(Vatikan) Gestern hielt Papst Benedikt XVI. seine alljährlich mit großer Spannung erwartete Ansprache beim Weihnachtsempfang für die römische Kurie. Wie in den vergangenen Jahren nützte der Heilige Vater die Gelegenheit für einen Rückblick auf die zurückliegenden zwölf Monate und die Ereignisse in und rund um die Kirche. Ausführlich ging er dabei auf den Pädophilieskandal einiger Priester ein, der die Kirche genau im vom Papst gewünschten Priesterjahr erschütterte. Papst Benedikt XVI. gab den Ereignissen gestern allerdings eine neue Lesart.
Er verurteilte erneut mit aller Deutlichkeit das Phänomen, das eine „unvorstellbare Dimension“ angenommen habe und von Priestern begangen wurde, die „das Sakrament in sein Gegenteil verdrehten“. Benedikt XVI. sprach von einer Kirche, deren Antlitz „mit Staub bedeckt ist“, von Priestern, die wegen ihrer Schuld „die Wunden Christi offenhalten“ und „beschmutzen“. Doch neben diese vom Papst bereits mehrfach gebrauchten Worte trat ein neuer Gedanke, den Bendedikt XVI. in den vergangenen Monaten nicht so deutlich geäußert hatte.
Neu war die Anklage gegen die Heuchelei, die oft in den vergangenen Monaten unverhohlen hinter den Angriffen gegen die Kirche auftauchte. Der Papst kritisierte das heuchlerische Gehabe, mit dem in völliger Verzerrung der Realität die Kirche als solche als ein Hort von Kinderschändern in der „reinen“ Welt dargestellt wurde. Papst Benedikt XVI. machte deutlich, daß die Welt jedoch keineswegs „rein“ sei. Man könne die Degenerierung nicht verstehen, in die einige Priester geraten seien, wenn man den Zustand der Welt verschweige, der ein solches Phänomen erst möglich gemacht habe.
Die Welt werfe der Kirche eine Schuld vor, der sie sich mit kaum verborgener Heuchelei an erster Stelle schuldig mache. Die individuelle pädophile Schuld, der sich einzelne Priester schuldig gemacht haben, finde ihre Ursache eben nicht in der Kirche, sondern im sexualisierten Zeitgeist der Welt. Seit den 70er Jahren, so Papst Benedikt XVI., sei die Phädophilie „wie eine völlig dem Menschen und auch dem Kind entsprechende Sache“ theoretisiert worden und die Gesellschaft sekundierte, „daß es weder etwas in sich Böses noch etwas in sich Gutes gebe“.
Dieser weltlichen Sichtweise setzte der Papst – an die Seligsprechung von Kardinal John Henry Newman erinnernd – die „große rationale Tradition des christlichen Ethos“ entgegen und „die essentiellen und dauerhaften Grundlagen des moralischen Handelns“. Damit sagte der Papst, daß Pädophilie eine Schändung des Priestertums sei, die mit allen Mitteln bekämpft werden müsse. Er sagte aber auch, daß sie Tochter jener degenerierten Verhaltensweise ist, die jene Gesellschaft, die heuchlerisch mit dem Finger auf die Kirche zeigt, fördere und verteidige.
(Palazzo Apostolico/Giuseppe Nardi, Bild: Palazzo Apostolico)