Dem Menschen, der sich für besonders „modern“ und „aufgeklärt“ hält, gilt jeder Glaube unterschiedslos als Ausdruck der Unvernunft, weil die Vernunft bereits vom wissenschaftlich-technologischen Bestand vollständig usurpiert ist. Diesem Konnex von Wissen und Vernunft ist es geschuldet, daß religiöser Glaube heute prima facie als unvernünftig gilt, gleich welchen Inhalts er sei.
Entweder man glaubt an alles oder an gar nichts. Das beschreibt aber nicht den christlichen Glauben, so wie er – im Dogmenmantel der Kirche geschützt – die Jahrhunderte überdauerte. Die Kirche hat immer Wert gelegt auf die Unterscheidung zwischen dem, was sie für Glaubenswahrheit und dem, was sie für Aberglauben hielt. Es besteht die Gefahr, daß mit der zunehmenden Unfähigkeit, im Einklang mit der kirchlichen Dogmatik zwischen Glaubenswahrheit und Aberglauben, zwischen vernünftigem und unvernünftigen Glauben zu unterscheiden, wesentliche Aspekte der christlichen Religion aus dem Blick geraten, während dem Christentum Aspekte zugeschrieben werden, die nie Teil dieses Glaubens waren. Die Logik dieser „Moderne“ und dieser „Aufklärung“ trennt also nicht nur Religion und Wissenschaft, sie eint damit auch Glauben und Unvernunft. Nach diesem Denken gibt es keine Kriterien, den vernünftigen Glauben, die berechtigte Hoffnung, das sehende Vertrauen von ihren unvernünftigen, unberechtigten und blinden Widerparten zu sondern.
Zudem wird im Zeitalter der selbstgefälligen Kirchenkritik bei gleichzeitig unveränderter Sehnsucht nach Transzendenz (Motto: Gott – ja, Kirche – nein!) diese Differenzierungskraft der kirchlichen Dogmatik weiter geschwächt, so daß am Ende ironischerweise keine „moderne“, „aufgeklärte“, „vernünftige“, „entkirchlichte“ und damit „befreite“ Gesellschaft mit einer ins Private gedrängten Religiosität steht, sondern eine neue unkontrollierte Pseudo-Frömmigkeit um sich greift, in der dann tatsächlich alles geglaubt werden darf, weil man sich die Chance zur Reinigung ein für alle mal verbaut hat, als man Religion gänzlich die Fähigkeit zur Reflektion absprach. Die Alternative zur kirchlichen Dogmatik ist also nicht das glatte wissenschaftlich-technologische Zeitalter geistig gesunder und glücklicher Generationen, sondern die Esoterik, in der „Glauben“ als Ausdruck menschlicher Selbstvergewisserung durch die Beliebigkeit des Glaubensgegenstands ad absurdum geführt wird. Das wiederum fällt auf die Kirche zurück, weil in ihr ja auch „irgendwie“ geglaubt wird.
Es ist also wichtiger denn je, zwischen Glaubenswahrheit und Aberglauben zu unterscheiden, um überhaupt sinnvoll und vernünftig glauben zu können. Durch eine entsprechende Verkündigung müssen die Menschen wieder befähigt werden differenziert zu denken. Nur so können sie Glaubenswahrheit und Aberglauben scheiden. Die Auferstehung gehört etwa zu ersterem, der „Hexenwahn“ zu letzterem. Deshalb hat die katholische Kirche diesen intensiv bekämpft und die Verfolgung von Hexen unterbunden, deshalb feiert sie jene jährlich in einem rauschenden Fest. Der „moderne“ und „aufgeklärte“ Mensch scheint das nicht mehr verstehen zu können. Er treibt sich die Auferstehung mit dem Hexenwahn aus. Er will – völlig zu Recht – an diesen nicht glauben, meint aber – völlig zu Unrecht – infolgedessen auch jene als Gegenstand von Geglaubtem aufgeben zu müssen. Das ist eine Tragik, die den Jubel des Osterfestes überschattet.
Daß christlicher Glaube mehr ist als beliebiger Glaube, zeigt sich in seinen Konsequenzen. Es bleibt nämlich nicht beim folgenlosen „Für-wahr-halten“, sondern dieses führt zu neuer Daseinsorientierung. Christlicher Glaube ist Lebensform. Er vertritt die als Wahrheit erkannten Glaubenssätze ohne Wenn und Aber – bis zum Tod. Deutlich wird dies an der Auferstehung als der zentralen Glaubenswahrheit des Christentums.
