von Giuseppe Nardi
Wie eine Bombe schlug ein Beitrag des Bischofs von Denver, Charles J. Chaput, mit dem dieser den amerikanischen Präsidenten kritisierte und jene Kirchenmänner, die ihm „huldigen“, wie der Schweizer Kurienkardinal Cottier, aber auch das vatikanische Staatssekretariat. Nachfolgende Gedanken folgend weitgehend den Ausführungen des italienischen Vatikanisten Sandro Magister. „Ich werde immer mit Nachdruck das Recht der Bischöfe verteidigen, mich zu kritisieren“, hatte Barack Obama im Vorfeld seiner Begegnung mit Papst Benedikt XVI. am vergangenen 10. Juli gesagt. Tatsächlich befinden sich rund 80 katholische Bischöfe der USA in zentralen Fragen in offenem Widerspruch zu ihm, vor allem zu Fragen des Lebensrechts. Unter ihnen befindet sich auch Kardinal Francis George, der Erzbischof von Chicago, der Heimatstadt Obamas, und Vorsitzender der amerikanischen Bischofskonferenz. Aber auch der Bischof von Denver Charles J. Chaput. Der Kapuziner ist ein Angehöriger des Volkes der Prairie Band Potawat-Indianer. Bereits vor einem Jahr veröffentlichte er ein Buch mit dem vielsagenden Titel: „Render unto Caesar. Serving the Nation by Living Our Catholic Beliefs in Political Life“. Es ist richtig, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist. Man dient aber der Nation, indem man im politischen Leben den eigenen katholischen Glauben lebt.
Msgr. Chaput gefällt nicht, wie der Vatikan die Kritik an Obama durch die Kirche der USA überhört. Vor allem mißhagte ihm der ungezügelte Jubel, den der Schweizer Kurienkardinal Georges Cottier im vergangenen Juli in der Zeitschrift 30 Giorni anstimmte, als Obama erstmals mit dem Papst zusammentraf.
Die Zeitschrift 30 Giorni, in deutscher Ausgabe 30 Tage, wird gerade auch in Kurienkreisen gelesen. Von Giulio Andreotti, dem Altmeister des politischen Katholizismus Italiens herausgeben, erreicht die in sechs Sprachen fast alle Diözesen der Erde und spiegelt die Realpolitik der vatikanischen Diplomatie wieder.
Cottier begeisterte sich vor allem an der Rede Obamas an der katholischen Universität Notre Dame, der ein Kräftemessen zwischen dem Rektorat und dem zuständigen Diözesanbischof vorausgegangen war. Der Bischof lehnte einen Auftritt Obamas wegen dessen lebensfeindlicher Politik ab. Das Rektorat setzte sich schließlich durch. Während der Rede Obamas mußte eine Kreuzdarstellung im Hintergrund verhüllt werden, „um Irritationen zu vermeiden“.
Auch im Osservatore Romano war zuvor bereits ein Leitartikel mit viel Lob über die ersten 100 Tage von Obamas Präsidentschaft erschienen, sogar mit Verweis auf eine angebliche Politik „zugunsten der Mutterschaft“. Radio Vatikan, zumindest die deutsche Redaktion legte bereits im Präsidentschaftswahlkampf des vergangenen Jahres wert darauf, begreiflich zu machen, daß man den scheidenden US-Präsidenten George W. Bush ablehnte, und sich einen Sieg Obamas wünschte. Trotz dessen unzweideutiger Aussagen zugunsten der Abtreibung und gegen den Lebensschutz und trotz des Wissens darum, daß die internationale Abtreibungslobby zu den Financiers von Obamas Wahlkampf zählten.
Daraufhin betrachtete es Bischof Chaput als seine Pflicht öffentlich zu antworten. Er antwortete US-Präsident Obama, Kardinal Cottier und dem vatikanischen Staatssekretariat, tat dies aber nicht erwartungsgemäß in einem amerikanischen Medium, sondern in einer italienischen Tageszeitung, damit er auch sicher im Vatikan gelesen würde.
Seine Antwort erschien am 6. Oktober in der Tageszeitung Il Foglio von Giuliano Ferrara, jenem laut Eigendefinition „frommen Nicht-Katholiken doch überzeugten Ratzingerianer“, der Ende 2007 die Initiative mit der Forderung nach einem internationalen Abtreibungsmoratorium ins Leben rief. Unter dem Titel: „Das Beil des Indianer-Bischofs. Charles J. Chaput gegen Notre Dame und den illustren, vom Abtreibungsbefürworter Obama verführten Kardinal“.
In seinem Beitrag führt der Bischof von Denver aus, daß die Position Obamas in bioethischen Fragen der katholischen Position diametral entgegengesetzt ist. Deshalb habe er bereits seit vielen Jahren auf die Unterstützung durch die Abtreibungslobbyisten zählen können, die sich für ein „Recht auf Abtreibung“ schlagen. In manchen katholischen Kreise rede man viel davon, daß Obama Sympathien für die katholische Soziallehre hege. „Die Verteidigung des ungeborenen Kindes ist aber eine Notwendigkeit sozialer Gerechtigkeit, hält Chaput diesen Stimmen entgegen. Es gebe keine soziale Gerechtigkeit, wenn die jüngsten und schutzlosesten Menschen legal ermordet werden dürfen. Die Programme für die Armen haben sicher eine außerordentliche Bedeutung, doch können sie keine Rechtfertigung für diese grundlegende Verletzung der Menschenrechte darstellen“, so Bischof Chaput.
Am selben Tag veröffentlichte Il Foglio ein Interview mit Kardinal George, der sich in zur Vorstellung seines neuen Buches in Rom aufhielt. Es trägt den Titel: „The Difference God Makes. A Catholic Vision of Faith, Communion, and Culture“. Der Unterschied, den Gott macht. Glaube, Gemeinschaft und Kultur aus katholischer Sicht. Im Interview sagte der Kardinal unter anderem: „Die größte Schwierigkeit, die wir heute als Kirche haben, besteht darin, der Gesellschaft verständlich zu machen, daß es eine Wertehierarchie gibt. Nehmen wir die Abtreibung und das Lebensrecht insgesamt. Die Stimme der Kirche wird in den USA gehört, sie wird aber auch stark angefeindet. Die Kritik an der Kirche haben ein Motiv: weil unsere Gesellschaft meint, daß der Individualismus und die Entscheidungsfreiheit die höchste, zu schützenden Werte seien. Die Entscheidungsfreiheit zählt heute mehr als das Leben.“ Und weiter: Die Moral der Kirche zu bestimmten Themen hat sich nie geändert. Der Osservatore Romano – das stimmt – mag zehn Zeilen für Obama geschrieben haben, mancher Kardinal mag in enthusiastischen Tönen über die derzeitige US-Regierung gesprochen haben, aber jenseits journalistischer Erfindungen gilt ein Punkt unverrückbar: Die Kirche kann sich nicht selbst verraten.“