„Glaubenszeugen oder Versager? Katholische Kirche und Nationalsozialismus


von Ger­hard Senninger

Anzei­ge

In den letz­ten Wochen sind gegen Papst Bene­dikt XVI. im Zusam­men­gang mit der „Pius-Bru­der­schaft“ schwer­ste Vor­wür­fe erho­ben wor­den. Sie haben mich an die schlim­men Beschul­di­gun­gen erin­nert, denen auch heu­te noch einer sei­ner Vor­gän­ger, Papst Pius XII. (1939–1958), und mit ihm die deut­sche katho­li­sche Kir­che wäh­rend des NS-Regimes aus­ge­setzt sind. Streng wis­sen­schaft­lich sind die­se längst wider­legt, doch die brei­te Öffent­lich­keit ist anschei­nend nicht bereit, dies zur Kennt­nis zu neh­men. Daher möch­te ich auf eini­ge unbe­streit­ba­re Tat­sa­chen hin­wei­sen, die aber m. E. all­zu wenig beach­tet wer­den. Bei der Über­fül­le des Mate­ri­als kann ich nur eini­ge weni­ge Gesichts­punk­te her­aus­grei­fen. Wich­ti­ge Aspek­te muß ich dabei lei­der aus­las­sen, z. B. die Stel­lung der deut­schen Pro­te­stan­ten zum Natio­nal­so­zia­lis­mus und die Hal­tung des Aus­lands zu den Juden. In mei­nem Buch Glau­bens­zeu­gen oder Ver­sa­ger? Katho­li­sche Kir­che und Natio­nal­so­zia­lis­mus, das vor eini­ger Zeit im EOS-Ver­lag in 3. Auf­la­ge erschie­nen ist, kön­nen Sie aber dies alles und dazu noch viel ande­res Inter­es­san­tes nachlesen.

Die Zeit von 1933–1945

Die katho­li­sche Kir­che im 19. Jahrhundert

Im Jahr 1803 wur­den unter dem Stich­wort der Säku­la­ri­sa­ti­on mit Napo­le­ons Hil­fe 22 Bis­tü­mer und Erz­bis­tü­mer ent­eig­net und mehr als 280 Stif­te und Klö­ster auf­ge­ho­ben. Die Für­sten bei­der Kon­fes­sio­nen beraub­ten die katho­li­sche Kir­che in Deutsch­land um zwei Drit­tel ihrer Ein­künf­te. Bay­ern und Öster­reich aus­ge­nom­men kamen fast alle katho­li­schen Staats­bürger unter die Herr­schaft pro­te­stan­ti­scher Lan­des­her­ren, die ja zugleich Ober­haupt einer pro­te­stan­ti­schen Lan­des­kir­che waren. Dar­aus erga­ben sich zahl­rei­che Konflikte.

Otto von Bis­marck, seit 1862 preu­ßi­scher Mini­ster­prä­si­dent, hielt die Katho­li­ken von vorn­her­ein für Fein­de Preu­ßens. Ihn irri­tier­te ihre Anhäng­lich­keit an den Papst, hin­ter der er man­geln­de staats­treue ver­mu­te­te. Im Kul­tur­kampf, der unmit­tel­bar nach dem deut­schen Sieg über Frank­reich begann, ver­such­te er mit einer Fül­le von Geset­zen, die Glau­bens­frei­heit der Katho­li­ken zu unter­drücken und die katho­li­sche Kir­che dem Staat zu unter­wer­fen. Die Aus­wir­kung 1878: Von zwölf Bischö­fen in Preu­ßen waren drei noch im Amt, drei gestor­ben, sechs abge­setzt; fünf von ihnen zu Gefäng­nis sowie über 2.000 Prie­ster zu Gefäng­nis oder hohen Geld­stra­fen ver­ur­teilt, rund 1.400 Pfar­rei­en waren ohne Seel­sor­ger, über 400 Ordens­nie­der­las­sun­gen auf­ge­ho­ben. Für die Katho­li­ken, ihre Bischö­fe und Prie­ster gab es in Preu­ßen nur noch Spott und Hohn. Sie waren ultra­mon­ta­ne, reak­tio­nä­re Reichs­fein­de. Nach der Ent­las­sung Bis­marcks (1890) setz­te unter Papst Leo XIII. lang­sam eine Aus­söh­nung  ein, die frei­lich nicht frei von Stö­run­gen blieb. Die katho­li­schen Abge­ord­ne­ten im deut­schen Reichs­tag woll­ten sich künf­tig an Vater­lands­lie­be von nie­mand über­tref­fen lassen.

