„Nie“ hat die Kirche eine rechtgläubige Liturgie abgeschafft – Kardinal Ratzinger zur alten Liturgie


Der spa­ni­sche Cla­re­ti­ner, Pater Mati­as Augé, Con­sul­tor an der Kon­gre­ga­ti­on für den Got­tes­dienst und die Sakra­men­ten­ord­nung an der römi­schen Kurie, ver­öf­fent­lich­te auf sei­nem Web­log einen Brief­wech­sel über die Wie­der­zu­las­sung der alten Lit­ur­gie mit dem dama­li­gen Prä­fek­ten der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on, Kar­di­nal Joseph Ratz­in­ger, dem heu­ti­gen Papst Bene­dikt XVI.

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Anlaß war ein Refe­rat von Kar­di­nal Ratz­in­ger zum 10. Jah­res­tag des Motu pro­prio Eccle­sia Dei, mit dem die für die Gemein­schaf­ten der Tra­di­ti­on zustän­di­ge, gleich­na­mi­ge Kom­mis­si­on errich­tet wur­de. Ein Refe­rat in dem der Kar­di­nal die Öff­nung Rich­tung triden­ti­ni­scher Mes­se ver­tei­dig­te, was Pater Augé in einem Schrei­ben an den Prä­fek­ten der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on vom 16. Novem­ber 1998 kritisierte.

Pater Augé schreibt, daß er mit der Ver­öf­fent­li­chung Doku­men­te zugäng­lich machen wol­le, die zum bes­se­ren Ver­ständ­nis der „histo­ri­schen Pha­se“ bei­tra­gen kön­nen „in der wir uns befinden“.

Wir doku­men­tie­ren das Ant­wort­schrei­ben von Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger vom 18. Febru­ar 1999 in deut­scher Übersetzung.

Joseph Car­di­nal Ratzinger

18. Febru­ar 1999

Hoch­wür­di­ger
P. Prof. Mati­as Augé, CMF
Isti­tu­to “Cla­re­tia­num“
L.go Loren­zo Mos­sa, 4
00165 Roma

Hoch­wür­di­ger Pater,

ich habe mit gro­ßer Auf­merk­sam­keit Ihren Brief vom 16. Novem­ber gele­sen, in dem Sie eini­ge Kri­tik an der von mir am 24. Okto­ber 1998 gehal­te­nen Tagung anläß­lich des 10. Jah­res­ta­ges des Motu Pro­prio Eccle­sia Dei geäu­ßert haben.

Ich kann ver­ste­hen, daß Sie mei­ne Stand­punk­te zur Lit­ur­gie­re­form, ihrer Anwen­dung und der Kri­se, die von eini­gen Ten­den­zen her­rüh­ren, die in ihr ver­steckt sind, wie die Ent­sa­kra­li­sie­rung, nicht teilen.

Mir scheint jedoch, daß Ihre Kri­tik zwei Aspek­te nicht berücksichtigt:

1. Es ist der Hei­li­ge Vater Johan­nes Paul II., der mit dem Indult von 1984 den Gebrauch der Lit­ur­gie vor der pau­li­ni­schen Reform unter bestimm­ten Bedin­gun­gen erlaub­te; der­sel­be Papst ver­öf­fent­lich­te 1988 das Motu pro­prio Eccle­sia Dei, das sei­nen Wil­len zum Aus­druck bringt, den Gläu­bi­gen ent­ge­gen­zu­kom­men, die sich bestimm­ten For­men der frü­he­ren latei­ni­schen Lit­ur­gie ver­bun­den füh­len, und ersucht die Bischö­fe „auf umfang­rei­che und groß­zü­gi­ge Wei­se“ den Gebrauch der lit­ur­gi­schen Bücher von 1962 zu gewähren.

2. Ein nicht gerin­ger Teil der katho­li­schen Gläu­bi­gen, vor allem fran­zö­si­scher, eng­li­scher und deut­scher Spra­che sind stark der alten Lit­ur­gie ver­bun­den und der Hei­li­ge Vater beab­sich­tigt ihnen gegen­über nicht zu wie­der­ho­len, was 1970 gesche­hen ist, als man die neue Lit­ur­gie auf extrem bar­sche Art und Wei­se mit einer Über­gangs­zeit von nur sechs Mona­ten auf­zwang, wäh­rend das renom­mier­te Lit­ur­gi­sche Insti­tut von Trier für die­se Fra­ge, die auf so ent­schei­den­de Wei­se den Nerv des Glau­bens berührt, rich­ti­ger­wei­se an einen Zeit­raum von zehn Jah­ren gedacht hat­te, wenn ich mich nicht irre.

Es sind daher die­se bei­den Punk­te, die Auto­ri­tät des regie­ren­den Hei­li­gen Vaters und sei­ne pasto­ra­le und respekt­vol­le Hal­tung gegen­über den tra­di­tio­na­li­sti­schen Gläu­bi­gen, die zu berück­sich­ti­gen sind.

Erlau­ben Sie mir jedoch eini­ge Ant­wor­ten auf Ihre Kri­tik an mei­nem Bei­trag anzufügen.

