(Paris) Frankreichs mächtige Freimaurerei ist in das Blickfeld einiger Medien gerückt. Allein dieser Vorgang jenseits der Vogesen ist bereits berichtenswert. Der Fernsehsender Canal+ sendete eine einstündige Dokumentation und das Wochenmagazin Le Point veröffentlichte ein 18 Seiten umfassendes Dossier mit dem Titel „Die Freimaurer: die unsichtbare Hand“, die Frankreichs Politik erschüttert.
Le Point, ein stark gelesenes Wochenmagazin, zählt gewiß nicht zu den katholischen Medien des Landes und befindet sich nicht selten auf der Suche nach Skandalen. Die französische Freimaurerei hat zudem ihre Eigenheiten. Dies gilt sowohl für den Großorient als auch für die Großloge. Beide Hauptrichtungen Frankreichs werden von der britischen Mutterloge seit dem 19. Jahrhundert als „irreguläre“ Freimaurerei betrachtet. Die französischen Logen akzeptieren erklärten Atheisten als Brüder und erlauben in den Logen politische Debatten und Wahlwerbung. Dergleichen ist von den englischen Originalstaturen verboten. Die Großloge erlaubt seit Jahren auch die Mitgliedschaft von Frauen, der Großorient als Mehrheitsloge seit 2010. Frauen sind weiterhin von den „regulären“, das heißt von London anerkannten Logen ausgeschlossen.
Der „irregulären“ französischen Freimaurerei gelang es jedoch, die politische und parlamentarische Hegemonie in Frankreich in ihren Händen zu halten. In anderen europäischen Ländern bestand diese nur bedingt oder, wo sie bestand, wie in Italien von der italienischen Einigung bis zur Machtübernahme des Faschismus, ging sie verloren oder wurde zumindest aufgeweicht. Le Point berichtet, daß sich heute neugewählte Abgeordnete der französischen Nationalversammlung von älteren Abgeordneten fragen lassen müssen: „Und wo bist Du?“, weil deren Logenmitgliedschaft nicht mehr selbstverständlich ist. Manche der jungen Abgeordneten würden dann sogar einige Zeit brauchen, um zu begreifen, daß mit „wo“ eine Loge gemeint sei. Die Zeiten, in denen die Mitgliedschaft in einer Loge für einen Politiker, der etwas auf sich hielt und vor allem Karriere machen und Einfluß gewinnen wollte, selbstverständlich sind, sind allerdings noch nicht vorbei. Sie werden nur schwächer.
Le Point berichtet vom einzigen führenden Manager eines großen international tätigen französischen Multikonzerns, der kein Freimaurer war. Schließlich gestand er dem Vorstand, keiner Loge anzugehören. „Sie waren sehr verständnisvoll, rieten mir aber, mich schleunigst einer Loge anzuschließen, um ein wirkliches Klima des Vertrauens mit den Großkunden und auch den Kollegen im Konzern aufzubauen.“
Die Fernsehreportage und das Dossier enthüllen die Namen führender Freimauerer. Sicher fehlen mehrere Regierungsmitglieder, deren Mitgliedschaft nicht festgestellt werden konnte, wie die Journalisten hinzufügten. Freimaurer sind folgende Minister Frankreichs: Innenminister, Wirtschaftsminister, Finanzminister, Minister für Soziales, Minister für die Zusammenarbeit mit dem Parlament, Minister für die internationale Zusammenarbeit. Der nach außen wichtigste Mann unter Frankreichs Freimaurern, der ehemalige Großmeister des Großorients, Alain Bauer, kontrolliert den äußerst sensiblen Posten des Nationalen Sicherheitsberaters von Präsident Nicolas Sarkozy. Gleichzeitig steht er einer Vielzahl weiterer Einrichtungen und Kommissionen vor.
Weit mehr noch als in Regierung und Parlament sind die Freimaurer in der Justiz omnipräsent. Wer in Frankreich Staatsanwalt oder Richter werden will, sollte sich als Freimaurer zu erkennen geben können. Der Einfluß ist so groß, daß Beobachter eine Reihe von Konflikten um Beförderungen von Richtern und Staatsanwälten als innerfreimaurerischen Konflikt zwischen dem Großorient und der Großloge interpretierten. Die Durchdringung einer der drei Verfassungssäulen eines demokratischen Rechtsstaates wirft Fragen nach der Unabhängigkeit der Justiz auf und auch wie weit die Logen ihre Brüder vor dem Zugriff der Justiz schützen können.
Canal+ und Le Point widmen in ihren Reportagen vor allem dem Unterrichtsministerium breiten Raum, das seit dem 18. Jahrhundert als freimaurerisches Lehen gilt, gestützt durch die großen Lehrergewerkschaften, die sich als Träger der „heiligen Fackel“ der Laizität verstehen mit der Mission, Frankreichs Jugend bereits im zarten Kindesalter der „klerikalen Macht“ zu entreißen. Seit Kriegsende sei nur einmal, „aus Versehen“, ein Nicht-Freimaurer zum Unterrichtsminister ernannt worden. Er mußte schnell seinen Rücktritt anbieten.
Im Dossier von Le Point wird die Position der Katholischen Kirche zur Freimaurerei sehr genau dargestellt, die mit der „Erklärung zur Freimaurerei“ von 1983, unterzeichnet vom damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Jospeh Kardinal Ratzinger und gegengezeichnet von Papst Johannes Paul II., das absolute Verbot für Katholiken, einer Freimaurerloge anzugehören, bekräftigte. Für das Verbot gibt es keine Ausnahmen, die von Priestern, Bischöfen oder Bischofskonferenzen gewährt werden könnten. Freimaurer befinden sich „immer“ im Stand schwerer Sünde und sind deshalb vom Empfang der Heiligen Kommunion ausgeschlossen.
Aber auch Frankreichs Freimaurer gewinnen nicht immer. Laut Reportagen von Canal+ und Le Point sei die jüngste der politischen Schlachten für die Logen verlorengegangen. Sie versuchten den nicht-freimaurerischen Ministerpräsidenten Francois Fillon zu Fall zu bringen. Er sollte durch den geeichten Freimaurer und fanatischen Antiklerikalen Jean-Louis Borloo ersetzt werden. Unter anderem ging es dabei um die Legalisierung der Euthanasie, die von den Logen gewünscht wurde. Doch Präsident Sarkozy hielt an Fillon fest, der öffentlich gegen die Euthanasie Stellung nahm. Vor zwei Tagen lehnte der französische Senat deren Legalisierung ab.
(Bussola Quotidiana/Giuseppe Nardi, Bild: BQ)