Der Ver­trag von Versailles

Die­sem angeb­li­chen Frie­dens­ver­trag, der als Dik­tat gegen pri­mi­tiv­ste Grund­sät­ze der Men­schen­rech­te und des Völ­ker­rechts ver­stieß, hat John Foster Dul­les (US Außen­mi­ni­ster 1953–1959) spä­ter die Mit­schuld an den Wahl­er­fol­gen Hit­lers gege­ben. Die Päp­ste Bene­dikt XV. und Pius XI. haben ver­geb­lich gewarnt.

Der Bol­sche­wis­mus

Von unab­seh­ba­rer Bedeu­tung wur­de auch 1917 die Novem­ber­re­vo­lu­ti­on der Bol­sche­wi­sten unter Lenin. Sie brach­te in Ruß­land eine radi­ka­le Ver­än­de­rung der poli­ti­schen, sozia­len, wirt­schaft­li­chen und kul­tu­rel­len Ver­hält­nis­se sowie einen bru­ta­len Kampf gegen die Kir­che, aber auch gegen jeg­li­che ande­re Oppo­si­ti­on. Josef Sta­lin, der Nach­fol­ger Lenins, war sicher einer der schlimm­sten Ver­bre­cher der Mensch­heit. Die kom­mu­ni­sti­schen Regime in aller Welt haben rund 100 Mil­lio­nen Men­schen umge­bracht. Im Natio­nal­so­zia­lis­mus waren es rund 25 Mil­lio­nen. Kom­mu­nis­mus und Natio­nal­so­zia­lis­mus sind im Tief­sten ähn­lich. Bei­de bekämpf­ten die Wei­ma­rer Repu­blik. Die deut­schen Kom­mu­ni­sten woll­ten 1930 die sowje­ti­schen Ver­hält­nis­se auch in Deutsch­land ein­füh­ren. Papst Pius XI. rief immer wie­der die Welt zum Pro­test auf. Doch sei­ne War­nun­gen blie­ben ohne jeden Erfolg.

Zusätz­li­che welt­wei­te Pro­ble­me der Kir­che um 1930

1. Die Lage der katho­li­schen Kir­che in Mexiko

Schon im 19 Jahr­hun­dert gab es in Mexi­ko, einem zu 95 Pro­zent katho­li­schem Land, kir­chen­feind­li­che Maß­ah­men. 1915 begann ein Ver­nich­tungs­kampf gegen die Kir­che. Die Ver­fol­gung nach bol­sche­wi­sti­schen Grund­sät­zen und Metho­den for­der­te allein zwi­schen 1926–1935 etwa 5.300 Opfer, dar­un­ter 300 Prie­ster. Gra­ham Green hat in sei­nem Werk Die Kraft und die Herr­lich­keit die Situa­ti­on ergrei­fend geschil­dert. Die schar­fen Pro­te­ste Pius XI. ver­hall­ten ohne jede Wirkung.

Am 21. Mai 2000 sprach Papst Johan­nes Paul II. den Prie­ster Chri­sto­pho­rus Magalla­nes und 24 Gefähr­ten hei­lig, sie waren am 21. Mai 1927 ermor­det wor­den, am 20.11.2005 folg­te im Auf­trag von Bene­dikt XVI. die Selig­spre­chung von wei­te­ren 13 Opfern.

