, daß Hero­des im 18. Jahr sei­ner Königs­herr­schaft, nach dem Besuch von Kai­ser Augu­stos in Syri­en, für den uns die römi­schen Histo­ri­ker das Jahr 19 vor Chri­stus über­lie­fert haben, den Ent­schluß faß­te, den Tem­pel wie­der­auf­zu­bau­en (dem 15. Regie­rungs­jahr laut den Anga­ben in der Geschich­te des Jüdi­schen Krie­ges, in dem Hero­des Regie­rungs­zeit mit 34 Jah­ren ange­ge­ben wird). Kurz­um, im Jahr 4 vor Chri­stus war Hero­des noch am Leben.

Die Astro­no­mie ist auch in die­sem Fall ein pro­ba­tes Hilfs­mit­tel zur zeit­li­chen Bestim­mung der histo­ri­schen Ereig­nis­se. Sie ver­schafft sowohl Fla­vi­us Jose­phus als Histo­ri­ker, als auch Lukas als Evan­ge­list Gerech­tig­keit, aller­dings zuun­gun­sten zahl­rei­cher moder­nen Autoren. Fla­vi­us Jose­phus schrieb, daß Hero­des unge­fähr zwei Wochen nach einer spek­ta­ku­lä­ren Mond­fin­ster­nis starb und daß sei­ne Bestat­tung vor dem dar­auf­fol­gen­den jüdi­schen Pas­cha­fest erfolg­te. Die Auf­zeich­nun­gen der NASA erlau­ben es, das genaue Datum der Mond­fin­ster­nis­se jener Zeit zu errech­nen und jene aus­zu­schei­den, die in Palä­sti­na nicht sicht­bar waren.

Wer dar­auf beharrt, daß Hero­des im Jahr 4 vor Chri­stus starb, schaut auf die Fin­ster­nis vom 13. März (nach dem Julia­ni­schen Kalen­der) jenes Jah­res. Damals fiel der 14. Nisan auf den 12. April, also 29 Tage spä­ter. Nach allem, was Fla­vi­us Jose­phus jedoch für jenen Zeit­raum über­lie­fert, ist die Zeit­span­ne zu knapp, als daß es sich um jenes Datum han­deln könn­te. Ein häu­fig über­se­he­nes Detail: Der 13. März wäre der 14. Adar, also ein Fest­tag (Purim) gewe­sen, der mit dem 13. Adar, dem Tag von Nica­n­or ver­bun­den ist, ein Fest­tag seit den Zei­ten der Makkabäer.

Fla­vi­us Jose­phus bezeugt, daß weni­ge Tage zuvor zwei Rab­bi­ner eine anti­rö­mi­sche Erhe­bung ange­zet­telt hat­ten, bei der der ver­gol­de­te Adler, den Hero­des an der Außen­sei­te des Jeru­sa­le­mer Tem­pels anbrin­gen hat­te las­sen, zer­stört wur­de. Aus Sicher­heits­grün­den zog es Hero­des vor, den bei­den Rab­bi­nern außer­halb Jeru­sa­lems in Jeri­cho den Pro­zeß zu machen, wo er sich gera­de in den Ther­men auf­hielt, um sei­ne kör­per­li­chen Lei­den zu hei­len. Er ließ sie genau am Tag der Fin­ster­nis bei leben­di­gem Leib ver­bren­nen (Jüdi­sche Alter­tü­mer, Kapi­tel XXVII).

