(Paris/Beirut) Der bekannte Orientalist und ägyptische Jesuit Pater Samir Khalil Samir begrüßt das französische Burqa-Verbot, das mit 355 von 500 Stimmen durch die Nationalversammlung in Paris angenommen wurde und erklärt in diesem Beitrag warum.
Insgesamt tragen heute laut Polizeiangaben mehr als 2000 Frauen in Frankreich die Burqa oder Niqab als Ganzkörperverhüllung und begründen dies mit religiösen Vorschriften. In Ägypten waren es im Jahr 2001 lediglich einige Hundert. Heute sind es mehr als 16 Prozent aller Frauen. Auch in Frankreich würde die Zahl ohne gesetzlichen Eingriff weiter zunehmen. Denn es handle sich nicht in erster Linie um eine religiöse Frage, sondern um eine ideologische.
Gleich vorweg ist es notwendig festzuhalten, daß sich weder im Koran noch in der sunnitischen Tradition, der Sunna, auch nur der geringste Hinweis auf die Burqa findet. Obwohl die Ganzkörperverhüllung nichts mit der islamischen Religion zu tun hat, wird sie in einigen islamischen Ländern wie eine religiöse Frage behandelt. Dazu gehören vor allem Saudi-Arabien, die gesamte arabische Halbinsel und Afghanistan. Die Burqa ist also auch als Tradition eine Ausnahme und nicht die Regel. Allerdings beherrschen gerade die genannten Länder, allen voran Saudi-Arabien die islamische Welt in ideologischer Hinsicht. Sie verbreiten, nicht zuletzt dank des saudischen Geldes, innerhalb des Islams mit Nachdruck die Sitten ihrer Länder. Millionen von ägyptischen Gastarbeitern kehren aus Saudi-Arabien zurück und beginnen nach der saudischen Tradition (nicht der islamischen) zu leben und zwingen plötzlich ihre Frauen, die Burqa zu tragen. Manchmal erhalten sie dafür aus Saudi-Arabien sogar eine finanzielle Unterstützung.
Der ägyptische Mann gewöhnt sich daran, die saudischen Frauen völlig verschleiert zu sehen und fühlt sich durch diese Form in seiner übertriebenen Männlichkeit bestätigt, die allerdings tatsächlich auf den Koran zurückgeht. Die Totalverschleierung der Frau findet sich nicht im Koran, die absolute Autorität des Mannes über die Frau entspricht hingegen der islamischen Tradition und ist im Koran verankert. Die Frau im Islam lernt seit jeher, daß sie dem Mann gehorsam sein muß, wenn sie fromm sein will. Ein Beispiel: Verbietet der Mann, aus welchem Grund auch immer, seiner Frau, die Moschee zum Gebet zu betreten und die Frau tut es dennoch, weil sie das vom Islam vorgeschriebene Gebetsgebot einhalten will, dann begeht sie laut islamischem Verständnis eine größere Sünde, als nicht am Gebet teilzunehmen.
Es besteht also bei beiden Geschlechtern eine Prädisposition, die Frau vollständig zu verhüllen, sei es aus Eifersucht des Mannes oder aus Unterwürfigkeit der Frau. Manche Frauen fühlen sich mit der Burqa sogar geschützt vor den indiskreten Blicken der islamischen Männer, die in manchen Gegenden der arabischen Halbinsel penetrant sein können oder auch vor den inquisitorischen Blicken der Religionswächter.
Ebenso muß erwähnt werden, daß die Burqa in vielen islamischen Ländern verboten ist, so etwa in Tunesien, weil sie eben „nicht Teil der Tradition“ ist. In der Türkei ist sie im Namen des Laizismus verboten. In Ägypten hatte der inzwischen verstorbene Rektor der islamischen Al-Azhar-Universität, Mohamed Sayyed Tantawi im November 2009 ein solches Verbot ausgesprochen, indem er den Studentinnen sagte: „Die Niqab (wie die Burqa auch genannt wird) ist nur ein Brauch; sie hat keinerlei Bezug zum Islam, weder einen engen noch eine weiten.“ Im Februar 2010 bezeichnete der ägyptische Ministerpräsident Ahmad Nazif sie als „Verleugnung der Frau“.
