von Josepf Bordat
Kreuz
Passion. Es herrscht „Sprachnot in der Soteriologie“ [1]Tobler, Stefan (2003): Jesu Gottverlassenheit als Heilsereignis in der Spiritualität Chiara Lubichs. Ein Beitrag zur Überwindung der Sprachnot in der Soteriologie. Berlin. angesichts des Kreuzes. Das Heil hat Pause. Stille Betroffenheit im Anblick des gottverlassenen Herrn. Es endet die Liebe im Haß, die Hinrichtung läßt keine Hoffnung auf Heil. Die Existenz des einen Menschen schlechthin stellt die Existenz aller in Frage: Was wird aus uns, wenn selbst unser Gott dem Leid unterliegt?
Das Spannungsverhältnis von Leid und Heil ist eine Zerreißprobe: Sollen wir, besser: können wir, angesichts des gegenwärtigen Leids auf das kommende Heil vertrauen? Die christliche Existenz steht im Zeichen des Kreuzes. Es drängt sich die Frage auf: Hat sich Gott von den Menschen zurückgezogen? Diese Annahme begegnet uns etwa bei Dietrich Bonhoefer. So schreibt er in einem Brief vom 16. Juli 1944: „Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt.“ [2]Bonhoeffer, Dietrich (1985 [1944]): Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. v. Eberhard Bethge, München, S. 394. Weil wir Ihn ablehnen, reagiert Er mit Rückzug.
Dagegen steht das Postulat des bedingungslosen Vertrauens auf die Fügungen Gottes angesichts seiner Unergründlichkeit. Dieses zerfällt in zwei Teile. Erstens in die Erkenntnis und Akzeptanz der tiefen Unergründlichkeit Gottes, die schon der Apostel Paulus eindrücklich beschrieb: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege!“ (Röm 11, 33). In diesem Sinne gibt es keine Auflösung des Spannungsverhältnisses von Leid und Heil. Wir sind schlechterdings nicht berechtigt, den Sinn des Leids zu ergründen oder Gott sogar anzuklagen. Daraus folgt dann, wenn man weiter an Gott glauben will, zum zweiten das bedingungslose Vertrauen auf Gott.
Je mehr die Theodizeefrage als Frage nach der „Gerechtigkeit Gottes“ [3]Bordat, Josef (2007): Das Böse und die Gerechtigkeit Gottes, in: G. Engel / M.-C. Gruber (Hg.): Bilder und Begriffe des Bösen. Berlin 2007, S. 13–27. – nichts Geringeres verbirgt sich ja im Kreuz – zur Ketzerfrage erklärt wird, weil sie, wie schon Kant betonte, die menschliche Ratio überfordert und, so Hermann Lübbe, „religiös überflüssig“ und „religionsgeschichtlich belanglos“ sei, ja, sogar gefährlich, da sie sich, wie Lübbe im Anschluß an Odo Marquard betont, potentiell in Totalitarismus verkehre, [4]Lübbe, Hermann (1986): Religion nach der Aufklärung. Graz, S. 195 ff. umso stärker drängt sich die Frage nach der Überwindung auf und umso stärker rückt die Dimension des Heils als möglichen letzten Sinns von Leid in den Blick.
Im Anschluß daran treibt die Kritik am Postulat göttlicher Allmacht den Perspektivwechsel von der universalen Ursachenforschung hin zur individuellen Überwindung des Leids und nimmt den Menschen selbst in die Verantwortung. Was einerseits als „Umgehungsversuch“ kritisiert wird, um weiterhin „ohne Gewissensbisse die Existenz eines gütigen Gottes“ behaupten zu können, [5]Streminger, Gerhard (1992): Gottes Güte und die Übel der Welt. Das Theodizeeproblem. Tübingen, S. 179. erscheint andererseits als die eigentliche Essenz theologischen Nachdenkens über das Leid: nicht Erklärung, sondern Überwindung. [6]Geyer, Carl-Friedrich (1992): Die Theodizee. Diskurs, Dokumentation, Transformation. Stuttgart, S. 32. Und dies möglichst konkret. Am konkretesten geschieht die Überwindung – wie wir wissen – in der Auferstehung als ultimativer Antwort Gottes auf die Kreuzigung Christi.
Es gilt also nicht mehr Leibnizens Erklärung für gelingende Kontingenzbewältigung in unendlicher Perspektive, gleichsam eine Draufsicht auf den Weltenlauf, die nur Gott hat und wir Menschen, die wir im Hier und Jetzt leiden, eben nicht. [7]Leibniz, Gottfried Wilhelm (1996 [1710]): Die Theodizee. Von der Güte Gottes, der Freiheit des Menschen und dem Ursprung des Übels, in: Philosophische Schriften (Bd. 2), Frankfurt/M.
