Liebe Brüder und Schwestern!
Vorige Woche habe ich über das Leben der heiligen Hildegard von Bingen gesprochen. Heute möchte ich die Katechese über diese bedeutende Frauengestalt des Mittelalters fortsetzen. Hildegard, die 1098 vermutlich in Bermersheim in der Pfalz geboren wurde, war schon als achtjähriges Mädchen dem klösterlichen Leben übereignet worden. Sie wurde die Vorsteherin ihrer Klostergemeinschaft, wirkte darüber hinaus aber auch als Bußpredigerin und als Beraterin von geistlichen und weltlichen Größen. Aus ihrer Fähigkeit zur mystischen Schau heraus hat Hildegard zahlreiche Schriften verfaßt. Ihr bekanntestes Werk Scivias – das heißt: „Wisse die Wege“ – stellt in einer Reihe von Visionen die gesamte Heilsgeschichte von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht dar. Alles Irdische ist Zeichen für eine übernatürliche Wirklichkeit. Die ganze Schöpfung weist auf den dreifaltigen Gott hin, sie ist eine Symphonie des Heiligen Geistes, sagt sie, der selbst Freude und Jubel ist. Mitte der Erlösung ist gleichsam die Vermählung zwischen Gott und Mensch, die sich in der Inkarnation vollzogen und im Kreuz zu ihrer Tiefe hin vollendet hat. Die Kirche, so Hildegard, erhält als Brautgabe den Leib und das Blut Christi, die sie in jeder Messe Gott zum Dank darbringt und damit diesen Ehebund – den Bund zwischen Gott und Mensch – erneuert. Die Gläubigen sind dabei nicht nur passive Zuschauer, sondern sie sind eingeladen, sich zu öffnen und bereit zu sein, selbst in diesen Bund lebendig einzutreten. Hildegard hat aus ihrer Sicht der Schöpfung von Gott her auch die Gaben der Schöpfung zu deuten gewußt, in der Schöpfung eine „Apotheke Gottes“ gefunden und so eine Medizin entwickelt, die heute neues Interesse findet. Sie hat Musik geschaffen, die heute wieder rekonstruiert wird, und sie ist poetisch gewesen, vor allen Dingen aber eine große Frau, die sowohl zu den einfachen Menschen von Gott zu sprechen vermochte, wie sie auch den Mächtigen gegenüber furchtlos das Wesentliche verkündet und sie auf den richtigen Weg gerufen hat. Wir sind dankbar, daß Gott der Kirche solche großen Frauen geschenkt hat, und vertrauen darauf, daß er auch in unserer Zeit solche Frauen der Kirche wieder neu schenkt.
Von Herzen grüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher, besonders die Delegation deutscher Richter und Staatsanwälte. Für die heilige Hildegard gibt es Wachstum nur, wenn alles aufeinander bezogen, wechselseitig verbunden und in Gott vereint ist. Auch unsere menschliche Gemeinschaft soll wachsen, die Harmonie der Schöpfung weiterführen in einem gegenseitigen Geben und Empfangen. Der Heilige Geist schenke uns die innere Bereitschaft, als Brüder und Schwestern diese Welt zu gestalten. Gott segne euch alle!