1. Bezüg­lich des Kon­zils von Tri­ent habe ich nie gesagt, daß die­ses die lit­ur­gi­schen Bücher refor­miert habe, ganz im Gegen­teil habe ich immer betont, daß die post­triden­ti­ni­sche Reform, die in voll­kom­me­ner Kon­ti­nui­tät der Lit­ur­gie­ge­schich­te erfolg­te, weder die ande­ren recht­gläu­bi­gen latei­ni­schen Lit­ur­gien abschaf­fen woll­te (deren Tex­te seit mehr als 200 Jah­ren bestan­den) noch eine lit­ur­gi­sche Uni­for­mi­tät auf­zwin­gen wollte.

Wenn ich sag­te, daß auch die Gläu­bi­gen, die vom Indult von 1984 Gebrauch machen, der Ord­nung des Kon­zils fol­gen müs­sen, woll­te ich auf­zei­gen, daß die grund­le­gen­den Ent­schei­dun­gen des Zwei­ten Vati­ka­num Schnitt­punk­te für alle lit­ur­gi­schen Ten­den­zen und daher auch die Brücke für die Ver­söh­nung im lit­ur­gi­schen Bereich sind. Die anwe­sen­den Zuhö­rer ver­stan­den mei­ne Wor­te zur Öff­nung gegen­über dem Kon­zil, zur Begeg­nung mit der lit­ur­gi­schen Reform. Ich den­ke, daß jemand, der die Not­wen­dig­keit und die Bedeu­tung der Reform ver­tei­digt, voll­kom­men ein­ver­stan­den sein müß­te mit die­ser Art, die „Tra­di­tio­na­li­sten“ an das Kon­zil anzunähern.

2. Das Zitat von New­man will aus­drücken, daß die kirch­li­che Auto­ri­tät nie in ihrer Geschich­te auf recht­li­cher Ebe­ne eine recht­gläu­bi­ge Lit­ur­gie abge­schafft hat. Es geschah hin­ge­gen, daß eine Lit­ur­gie ver­schwand und damit der Ver­gan­gen­heit ange­hört und nicht mehr der Gegenwart.

3. Ich möch­te nicht auf alle Details Ihres Brie­fes ein­ge­hen, auch wenn es nicht schwie­rig wäre auf Ihre ver­schie­de­nen Kri­tik­punk­te an mei­nen Argu­men­ten zu ant­wor­ten. Mir liegt aber jenes am Her­zen, das die Ein­heit des römi­schen Ritus betrifft. Die Ein­heit ist heu­te nicht durch die klei­nen Gemein­schaf­ten bedroht, die vom Indult Gebrauch machen und sich häu­fig wie Aus­sät­zi­ge behan­delt sehen, wie Per­so­nen, die etwas Uner­hör­tes, ja gar Unmo­ra­li­sches tun; nein, die Ein­heit des römi­schen Ritus wird durch die wil­de Krea­ti­vi­tät bedroht, die häu­fig von den Lit­ur­gi­kern (zum Bei­spiel in Deutsch­land wird Pro­pa­gan­da für das Pro­jekt Mis­sa­le 2000 gemacht, indem man behaup­tet, das Mis­sa­le Pauls VI. sei bereits über­holt). Ich wie­der­ho­le, was ich in mei­ner Rede gesagt habe, daß die Unter­schie­de zwi­schen dem Mis­sa­le von 1962 und einer getreu nach dem Mis­sa­le von Paul VI. zele­brier­ten Mes­se viel gerin­ger sind als die Unter­schie­de zwi­schen den ver­schie­de­nen soge­nann­ten „krea­ti­ven“ Anwen­dun­gen des Mis­sa­le von Paul VI. In die­ser Situa­ti­on kann der Gebrauch des vor­he­ri­gen Mis­sa­le ein Damm gegen die lei­der häu­fi­gen Ver­fäl­schun­gen der Lit­ur­gie sein, und damit eine Stüt­ze für die authen­ti­sche Reform. Sich der Umset­zung des Indults von 1984 (1988) im Namen der Ein­heit des römi­schen Ritus zu wider­set­zen, ist gemäß mei­ner Erfah­rung, eine sehr rea­li­täts­frem­de Hal­tung. Im übri­gen bedaue­re ich es, daß Sie in mei­ner Rede nicht die Ein­la­dung an die „Tra­di­tio­na­li­sten“ wahr­ge­nom­men haben, sich dem Kon­zil zu öff­nen, sich Rich­tung Ver­söh­nung ent­ge­gen­zu­kom­men in der Hoff­nung, mit der Zeit den Bruch zwi­schen den bei­den Mis­sa­le zu überwinden.

Jeden­falls dan­ke ich für Ihren Frei­mut, der es mir erlaubt hat, offen über eine Rea­li­tät zu spre­chen, die uns bei­den glei­cher­ma­ßen am Her­zen liegt.

Mit dank­ba­ren Gefüh­len für die Arbeit, die Sie in der Aus­bil­dung der künf­ti­gen Prie­ster lei­sten, grü­ße ich Sie

Im Herrn Ihr

+ Joseph Card. Ratzinger

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