2. Die Lage der katho­li­schen Kir­che in Spanien

Gro­ße Schwie­rig­kei­ten hat­te die Kir­che seit der Revo­lu­ti­on 1931 auch in Spa­ni­en. Der König muß­te ins Aus­land gehen. Es kam zu wil­den Kir­chen- und Klo­ster­stür­men. Alle kirch­li­chen Gebäu­de wur­den zum Natio­nal­gut erklärt, den Orden jede pri­va­te und öffent­li­che Lehr­tä­tig­keit unter­sagt. Für Pro­zes­sio­nen, Ver­seh­gän­ge (d.h. Sakra­men­ten­spen­dung der Prie­ster bei Schwerst­kran­ken) und Begräb­nis­se wur­de die Ein­ho­lung einer beson­de­ren Erlaub­nis vor­ge­schrie­ben. Nach rus­si­schem Vor­bild brach 1934 in Kata­lo­ni­en und beson­ders in Astu­ri­en eine „Okto­ber­re­vo­lu­ti­on“ aus. Im Febru­ar 1936 bil­de­te sich die Volks­front­re­gie­rung der Repu­bli­ka­ner, Sozia­li­sten und Kom­mu­ni­sten. Offe­ne Anar­chie führ­te zu neu­en Kir­chen­stür­men.5 In der Nacht vom 12. auf 13. Juli 1936 wur­de Cal­vo Sote­lo, Chef der Mon­ar­chi­sten, der als Abge­ord­ne­ter par­la­men­ta­ri­sche Immu­ni­tät genoß, von Poli­zi­sten vor den Augen sei­ner Frau aus sei­ner Woh­nung abge­führt und im Poli­zei­wa­gen durch Genick­schuß ermor­det. Dies führ­te zur Erhe­bung von Gene­rä­len unter Fran­cis­co Fran­co y Baha­mon­de und zum schreck­li­chen Bür­ger­krieg 1936–1939. Zwi­schen sie­ben- und zehn­tau­send Prie­ster, Mön­che und Non­nen wur­den damals getö­tet. Pius Xl. pro­te­stier­te ver­geb­lich gegen das der Kir­che ange­ta­ne Unrecht. Am 28. Okto­ber 2007 hat Bene­dikt XVI. 480 Bischö­fe, Prie­ster und Ordens­leu­te selig gespro­chen, die als Mär­ty­rer gestor­ben sind

„Die Katholische Kirche und der Nationalsozialismus“

Die Zeit bis zum 14. Sep­tem­ber 1930

Kenn­zei­chen: Die Kir­che schenkt der NSDAP als Split­ter­grup­pe kei­ne beson­de­re Beachtung.

In den ersten Jah­ren nach Grün­dung der NSDAP blieb noch vie­les unklar. Aber deut­lich war bereits ihr mas­si­ver Anti­se­mi­tis­mus. Dies ver­an­laß­te den Vati­kan, schon am 25. März 1928 in einem Dekret des Hl. Offi­zi­ums zu erklä­ren: „Wie der Hl. Stuhl allen Haß und alle Feind­schaft unter den Völ­kern ver­wirft, so ver­dammt er ganz beson­ders den Haß gegen das Volk, das Gott in uralten Tagen zu sei­nem gemacht, näm­lich jenen Haß, den man gemein­hin mit Anti­se­mi­tis­mus zu bezeich­nen pflegt.“

Adolf Hit­ler war längst zum erklär­ten Geg­ner der Kir­che sei­ner Kind­heit geworden.

Die deut­schen Katho­li­ken aber waren es gewohnt, ange­grif­fen und geschmäht zu wer­den, das war ihr Schick­sal zumin­dest seit dem Kul­tur­kampf. Sie nah­men daher die Attacken als neue Vari­an­ten, nicht als ver­grö­ßer­te Gefah­ren. Die NSDAP war bis zum 14. Sep­tem­ber 1930 nur eine Sek­tie­rer­grup­pe. Des­halb wur­de auch bis dahin kei­ne breit ange­leg­te und über­zeu­gen­de Abwehr aufgebaut.