Wer sind also jene, die in Europa den Frauen um jeden Preis die Burqa aufzwingen wollen? Sie gehören in der Regel der salafitischen Richtung an, die eine Rückkehr zur Tradition des ersten islamischen Jahrhunderts fordert. Sie ist in Europa vor allem unter islamistischen Aktivisten verbreitet und dehnt sich durch die Ehe auch auf europäische Frauen aus. Vor einigen Jahren war ich eingeladen, in Göttingen einen Vortrag über die Frau im Islam zu halten. Es waren nicht die im Saal anwesenden türkischen Moslems, die mich angriffen, sondern drei deutsche, zum Islam konvertierte Ärztinnen. Mit dem Kopftuch auf behaupteten sie, der Islam sei die beste Religion für die Frau.
In Frankreich wird die Ganzverschleierung von islamischen Frauen nach der Eheschließung getragen, die vorher nie etwas dergleichen trugen. Das gilt genauso für Konvertitinnen. Daraus können wir schließen, daß die Entscheidung, den Schleier zu tragen, nicht aus einer tatsächlichen Tradition oder religiösen Werten erwächst, sondern aus einem ideologischen Geist heraus, der – meist in einem bewußten Gegensatz zum Westen – eine Rückkehr zur angebliche kulturellen Tradition Arabiens des 7. Jahrhunderts propagiert.
Dieses plötzliche Auftauchen der Burqa von heute auf morgen und ihre beachtliche Verbreitung geht auf die Propaganda zurück, die heute in der islamischen Welt dafür gemacht wird. Mit der Burqa verbinden die Salafiten den Anspruch, die einzigen wirklich authentischen Moslems zu sein.
Die europäische Reaktion auf die Ganzkörperverschleierung
Europa gibt auf die Burqa eine klare Antwort. Seit Donnerstag verbietet sie in Frankreich ein Gesetz, gleiches gilt seit einigen Monaten in Belgien. Die Burqa ist in Barcelona verboten und weitere Länder diskutieren über eine solche Maßnahme.
Die Europäer sind gegen die Burqa, weil sie der europäischen Tradition widerspricht. Sie anzulegen ist eine Form, die Integration in die europäische Kultur abzulehnen.
Das Phänomen ist (noch) klein und betrifft nur einige Tausend Frauen. Dieses einteilige Gewand, meist schwarz, ist eine Art „Grab der Frauen“ und macht sie zu „wandelnden Gespenstern“. Die Burqa wurde zum Symbol der Unterwerfung der Frauen und ist gegen die Gleichwertigkeit von Mann und Frau.
Auch in der arabischen Welt gab es seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine starke Bewegung gegen die Verschleierung. In Ägypten, Syrien oder Tunesien gibt es eine umfangreiche weibliche Literatur, die seit 1930 gegen den Schleier mobilmachte und auch durchaus Erfolge erzielte. Sie wurde auch von einigen Imamen unterstützt. Damals war eine Ganzkörperverschleierung nicht einmal ein Thema, man lehnte den Schleier insgesamt ab.
In der „Erklärung von Riyad“ von 2007 kann man lesen, wie die anwesenden islamischen Staaten bekunden, „zum Rest der Welt aufholen zu wollen“. Die Verbreitung der Burqa stellt dagegen eine ideologisch motivierte Gegenbewegung dar.
Die französische Justizministerin Michele Alliot-Marie stellte fest, daß die Verhüllung des Gesichtes gegen die Werte der Republik verstoße. Daß die Franzosen ihre Kultur verteidigen, scheint mir richtig. Die Reaktion der Abgeordneten war fast einhellig. Es gab nur eine Gegenstimme. Selbst Frankreichs Sozialisten enthielten sich der Stimme. Bei der Abstimmung in Belgien gab es nur zwei Gegenstimmen.
Diese Einhelligkeit zeigt, daß ein wichtiger Punkt der westlichen Mentalität berührt wird. Wenn man bedenkt, mit welcher Leichtigkeit Einwanderer in Frankreich die Staatsbürgerschaft erhalten, darf man daraus schließen, daß es einen großen Wunsch zur Integration gibt. Wenn die interessierten Personen jedoch in Frankreich oder Europa leben wollen, aber die französische oder europäische Kultur ablehnen, entsteht ein Widerspruch und daraus erwächst ein Problem.