Bedenkt man den gro­ßen Respekt der Juden für Fest­ta­ge, den auch Hero­des stets pein­lich wahr­te, hät­te sich aber kein Gericht gefun­den, nicht ein­mal ein unrecht­mä­ßi­ges, das an einem reli­giö­sen Fest­tag (Est 9,17–18) ein Urteil gefällt hät­te, schon gar nicht gegen zwei bekann­te Rab­bi­ner. Die gesam­te Bevöl­ke­rung wäre dar­über skan­da­li­siert gewe­sen. Fla­vi­us Jose­phus berich­te­te jedoch, daß es sich nicht um irgend­ein Gericht han­del­te, son­dern um das Höch­ste Gericht der Juden, die Rechts­wah­rer schlecht­hin also. Er erin­ner­te zudem dar­an, daß Arche­la­os (Mit­re­gent von Anti­pas und Phil­ip­pos seit dem Jahr 4 vor Chri­stus) wegen der anhal­ten­den Kri­tik am Urteil es aus­drück­lich damit recht­fer­tig­te, daß es „gemäß Gesetz“ erfolgt sei. Auch bei Jesus wur­de das „Gesetz“ bemüht, um sei­ne Hin­rich­tung zu beschleu­ni­gen, damit kein Fest­tag pro­fa­niert würde.

Der 14. Adar kann also nicht das Datum der Mond­fin­ster­nis gewe­sen sein und daher ist es auch nicht das Jahr 4 vor Chri­stus, das uns inter­es­siert. Hero­des, ein Ido­mä­er, hät­te nicht zwei Rab­bi­ner an einem ver­bren­nen las­sen, an dem die Dar­stel­lung Hamans nach alter Tra­di­ti­on des Purim­fe­stes ver­brannt wurde.
Soll­ten noch Zwei­fel bestehen: Fla­vi­us Jose­phus listet für die Zeit nach die­ser „unmög­li­chen Hin­rich­tung“ und vor dem Pas­cha­fest eine gan­ze Rei­he von Ereig­nis­sen auf, die sich vor Hero­des Tod zutru­gen (der unge­fähr zwei Wochen nach der Mond­fin­ster­nis ein­ge­tre­ten sei). Die Zeit­an­ga­ben sind jedoch unver­ein­bar mit den weni­gen feh­len­den Tagen bis zum 14. Nisan.

Es muß sich also um eine ande­re Mond­fin­ster­nis gehan­delt haben. Laut NASA-Ver­zeich­nis kämen vor allem zwei dafür in Fra­ge. Die erste ereig­ne­te sich am 10. Janu­ar des Jah­res 1 vor Chri­stus, die zwei­te am 29. Dezem­ber des­sel­ben Jah­res. In bei­den Fäl­len bestün­de aus­rei­chend Zeit, um alle Ereig­nis­se unter­zu­brin­gen, die Fla­vi­us Jose­phus zwi­schen der Fin­ster­nis und dem dar­auf­fol­gen­den Pas­cha­fest erwähnt. Ein zeit­lich in unmit­tel­ba­rer Nähe zur Zer­stö­rung des Tem­pels im Jahr 70 nach Chri­stus ent­stan­de­nes jüdi­sches Doku­ment, Megillath Taa­nith, ist uns über­lie­fert. Die Rol­len ent­hal­ten ein Ver­zeich­nis der jüdi­schen Feste. Dar­in fin­den sich zwei Daten ohne wei­te­re Anga­ben, an denen es ver­bo­ten war, nicht zu fei­ern: eines ist der 7. Kis­lev, das ande­re der 2 Shevat.

M. Moi­se Schwab orte­te durch ein detail­lier­te und kom­pli­zier­te Stu­die im 2. She­vat den Todes­tag von Hero­des, genau zwei Wochen nach der Mond­fin­ster­nis des 29. Dezem­ber, also am 14. Janu­ar des Jah­res 1 nach Chri­stus nach dem heu­ti­gen Kalen­der. Die Mond­fin­ster­nis trat genau in der Abend­däm­me­rung ein, sodaß sie von allen gese­hen wer­den konn­te. Hero­des, gebo­ren 70 vor Chri­stus, Herr­scher seit dem Jahr 37 vor Chri­stus, war 70 Jah­re alt, und hat­te 37 Jah­re regiert laut den Anga­ben der Jüdi­schen Alter­tü­mer. Jesus war unge­fähr ein Jahr vor­her gebo­ren wor­den, gegen Ende des Jah­res 2 vor Chri­stus. So paßt alles, zumin­dest für jene, die bereit sind genau zu prüfen.

(La Bussola/​Giuseppe Nar­di, Bild: Wikimedia)

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