Der 27. März 1930 war ein schwar­zer Tag der deut­schen Demo­kra­tie: Es kam zum Bruch der Gro­ßen Koali­ti­on, ver­ur­sacht durch die Wei­ge­rung der Sozi­al­de­mo­kra­ten, einen die Kri­se über­win­den­den Kom­pro­miss­vor­schlag in Sachen Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung zu unter­stüt­zen. Mit dem Rück­tritt von Her­mann Mül­ler (SPD) ende­te die par­la­men­ta­ri­sche Zusam­men­ar­beit von Katho­li­ken und Sozi­al­de­mo­kra­ten. Der neue Kanz­ler Brü­ning regier­te nur noch ohne Mehr­heit mit den Aus­nah­me­ge­set­zen des Reichs­prä­si­den­ten. Es darf nicht ver­schwie­gen wer­den, daß gegen ihn und sei­ne durch­aus nicht aus­sichts­lo­se Poli­tik anti­ka­tho­li­sche Emo­tio­nen aus­ge­löst wur­den. Allein die katho­li­schen Wäh­ler des Zen­trums und der Baye­ri­schen Volks­par­tei stan­den hin­ter ihm.

Die Zeit vom 14. Sep­tem­ber 1930 bis zum 23. März 1933

Kenn­zei­chen: Die Kir­che erkennt die Gefähr­lich­keit Hit­lers und der NSDAP und bie­tet alle Kräf­te auf, um ihre Macht­er­grei­fung zu verhindern.

Trotz pri­mi­ti­ver Phra­sen gelang der Hit­ler­par­tei am 14. Sep­tem­ber 1930 bei den Reichs­tags­wah­len ein Durch­bruch. Von zuvor 12 Sit­zen schnell­te sie empor auf 107, die Kom­mu­ni­sten von 54 auf 77 Man­da­te. Brü­nings Not­ver­ord­nun­gen boten in der Welt­wirt­schafts­kri­se der Ver­het­zung des Vol­kes immer neu­en Zündstoff.

Die deut­schen Bischö­fe nah­men nun, nach­dem sie bereits vor­her unmit­tel­bar und mit­tel­bar gewarnt hat­ten, den Kampf gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus auf. Den Anfang mach­te das Ordi­na­ri­at in Mainz bereits am 30. Sep­tem­ber 1930, als es erklär­te: „Auf die Fra­ge: ‚Kann ein Katho­lik, der sich zu den Grund­sät­zen der NSDAP bekennt, zu den hei­li­gen Sakra­men­ten zuge­las­sen wer­den?‘ müs­sen wir mit ‚nein‘ ant­wor­ten. §24 des Par­tei­pro­gramms wider­spricht grund­le­gend dem katho­li­schen Glauben.“

Genau­so ent­schie­den wand­ten sich die ande­ren Bischö­fe gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus. Die Ful­da­er Bischofs­kon­fe­renz ver­ur­teil­te schließ­lich am 5. August 1931 ein­deu­tig in einer gemein­sa­men Stel­lung­nah­me Sozia­lis­mus, Kom­mu­nis­mus und Natio­nal­so­zia­lis­mus, und der Osser­va­to­re Roma­no, die Zei­tung des Pap­stes, erklär­te am 21.1.1931: „Die katho­li­sche Leh­re und der Natio­nal­so­zia­lis­mus sind unver­ein­bar.“ Des­halb wur­den die Bischö­fe mit unge­zü­gel­ten Bedro­hun­gen über­schüt­tet. Sie wur­den die öffent­lich dekla­rier­ten Fein­de der Par­tei. Als Fol­ge tra­ten vie­le katho­li­sche Sym­pa­thi­san­ten der NSDAP aus der Kir­che aus. Kei­ner der pro­te­stan­ti­schen Kir­chen­füh­rer sag­te vor 1933 gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus ein Wort.

Die Ent­las­sung Brü­nings am 30. Mai 1932 traf nicht nur das Zen­trum son­dern auch die Mehr­heit der deut­schen Katho­li­ken schwer. Brü­nings Nach­fol­ger Franz von Papen lehn­ten sie ent­schie­den ab. Er wur­de wegen des „Ver­rats an Brü­ning“ aus dem Zen­trum aus­ge­schlos­sen. Papen löste den Reichs­tag auf und setz­te Neu­wah­len für den 31. Juli an. Das SA-Ver­bot wur­de am 15. Juni auf­ge­ho­ben. Es folg­ten dar­auf­hin zwi­schen SA, Kom­mu­ni­sten und Sozi­al­de­mo­kra­ten Stra­ßen­schlach­ten wie nie zuvor.