Auferstehung ist eine Frage des Glaubens. Dennoch kann man sich ihr auch als historisches Ereignis nähern und die Plausibilität der Nachricht prüfen. Drei Gedanken kommen mir dabei in den Sinn.
1.) Es könnte sich bei der Nachricht von der Auferstehung um eine Lüge handeln, um einen kleinen Betrug, der gigantische Ausmaße annahm. Über solcherlei Betrugsabsichten wurde damals schon spekuliert – unter der jüdischen Obrigkeit (Matthäus 27, 62–66). Deswegen der Stein, deswegen die Wachen. Warum aber erwähnt der Evangelist Matthäus dies? Wenn es den Betrug gab, könnten diese Worte dazu dienen, ein erklärendes Argument für die Skepsis nachzuschieben, die eine Generation nach Christus überall auftrat und wie sie auch Paulus um das Jahr 50 n. Chr. in Athen entgegenschlägt. Das Matthäus-Evangelium entstand ja zu Beginn der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts – das würde also passen. Freilich ist auch dies nicht mehr als eine Unterstellung, aber ein solcher Trick fügte sich durchaus in die große Verschwörung ein, wenn es denn eine solche gegeben hat.
Was jedoch eindeutig dagegen spricht, das ist die Geschichte der Urgemeinde, der jungen Kirche. Eine Lüge, von der man weiß, daß es eine Lüge ist, weil man sie selbst in die Welt gesetzt hat, gibt man irgendwann auf, wenn der Preis zu hoch wird. Einen Betrug gesteht man ein, wenn der Widerstand zu groß wird. Zumindest zieht man sich schweigend zurück. Das Gegenteil ist aber der Fall: Gegen alle Widerstände wird die Nachricht verbreitet. Warum hielten sie daran fest, obwohl sie das sehr oft das Leben kostete? Warum haben sie ihre Lüge, wenn es eine war, so gut durchgehalten? Umgekehrt gefragt: Welches Gut ist mehr wert als das eigene Leben? Doch nur eine Wahrheit, für die es sich zu sterben lohnt. Und keine Lüge! Paulus selbst meinte, daß es sich nicht lohnte, für den Glauben zu sterben, wenn es nicht um die Auferstehung als wahren Kern dieses Glaubens ginge (1. Brief an die Korinther 15, 17–19).
Auf dem Sterbebett, den Tod vor Augen, bekennen viele Menschen eine Lüge, die sie zuvor ein Leben lang mit sich trugen, eine Untreue, ein Versagen, einen Betrug. Von den mehreren zehntausend Christen, die während der ersten Jahrhunderte ermordet wurden, ist so etwas nicht überliefert – im Gegenteil: Sie loben und preisen Gott, sie beten und bitten für ihre Peiniger. Die erste Generation, also die, welche Christus kannte und damit aus der „Zeugenzeit“ stammt, wird fast vollständig ausgelöscht. Im Tod erneuerten viele ihr Bekenntnis und gaben zum letzten Mal ein Zeugnis der Auferstehung. Hätten ihre Gegner es nicht aufgezeichnet, wenn sich auch nur leiser Zweifel geregt hätte? In der antiken Geschichtsschreibung ist aber davon nichts zu lesen. Statt dessen blitzt ab und an Bewunderung durch, darüber, wie furchtlos Menschen in den Tod gehen können. Die Lösung liegt auf der Hand: Ihr Glaube an die Auferstehung, der ihnen Gewissheit war.
Die Begeisterung und Opferbereitschaft der „Generation Jesus“ ist zu groß, um bloß gespielt zu sein. Und diese Begeisterung und Opferbereitschaft steht und fällt mit der Auferstehung. Hier lag bei den ersten Christen eine Qualität von Überzeugtheit vor, die es ermöglichte, die Verfolgung auszuhalten und die Nachricht zu verbreiten. Wenn das nicht so gewesen wäre, würden wir heute alles mögliche feiern, aber nicht die Auferstehung Jesu Christi.
