Liebe Brüder und Schwestern!
In der Reihe der großen Frauengestalten der Kirche möchte ich heute über die Mystikerin Juliana von Norwich sprechen. Sie hat etwa von 1342 bis 1430 in England gelebt. Das Wenige, das wir aus ihrem Leben wissen, erfahren wir aus ihrer Schrift Offenbarungen der göttlichen Liebe. Dort schildert sie, wie sie im Mai des Jahres 1373 plötzlich von einer heftigen Krankheit heimgesucht wurde. In dieser Zeit des Leidens hat sie 16 Visionen erhalten, die sie die unfaßbare Liebe Gottes zu uns Menschen tiefer verstehen ließen. Von dieser Liebe ergriffen faßt sie einen radikalen Entschluß: Sie bezieht eine Klause bei der dem hl. Julian geweihten Kirche von Norwich. Von nun an will sie allein für Gott da sein. In dieser Zeit des Gebetes, der Betrachtung und des Studiums reift ihre Seele. Ihre außergewöhnliche Weisheit und ihr feines Gespür machen sie sehr bekannt, Menschen jeden Alters und Standes suchen bei ihr Trost. Gerade indem sie ganz für Gott da ist, ist sie auch ganz für die Menschen da. Von Gott her versteht sie die Menschen. Und so wissen auch die Menschen, daß sie bei ihr das rechte Wort finden. In diese Zeit fällt die Abfassung der zweiten Version ihrer Schrift: Das Buch der Offenbarungen. Dieses Werk läßt auf profunde biblische und theologische Kenntnisse schließen. Darüber hinaus beschreibt es das große Glück einer innigen Gottesbeziehung. Bemerkenswert sind die Ausführungen Julianas über ihr unbeirrbares Vertrauen auf die Geborgenheit des Menschen in der Güte Gottes, auf die er sich auch in schwersten Situationen verlassen kann; sie vergleicht Gottes Fürsorge für uns immer wieder mit der aufopfernden Liebe einer Mutter für ihr Kind. Im Vertrauen auf die liebende Vorsehung Gottes konnte Juliana mitten in einer äußerst schwierigen Zeit der Verwüstungen durch Kriege und des Schismas in der Kirche doch mit fester Überzeugung stets sagen: »Alles wird gut werden.«
Mit Freude grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Vertrauen wir uns wie Juliana von Norwich der wunderbaren Führung Gottes an. Wenn es uns gelingt, unsere tiefsten Wünsche und Sorgen dem Herrn zu übergeben, uns ihm zu überlassen, wird er uns zum Guten führen. Euch allen wünsche ich Gottes gutes Geleit und eine gesegnete Adventszeit.