Immer mehr mel­de­ten sich jetzt aus dem katho­li­schen Lager die war­nen­den Stimmen.

Dr. Fritz Ger­lich, der die Zeit­schrift Der gera­de Weg her­aus­gab, griff die Nazis beson­ders scharf an. Vor der Wahl am 31. Juli 1932 schrie­ben sie ihm einen schlim­men Droh­brief, den mei­ne Mut­ter im Ori­gi­nal über die Nazi­zeit geret­tet hat. Er lautete:

Mün­chen, den 25.Juli 1932

Herrn

Dr. Fritz Gerlich

Schmier­fink beim Gera­den Weg

Hier

Wir war­nen Sie! Die näch­sten Tage wird Ihnen Ihr schmut­zi­ges Hand­werk gelegt wer­den. – Sie erbärm­li­cher Schmutz­fink. Sei­en Sie über­zeugt, daß die Stun­de bald schlägt, wo Deutsch­land von Ihnen und Ihres­glei­chen befreit wird. Wir wer­den an Ihnen und Ihrer schwar­zen Sip­pe ein beson­de­res Bei­spiel sta­tu­ie­ren, indem wir einen Schei­ter­hau­fen aus allen in Deutsch­land befind­li­chen Chri­sten­kreu­zen – jenes Chri­stus, wel­cher von einer jüdi­schen Hure gebo­ren wur­de – errich­ten, wor­auf Sie nebst dem übri­gen Pfaf­fen­ge­s­in­del ein­schließ­lich der gan­zen Mar­xi­sten­brut geschmort werden.

Wenn dann die Befrei­ungs­feu­er zum Him­mel stei­gen, hat die Geburts­stun­de der neu­en ari­schen Reli­gi­on begon­nen, dann wird das Deut­sche Volk dem ein­zi­gen auf Erden wan­deln­den Gott, Adolf Hit­ler, auf den Knien dafür dan­ken, daß er es von jüdisch-christ­lich-mar­xi­sti­scher Pest befreit hat.

Heil Hit­ler

Blut und Tod allen Mar­xi­sten und Pfaffen!

Die neu­en Wah­len brach­ten den Zusam­men­bruch der poli­ti­schen Mit­te und den Sieg der radi­ka­len Extre­me. NSDAP und KPD erhiel­ten zusam­men 51,5 Pro­zent, rech­net man noch die DNVP dazu, die mit der NSDAP eine Arbeits­ge­mein­schaft ein­ge­gan­gen war, so erklär­ten sich 57,4 Pro­zent als Geg­ner der Wei­ma­rer Verfassung.

Ganz deut­lich zeigt aber das Ergeb­nis: Je gerin­ger in einem Gebiet die Katho­li­ken, desto mehr die Stim­men für die NSDAP und umge­kehrt, je zahl­rei­cher in einem Gebiet die Katho­li­ken, desto gerin­ger die Stim­men der NSDAP. Katho­li­sche Poli­ti­ker hat­ten schon seit lan­gem ein Wachs­tum des Natio­nal­so­zia­lis­mus vor­aus­ge­se­hen, falls kei­ne Mil­de­rung des Ver­sailler Ver­trags eintrete,

Am 30. Janu­ar 1933 erhielt Hit­ler vom Reichs­prä­si­den­ten den Auf­trag zur Regie­rungs­bil­dung. Er gab sich bei sei­ner Kabi­netts­li­ste sehr beschei­den: Von 11 Mini­ster­po­sten bean­spruch­te er nur für sich den Kanz­ler, den Innen-Poli­zei­mi­ni­ster und einen Mini­ster ohne Geschäfts­be­reich (Her­mann Göring). Kein katho­li­scher Bischof hat die Macht­über­nah­me begrüßt. Von Papen ver­such­te als Vize­kanz­ler, die Öffent­lich­keit zu beru­hi­gen: „Habt kei­ne Sor­ge! Wir wer­den Hit­ler in die Ecke drän­gen, bis er quietscht.“ Und doch hat­te die­ser schon nach nur einem Monat die abso­lu­te Gewalt.