Die moslemische Reaktion
Laut Reaktionen, die ich las, und aufgrund meiner Erfahrung durch die Teilnahme an einer Reihe von französischen Diskussionsforen zum Thema kann ich sagen, daß die Mehrheit der moslemischen Männer und Frauen die Ganzkörperverschleierung ablehnt. Nur die Islamisten sind dafür. Dennoch scheint die Mehrheit der Moslems in Frankreich und Europa gegen dieses Gesetz zu sein. Ich denke, daß es sich dabei um eine vor allem psychologisch motivierte Reaktion handelt nach dem Motto: „Wir sind die Gemeinschaft, die immer als gefährlich dargestellt wird; wir sind Opfer der Islamophobie; Opfer eines Angriffs auf den Islam; wir werden immer als die Bösen dargestellt…“
In Wirklichkeit liegen die Dinge jedoch genau umgekehrt. In der islamischen Welt gibt es zumindest bei einem Teil eine ausgeprägte Aggressivität gegen die westliche Kultur. Wer ist also der Aggressor, wer der Angegriffene? Jeder kann sich über die Gültigkeit dieser oder jener Kultur äußern. Wenn jemand aus dem Westen nach Ägypten zieht, um dort zu leben, dann aber auf die ägyptische Kultur spuckt, tut gut daran, wieder zu gehen. Wenn es keine Sympathie für das Gastland gibt, kein gemeinsames Empfinden, warum bleibt man dann? Meine Kultur kann ihre Schwächen haben, dann verändern wir sie gemeinsam, statt sie zu verachten.
Ganz selten habe ich Moslems kennengelernt, die ihre Glaubensbrüder einluden, sich in die Kultur eines nicht-moslemischen Gastlandes zu integrieren, in das sie eingewandert sind. Das aber wäre der erste und natürliche Schritt, den man erwarten darf: die Dankbarkeit gegenüber dem Land, das Aufnahme gewährt und dem man sich daher verbunden zu fühlen hat.
So stellt sich mir die Frage: Bedeutet Moslemsein, Christsein, Judesein einen Antagonismus gegen das Italienersein oder Marokkanersein oder Russesein? Kann man die religiöse Identität auf dieselbe Stufe stellen wie eine nationale Identität? Sind das nicht unterschiedliche Ebenen? Im Westen, wenn sich Menschen in einer Gruppe vorstellen, sagen sie normalerweise „Ich bin Deutscher, ich bin Pole, oder in meinem Fall, ich bin Ägypter“, niemandem würde es einfallen zu sagen: „Ich bin Christ.“ Bei den Moslems hingegen lautet die Antwort in der Regel „Ich bin Moslem“, als würde es sich um eine staatliche oder nationale und damit auch politische Zugehörigkeit handeln.
Das Ergebnis ist eine doppelte Zugehörigkeit, als würde man sagen: „Ich bin Franzose, aber Moslem“. Das erinnert an die von Karl Marx in seiner Schrift „Die Judenfrage“ (1843) analysierte Haltung der Juden im 19. Jahrhundert, mit der er auf die Studie des Theologen Bruno Bauer antwortet, die wenige Monate zuvor unter dem gleichen Titel erschienen war.
Ich möchte daher den Moslems sagen: Es ist eure Aufgabe, eure Leute zu erziehen und sie zur Integration aufzufordern und nicht zum Konflikt. Warum erziehen eure Tausende von Imamen in Europa, die zum größten Teil von den ölreichen islamischen Staaten bezahlt werden und nicht von den moslemischen Gemeinschaften in Europa, nicht zur Integration in die europäische Kultur? Vielleicht deshalb, weil sie die ersten Gegner des Westens sind!
Anstatt die französische Regierung oder eine andere europäische Regierung zu kritisieren, übt daher Selbstkritik, verurteilt den Terrorismus und die Anti-Integration!
In Frankreich ist der größte Teil der moslemischen Gemeinschaft gegen Gewalt. Dennoch würde kein Moslem auf sie Straße gehen, um den Islamismus und den Salafismus zu verurteilen. Dabei stellt der Kampf gegen den Islamismus sogar eine der dringlichsten Prioritäten ihrer islamischen Herkunftsländer dar. Es ist gerade der Islamismus, der die Entwicklung der islamischen Welt blockiert, bis hin zum Fanatismus, der den Terrorismus im Gepäck führt.