Auch die theologisch bisweilen bevorzugte abstrakte Deutung der Auferstehung als wahrheitskonservierender Mythos, der – rein funktional betrachtet – zum Grundstein einer „großen Erzählung“ (Lyotard) wird, kann angesichts dieser Begeisterung und Opferbereitschaft nicht bestehen. Auferstehung ist kein Kalkül mit Blick auf Missionschancen, sondern die erfahrene und gelebte Glaubenswahrheit des Christentums.
2.) Wenn Fremdtäuschung ausscheidet, könnte es sich aber immer noch um Selbsttäuschung handeln. Dann wären die Jünger nicht „böse“, sondern „dumm“. Dann hätten sie sich die Auferstehung nur eingebildet und eingeredet. So etwas ist durchaus möglich. Halluzinationen kommen – zumal in Streßsituationen – nicht gerade selten vor. Nur ist es schwer vorstellbar, daß verschiedene Menschen an verschiedenen Orten urplötzlich unter der gleichen Psychose leiden, die dann Jahrzehnte lang andauert und offenbar hoch ansteckend ist. Nicht nur die Jünger hatten das überwältigende Gefühl der spürbaren Anwesenheit ihres Herrn, sondern auch eine ganze Menge anderer Menschen, darunter solche, die Jesus nie gefolgt waren oder ihn und seine Anhänger sogar verfolgt hatten, darunter Paulus (1. Brief an die Korinther, 15, 3–8). Und mit dessen Berufung endet die Massenpsychose (also die Erscheinungen des auferstandenen Jesus) wieder – so urplötzlich, wie sie begann? Möglich, aber nicht überzeugend.
3.) Wir haben nur das biblische Zeugnis von der Auferstehung. Das ist sehr wenig. Das war auch den ersten Christen sicherlich klar. Nun ist es ja so, daß man, wenn einem schon bewußt ist, auf welch dünnem Eis man sich bewegt, nicht unbedingt auch noch darauf herumspringt. Genau das tun aber die Evangelisten. In geradezu fahrlässig naiver Weise werden Menschen als Hauptzeugen der Auferstehung eingeführt, die in der antiken Gesellschaft nichts gelten: Frauen. Man muß sich das vorstellen: Das ist etwa so, als würden wir als Zeugen bei Gericht unseren Kanarienvogel angeben.
Dieses Detail ist deswegen besonders pikant, da es in der antiken Rechtsauffassung ausschließlich auf das Zeugnis ankam, um die Wahrheit eines Sachverhalts nachzuweisen; eine unabhängige Untersuchung der Indizien, wie wir sie heute kennen, fand nicht statt – zum Urteil führte entweder das Geständnis oder ein glaubwürdiges Zeugnis. Nun werden ausgerechnet Frauen genannt! Und ein Mann, der drei Tage zuvor dreimal gelogen hatte: Petrus (Lukas 24, 12). Auch darüber berichten die Evangelisten schamlos. Unglaubwürdiger geht es nicht!
Hätten die Evangelisten nicht ein paar Ratsherren beim Morgenspaziergang „zufällig“ am leeren Grab vorbeilaufen lassen können, um die Glaubwürdigkeit der Auferstehung, an der ja alles hing und hängt, das ganze Christentum, etwas zu steigern und das Ereignis damit auch für die Eliten in Jerusalem, Damaskus, Athen und Rom akzeptabel zu machen? Oder hätten sie nicht wenigstens über die Identität der Zeugen die Hülle des Schweigens legen können? In bestimmter Unklarheit von „einigen seiner Freunde“ sprechen können, statt übereinstimmend von „Frauen“ – mal zwei (Matthäus 28, 1), mal drei (Markus 16, 1), mal eine ganze Gruppe (Lukas 24, 10)? Sie tun es nicht. Warum? Wieder ein Trick? Also: Doppelt um die Ecke gedacht? Man könnte ja behaupten, die Tatsache, daß zuerst Frauen dem Auferstandenen begegnen, wird gerade deshalb erwähnt, um die Sache beim Rezipienten durch die unverschämten Details erst recht glaubwürdig zu machen. Sie machen es unglaubwürdig, damit man glaubt, es sei dadurch glaubwürdig? So verdreht denken nur wir moderne Menschen, die wir davon ausgehen, daß es Irrtümer im Urteil auf den ersten Blick geben kann. Durch Kriminalspiele im