Liebe Brüder und Schwestern!
Bei der heutigen Audienz möchte ich von einem mittelalterlichen Heiligen sprechen, der eigentlich keiner Vorstellung bedarf. Wer kennt nicht den hl. Franz von Assisi, den Gründer der Franziskaner? Viele Menschen – auch über die Grenzen der Kirche hinweg – sind davon fasziniert, wie er die Ideale der Armut, der Hilfsbereitschaft, der Fröhlichkeit, der Brüderlichkeit und der Liebe zur Schöpfung gelebt hat.
Aber wer Franz von Assisi verstehen will, muß nach der Wurzel von all dem fragen: Franziskus wollte wie Christus sein; er wollte Jesus im Evangelium betrachten, ihn von ganzem Herzen lieben und seine Tugenden nachahmen.
Die Etappen seiner Biographie zeigen uns, wie Gott diesen reichen Kaufmannssohn und ehrgeizigen Ritter allmählich zur Bekehrung führte. Nach dem Verzicht auf sein Erbe lebte er zunächst als Einsiedler bei einer kleinen, verfallenen Kirche außerhalb von Assisi. 1208, mit 27 Jahren, verspürte er den Ruf Christi, das Wort Gottes zu verkünden. Bald schlossen sich ihm Gefährten an, aus denen – mit der wohlwollenden Unterstützung des Papstes – der Franziskanerorden hervorging.
Der Glaube des hl. Franz und sein Eifer für das Evangelium kannten keine Grenzen, so daß er – trotz der bestehenden Konflikte – im Jahr 1219 dem muslimischen Sultan in Ägypten einen Besuch abstattete, wohl auch das Heilige Land besuchte und dem bewaffneten Kampf zwischen Christen und Muslimen in den Kreuzzügen den Dialog der Liebe und der Wahrheit entgegenstellte und damit eine neue Epoche eröffnet hat, die wir nun eigentlich so richtig angehen sollten. Nachdem er schon zwei Jahre lang die Zeichen des Leidens Christi in der Form der Stigmata an Händen und Füßen trug, starb Franz am 3. Oktober 1226 in Assisi.
Ganz herzlich grüße ich alle deutschsprachigen Brüder und Schwestern. Die Heiligen, die Freunde Jesu, sind die besten Kenner und Ausleger der Heiligen Schrift. Das können wir gerade an Franz sehen. Sie machen das Wort Gottes in ihrem Leben sichtbar, machen es gegenwärtig, geben ihm gleichsam wieder Fleisch und Blut und laden uns ein, nach ihrem Beispiel eine tiefe und persönliche Beziehung zu Christus zu suchen, besonders in der Eucharistie, in der der Sohn Gottes in der demütigen Gestalt des Brotes wahrhaft unter uns ist und uns Freude schenkt. Heiligkeit bedeutet Freude. An Franziskus sehen wir das ganz besonders. Diese Freude wünsche ich euch allen und eine gesegnete Pilgerschaft!
Ein besonderes Anliegen ist es mir heute, an den Holocaust-Gedenktag zu erinnern. Vor genau 65 Jahren, am 27. Januar 1945, wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Die erschütternden Berichte der Überlebenden zeigen der Welt, zu welchen abscheulichen Verbrechen der menschenverachtende Größenwahn und Rassenhaß der Nazi-Ideologie in Deutschland geführt hat. Das Gedenken an diese Taten, insbesondere die Tragödie der Shoah am jüdischen Volk, wie auch das Zeugnis all jener, die sich unter Einsatz ihres Lebens diesem Wahnsinn widersetzt haben, gemahnt uns stets aufs neue an den absoluten Respekt vor der Würde der Person und des menschlichen Lebens. Alle Menschen jedes Volkes und jedes Erdteils sollen sich als eine einzige große Familie verstehen. Der Allmächtige Gott erleuchte die Herzen und den Verstand, auf daß sich solche furchtbaren Vergehen nie wiederholen. Der Segen und der Friede des Herrn begleite uns allezeit.