Aus dem metaphysisch begründeten Heil der Welt wird das persönlich erfahrene Leid und das daraus unmittelbar erwachsene Heil des menschgewordenen Gottes in der Welt, der sich für diese Wandlung selber wandelt und den Kriterien Raum und Zeit unterwirft und dabei phasenweise seine Allmacht aufgibt, wie Hans Jonas andeutet. [8]Jonas, Hans (1984): Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme. Frankfurt/M., S. 77 f. Dies geschieht in schwacher Form in der Schöpfung, in der Erschaffung des Menschen als sein Abbild (Gen 1, 26–27) und in starker Form in seiner Menschwerdung in Jesus Christus.
Auch das Martyrium Christi bleibt freilich eine Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Leids schuldig. Es zeigt aber die Möglichkeit seiner Überwindung auf, was nach Jonas als Herausforderung für eine in Verantwortung tätige Menschheit verstanden werden muß. Gleichzeitig erfährt auch der Gekreuzigte die Gottferne des modernen Menschen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ (Mt 27, 46). Genau das fragen wir auch angesichts des malum morale von Krieg und Terror und des malum physicum verheerender Naturkatastrophen. Doch wir vermögen angesichts des Kreuzes zu erahnen, daß Gott uns nicht verlassen hat, weil wir glauben, daß alles Leid, das uns widerfährt, bereits im Leiden des Gekreuzigten enthalten ist und nichts mehr hinzutreten kann zu diesem Leid, das notwendig war für das Heil der Welt und die ganz persönliche Vollendung Christi, die in den letzten Worten deutlich wird: „Es ist vollbracht!“ (Joh 19, 30) und – als Ausdruck der Geborgenheit – „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ (Lk 23, 46). Unser Leid erhält genau darin einen Sinn, daß es Teil der Nachfolge Christi und damit Teil des Heilsplanes Gottes ist.
Auferstehung
Der unumkehrbare Schritt in das Heil nennt die christliche Tradition „Auferstehung“. Die Auferstehung ist unglaublich. Aber wahr. Dies gilt es zu bezeugen, nicht zu beweisen. Wer die Auferstehung bloß als historisches Faktum begreift und als solches zu rekonstruieren versucht, verfehlt die Dimension des unendlichen Heils im Ewigen Leben, die Christi Auferstehung unserer Existenz verleiht und nimmt dem Glauben zudem sein tiefstes Geheimnis. Denn der christliche Glaube erschöpft sich nicht im bloßen Nachvollzug von Fakten, sondern besteht gerade in der Einlassung auf das, was sich unserer unmittelbaren Anschauung nicht zuvörderst aufdrängt, um das anzusprechen, was es braucht, um reinen Herzens den lebendigen Gott zu bekennen: Vertrauen.
Kann man dieses Vertrauen, diesen Glauben wirklich haben? Heute noch? In unserer auf- und abgeklärten Zeit? Nicht mehr und nicht weniger als damals auch. Viele Menschen konnten die Geschichte damals auch nicht glauben. Sie waren genauso kritisch wie die Menschen heute.
Die uns heute bestimmende technische Vernunft, die nach dem Beweis fragt, nach der wahr nur das sein kann, was wahrnehmbar und sinnvoll nur, was sinnlich erfahrbar ist, diese Haltung erscheint unmittelbar nach der Auferstehung, in der Person des so genannten „ungläubigen Thomas“. Er will nicht leichtgläubig sein, sich nichts vormachen lassen. Das macht ihn sympathisch. Solange dieser Gott nicht handfester und leibhaftiger erfahrbar ist, glaube ich erst mal nicht, was ihr mir da erzählt! Dann offenbart sich der verklärte Jesus und Thomas bekennt: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20, 28). Auch wir haben die Chance auf Offenbarungserlebnisse wie dieses. Im Gebet, in der Gemeinschaft mit Menschen, im Alltag.
Als Paulus Jahre später in Athen von der Auferstehung erzählt, bilden sich drei Gruppen: die Spötter, die Indifferenten, die Gläubigen (Apg 17, 32–34). Kommen einem bekannt vor, diese drei Reaktionen! Nicht von der Predigt auf der Agora, sondern von Diskussionen im Internet. Die Menschen damals unterschieden scharf nach Ereignissen, die durch vielfache Zeugenaussagen glaubwürdig belegt sind und solchen Ereignissen, die nur durch einzelne Zeugen bestätigt sind. So unmodern der Gedanke der Auferstehung sein mag, so aktuell und drängend ist er. Eine Positionierung ist unumgänglich. Zeugnisse gibt es: Dort, wo Leben ist. Dort, wo Liebe ist. Dort, wo Menschen wider alle Hoffnung die Kraft haben zu hoffen.