Fernsehen wird uns ein solches Denken geradezu aufgenötigt: Der erste Verdacht ist (meist) falsch. Lügner, Betrüger oder Mörder sind die, von denen man es nicht annimmt, daß sie lügen, betrügen oder morden. Und es sind die, denen man qua persona nicht glaubt, die am Ende doch die Wahrheit gesagt haben. Der antike Mensch dachte anders, weniger um die Ecke, sondern eher klar und gradlinig, im Glauben an eine lineare universale Erzählung, die den Weltlauf als Vorsehung betrachtet, in dem keine falschen Fährten gelegt werden. Einem solchen Menschen erzählt man eine solch wichtige Geschichte nicht mit einem derartigen Zweifelspotential in entscheidenden Passagen – und wie gesagt: Was war für die Antike entscheidender als die Zeugen selbst? Man erzählt so etwas nicht, es sei denn, die Geschichte ist wahr, und man ist von der Wahrheit und Heiligkeit des Ganzen so überzeugt, daß man nicht, damit es glaubwürdiger klingt, durch kleine Lügen eine plausible, glatte Erzählung daraus macht. Die Nachricht wird in ihrer ganzen widersprüchlichen Sperrigkeit vermittelt. Warum? Weil sie wahr ist. Das könnte doch sein, oder?
Was ist aber dann von Johannes, der sein Evangelium 30 bis 40 Jahre später verfaßte als die anderen drei Evangelisten, zu halten, der den qua persona unglaubwürdigen Frauen und dem unglaubwürdig gewordenen Petrus noch „andere Jünger“ als Zeugen beistellt (Johannes 19, 3)? Soll diese Erwähnung von Männern mit einwandfreiem Leumund einer nachträglichen Beglaubigung des Auferstehungsereignisses dienen? Johannes diese Absicht zu unterstellen, ist mehr als gewagt. Wenn dem so wäre, würde das jedoch erst recht dafür sprechen, daß es tatsächlich nur Frauen waren, die als Zeugen der ersten Stunden gelten können. Damit wäre zugleich erwiesen, daß Markus, Matthäus und Lukas ausgerechnet in diesem höchst kritischen Punkt die Wahrheit erzählen. Warum sollten sie, vor allem Lukas, der ja auch die Apostelgeschichte festhielt, dann aber gerade in anderen Punkten, etwa den Erscheinungsberichten, um der Stimmigkeit willen zu schummeln beginnen?
Die Auferstehung ist unglaublich. Aber wahr. Dies gilt es für den Christen zu bezeugen, nicht zu beweisen – damals wie heute. Damals wie heute ist das schwer und der Zweifel ist groß. Heute gilt als sinnhaltige Wahrheit nur, was der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich ist. Auch damals wurde diese Position schon vertreten, unmittelbar nach der Auferstehung, in der Person des so genannten „ungläubigen Thomas“. Er will nicht leichtgläubig sein, sich nichts vormachen lassen. Er verbucht die Auferstehung noch unter Aberglauben, erkennt in der Nachricht von ihr noch nicht die Glaubenswahrheit. Solange dieser Gott nicht handfester und leibhaftiger erfahrbar ist, glaubt er erst mal nicht, was seine Freunde ihm erzählt! Dann offenbart sich der verklärte Jesus und Thomas bekennt: „Mein Herr und mein Gott!“. Auch wir haben die Chance auf Offenbarungserlebnisse wie dieses. Im Gebet, in der Gemeinschaft mit Menschen, im Alltag. Wir müssen aber für solche Erfahrungen offen sein.
Wer die Auferstehung bloß als historisches Faktum begreift und als solches zu rekonstruieren versucht, verfehlt die Dimension des unendlichen Heils im Ewigen Leben, die Christi Auferstehung unserer Existenz verleiht und nimmt dem Glauben zudem sein tiefstes Geheimnis. Denn der christliche Glaube erschöpft sich nicht im bloßen Nachvollzug von Fakten, sondern besteht gerade in der Einlassung auf das, was sich unserer unmittelbaren Anschauung nicht zuvörderst aufdrängt, um das anzusprechen, was es braucht, um reinen Herzens den lebendigen Gott zu bekennen: Vertrauen – nicht blindes, sondern sehendes.