(Teheran/ Frankfurt am Main) Die angekündigte Zurücknahme des Gesetzentwurfs gegen „Abfall vom Islam, Ketzerei und Zauberei“ ist nach Einschätzung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) ein „rein kosmetischer Schachzug“. Nach wie vor gäbe es im Iran rechtlich die Möglichkeit vom Islam Abgefallene hinzurichten. Die Hoffnungen, die rechtliche Situation von Konvertiten würde sich ohne das Gesetz bessern, seien unbegründet. Der Vorsitzende des juristischen Kommission des iranischen Parlaments hatte in der vergangenen Woche angekündigt, das Parlament plane, den Gesetzentwurf gegen „Abfall vom Islam, Ketzerei und Zauberei“ zurückzuziehen.Die IGFM wies darauf hin, daß nach der iranischen Verfassung auch Delikte bestraft werden können, deren Ahndung durch die vorhandene Gesetzgebung überhaupt nicht geregelt ist (Art. 167 Verfassung). Dazu gehört zum Beispiel der „Abfall vom Islam“ (Apostasie). In solchen Fällen gelten nach der iranischen Verfassung die sogenannten „authentischen islamischen Quellen“ und die „gültigen religiösen Fatwas“ (Rechtsgutachten) der im Iran dominierenden dschaf’aritisch-schiitischen Rechtsschule. Nach Angaben der IGFM bedeutet dies im Iran die Hinrichtung von Männern, die vom Islam abgefallen sind. Frauen müßten „nur“ lebenslang inhaftiert und zu den fünf täglichen Gebetszeiten ausgepeitscht werden.
Gegen Muslime, die tatsächlich oder vermeintlich vom Islam abgefallen waren, ist von iranischen Behörden schon bisher in einzelnen Fällen ganz offiziell Anklage erhoben worden. Nach Ansicht der IGFM ist das inoffizielle Vorgehen von staatlichen und halbstaatlichen Organen und Milizen gegen Andersdenkende das bei weitem größere Problem. Systematische Folter, Hinrichtungen wegen konstruierter Vorwürfe (wie z.B. Prostitution), staatliche Morde und das „Verschwinden“ von Konvertiten und Bürgerrechtlern diene dazu, die Macht des Revolutionsführers und des Wächterrates in der Islamischen Republik zu sichern.
Seit der Machtergreifung Ajatollah Khomeini Ende März 1979 werden Andersdenkende und vom Islam abgefallene ehemalige Muslime verfolgt – auch ohne legale Grundlage. Das islamische Recht, inklusive des islamischen Strafrechts, ist im Iran bereits eingeführt worden, bevor am 15. November 1979 die Verfassung der Islamischen Republik Iran in Kraft trat. Unmittelbar nach der Machtergreifung wurde am 17. Juni 1979 das „Gesetz zur Gründung der Revolutionsgerichte“ erlassen, die „nach islamischem Recht“ (Art. 12) zu urteilen haben. Die bis heute bestehenden und berüchtigten Revolutionsgerichte ließen damals nach „islamischem Recht“ Tausende hinrichten, obwohl zwischen 1979 und 1982 ein Strafrecht angewandt wurde, das nicht einmal in Teilen vom Parlament kodifiziert war.
Der Gesetzentwurf war in der ersten Lesung am 9. September 2008 im iranischen Parlament mit großer Mehrheit gebilligt worden. Um rechtskräftig zu werden, müßte ihm noch islamische Wächterrat zustimmen, der sich aber bisher mit dem Gesetzentwurf nicht befaßt hatte. Die IGFM befürchtet nun, daß sich durch das Gesetz die Verfolgung von christlichen Konvertiten und islamischen Reformern noch weiter verschärfen wird.
(PM/JF)