Die Geschichte der Beziehung Gottes zum Menschen ist in erster Linie eine Geschichte gegenseitigen Vertrauens. Daß Gott uns – trotz allem – Vertrauen schenkt, zeigt sich vor allem in seiner Menschwerdung, in der er sich ganz entäußert und wird wie wir, um zu erleben, wie es ist, ein Mensch zu sein. Daß wir ihm nicht vertrauten, nicht zutrauten, daß er es ernst meint mit uns, zeigt sich in Kreuzigung und Auferstehung. Damit erneuert Gott sein Vertrauensangebot und wir haben eine ganz neue Chance, zurück in dieses Vertrauen und damit in die Geborgenheit Gottes zu kommen. Einige wenige Menschen, die dem menschgewordenen Gott vertrauten, machten den Anfang, indem sie die Auferstehung, so unglaubwürdig sie sich anhören mußte, unaufhörlich bezeugten. Viele bezahlten dieses Zeugnis mit ihrem Leben – ganz im Vertrauen darauf, daß der Tod nicht das Ende ist. Sie lösten damit eine Welle der Begeisterung aus, die auch heute noch viele Menschen mitreißt.
Wären sie so ein Risiko eingegangen, wenn sie nicht überzeugt gewesen wären? Diese Frage berührt wieder den historischen Zusammenhang. Sie ist berechtigt, aber nicht zentral. So faszinierend auch ein Indizienbeweis für die Glaubwürdigkeit der Auferstehung sein mag, wie er als Ergebnis einer juristischen Auseinandersetzung in dem jüngst in deutscher Sprache erschienen Buch „Die Akte Jesus“ von Charles Foster vorgetragen wird, [9]Foster, Charles (2008): Die Akte Jesus: Ein Jurist ermittelt in Sachen Auferstehung. München. es kann nicht allein darum gehen, wie das singuläre Ereignis der Auferstehung Christi erklärbar und warum die Erklärung plausibel ist, sondern welche Bedeutung die Auferstehung Christi für unser Leben hat.
Auferstehung heißt Erlösung, Errettung und Leben in Fülle. Es befähigt zu einem Leben, das von unbedingter Liebe getragen wird, die uns ohne einen Gott, der lebt und sein „Ja“ zu uns spricht, gar nicht möglich wäre. Wenn Menschen so unendlich lieben können, daß sie immer wieder bereit sind, sich selbst ganz zu lassen, um dem Auferstandenen nachzufolgen, dann geschieht dies nicht aus eigener Kraft, sondern aus der Gnade Gottes, die den Menschen verwandelt. So wie die Auferstehung. Auch sie wandelt Leid in Heil und Tod in Leben – jetzt und in Ewigkeit. Darin liegt ihr tieferer Sinn.
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↑1 | Tobler, Stefan (2003): Jesu Gottverlassenheit als Heilsereignis in der Spiritualität Chiara Lubichs. Ein Beitrag zur Überwindung der Sprachnot in der Soteriologie. Berlin. |
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↑2 | Bonhoeffer, Dietrich (1985 [1944]): Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hg. v. Eberhard Bethge, München, S. 394. |
↑3 | Bordat, Josef (2007): Das Böse und die Gerechtigkeit Gottes, in: G. Engel / M.-C. Gruber (Hg.): Bilder und Begriffe des Bösen. Berlin 2007, S. 13–27. |
↑4 | Lübbe, Hermann (1986): Religion nach der Aufklärung. Graz, S. 195 ff. |
↑5 | Streminger, Gerhard (1992): Gottes Güte und die Übel der Welt. Das Theodizeeproblem. Tübingen, S. 179. |
↑6 | Geyer, Carl-Friedrich (1992): Die Theodizee. Diskurs, Dokumentation, Transformation. Stuttgart, S. 32. |
↑7 | Leibniz, Gottfried Wilhelm (1996 [1710]): Die Theodizee. Von der Güte Gottes, der Freiheit des Menschen und dem Ursprung des Übels, in: Philosophische Schriften (Bd. 2), Frankfurt/M. |
↑8 | Jonas, Hans (1984): Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme. Frankfurt/M., S. 77 f. |
↑9 | Foster, Charles (2008): Die Akte Jesus: Ein Jurist ermittelt in Sachen Auferstehung. München. |