Das französische Burqaverbot ist eine Einladung an die Moslems in Europa
Das soeben beschlossene französische Gesetz scheint mir sehr ausgewogen. Es sieht eine sechsmonatige Übergangsphase vor, die ein inneres Umdenken und damit eine Entwicklung ermöglicht. Die Diktion des Gesetzes ist sehr zurückhaltend. Man spricht nicht explizit von Burqa oder Niqba, sondern allgemein von einer vollständigen Verhüllung des Gesichts. Es erklärt präzise wann und wie diese verboten ist, wobei sogar die Ausnahmen angeführt werden (Krankheit, ärztlicher Verband, Fasching usw.). Das Gesetz bemüht sich jeden anti-islamischen Einschlag zu vermeiden. Die Strafe bei Zuwiderhandlung ist mit 150 Euro oder Staatsbürgerkunde, also einer Art Training für das zivile Zusammenleben in einer westlichen Gesellschaft, festgesetzt.
Das Gesetz macht vor allem einen bemerkenswerten Unterschied bei den Strafen von 150 Euro Bußgeld für eine Frau, die eine Burqa trägt und einem Jahr Gefängnis und 30.000 Euro Bußgeld für jemanden, der eine Frau dazu zwingt, sie zu tragen. Zwei Jahre Gefängnis und 60.000 Euro Bußgeld, wenn ein minderjähriges Mädchen dazu gezwungen wurde. Vom Gesetz werden unterschiedslos Mann oder Frau (nicht nur Ehemänner oder Väter) bestraft, die durch Drohung, Gewalt, Zwang, Macht- oder Autoritätsmißbrauch eine Frau oder ein Mädchen zwingen, sich das Gesicht zu verhüllen. Dies belegt, daß das Gesetz die Werte von Gleichheit und Freiheit fördern will.
Ist dieses Gesetz wirklich notwendig?
War es wirklich notwendig, ein solches Gesetz zu verabschieden? Die Erfahrung in den islamischen Staaten zeigt, daß sich die Ganzkörperverhüllung immer weiter ausbreitet, obwohl die Verantwortungsträger in den meisten Ländern diese Entwicklung zu stoppen versuchen. Deshalb ist davon auszugehen, daß ohne ein gesetzliches Verbot auch in Europa die derzeitige ideologische Stoßrichtung unter Moslems immer mehr Frauen dazu drängeln würde, die Burqa anzulegen.
Dieses Gesetz ist daher wichtig und ein Gewinn, nicht weil es von einem Stück Stoff handelt, sondern weil es sich einer ideologischen Mentalität des Widerspruchs und der Ablehnung stellt, die letztlich der islamischen Gemeinschaft am meisten schadet. Der Ganzkörperschleier ist ein Symbol mit einer eindeutigen Botschaft: „Nein zu eurer Zivilisation!“
Dieses Symbol und damit auch diese Botschaft wird von der Mehrheit der islamischen Länder abgelehnt. Umso wichtiger ist es, daß ebenso die islamische Gemeinschaft Frankreichs, die größte im Westen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln an der Integration in die europäische Zivilisation mitarbeitet. Als französische Staatsbürger haben die Moslems, wie alle anderen Staatsbürger auch, die doppelte Pflicht, diese europäische Kultur zu verteidigen und sie – wo verbesserungswürdig – zu kritisieren. Es ist dabei keineswegs überflüssig, daran zu erinnern, daß die westliche Zivilisation Erbe der christlichen Zivilisation ist, weshalb es ebenso Pflicht der Christen ist, sie zu verteidigen und zu kritisieren.
Der Islam wächst in Europa durch Einwanderung und Geburtenreichtum. Sind die Moslems bereit, diese Gesellschaft, in der sie eine Minderheit sind, zu akzeptieren? Es wäre wichtig, der moslemischen Gemeinschaft bei der Integration in die europäische Kultur zu helfen. Es werden nicht Moslems aus Arabien sein, die diese Integration bewerkstelligen, sondern die Moslems, die bereits in Europa leben.
Es ist Zeit die Sichtweise zu erweitern, um zu 100 Prozent Europäer und zu 100 Prozent Moslems oder Christen oder Juden oder Atheisten usw. zu sein.
Das französische Gesetz ist daher in erster Linie eine Einladung an die moslemische Gemeinschaft und nicht gegen den Islam gerichtet. Es ist ein Versuch, den islamischen Glauben mit der Zugehörigkeit zur französischen Zivilisation in Einklang zu bringen.
(Asianews/GN, Bild: Asianews)