Am 27. Febru­ar brann­te der Reichs­tag ab. Hit­ler gab sofort den Kom­mu­ni­sten die Schuld. Durch die Reichs­tags­brand-Ver­ord­nung vom 28. Febru­ar wur­den unter Mit­wir­kung des Reichs­prä­si­den­ten die wich­tig­sten Arti­kel der Ver­fas­sung außer Kraft gesetzt. Auf die­se Ver­ord­nung hat sich die natio­nal­so­zia­li­sti­sche Dik­ta­tur bis zu ihrem Zusam­men­bruch vor allem gestützt, nicht auf das drei Wochen spä­ter gebil­lig­te Ermäch­ti­gungs­ge­setz, das so gern zitiert wird, wenn man den Par­tei­en der Mit­te die Ver­ant­wor­tung zuschie­ben will.

Hit­ler ließ noch­mals am 5. März 1933 den Reichs­tag wäh­len. Zusam­men mit der Deutsch­na­tio­na­len Volks­par­tei (DNVP) erhielt er dies­mal die abso­lu­te Mehr­heit. Mit den Kom­mu­ni­sten (12,5 Pro­zent) stimm­ten damit 65 Pro­zent der Wäh­ler gegen die demo­kra­ti­sche Repu­blik. Der Aus­gang die­ser Wahl ver­grö­ßer­te die Befürch­tun­gen der deut­schen Bischö­fe. Am 9. März ergrif­fen die Nazis in Form eines Staats­streichs auch in Bay­ern die Macht, nach­dem sie sich bereits vor­her der übri­gen Län­der bemäch­tigt hat­ten. Dr. Fritz Ger­lich wur­de am glei­chen Tag ver­haf­tet. Am fol­gen­den Tag schrieb der Erz­bi­schof von Bres­lau und Vor­sit­zen­der der Ful­da­er Bischofs­kon­fe­renz, Adolf Kar­di­nal Bert­ram, an Reichs­prä­si­dent Paul von Hin­den­burg: „Die Stun­de ist gekom­men, wo wir uns an das Reichs­ober­haupt wen­den müs­sen mit der drin­gen­den Bit­te um Schutz für Kir­che und kirch­li­ches Leben und Wir­ken. Möge unser Ruf nicht unge­hört bleiben!“

Die Zeit vom 23. März 1933 bis zum 30. Juni 1934

Kenn­zei­chen: Die Kir­che – zwi­schen Hoff­nung, Illu­si­on und Sor­ge – ist bereit, mit der recht­mä­ßi­gen Regie­rung zusammenzuarbeiten

Die Eröff­nung des Reichs­tags fand am 21. März fei­er­lich in der Pots­da­mer Gar­ni­sons­kir­che statt. Vie­len erschien dies als Bekennt­nis Hit­lers zum Chri­sten­tum mit dem Zei­chen der Treue für alles, was Tra­di­ti­on ist. Wie der jun­ge Staats­mann mit beschei­den gesenk­tem Kopf vor dem grei­sen Feld­mar­schall steht, wie sich im Hand­schlag bei­der die Ver­bin­dung des alten mit dem neu­en Deutsch­land voll­zieht, das muß­te auch das Ver­hält­nis der Katho­li­ken zu die­sem Regime beein­flußen, eben­so wie Hit­lers Regierungserklärung

Die­se erfolg­te zwei Tage spä­ter, am 23. März, in der Kroll­oper. Mit ihr ver­band Hit­ler die Ver­ab­schie­dung des so genann­ten „Ermäch­ti­gungs­ge­set­zes“ zur „Behe­bung der Not von Volk und Reich“. Es ermäch­tig­te die Reichs­re­gie­rung, vier Jah­re lang Auf­ga­ben durch­zu­füh­ren, die bis­her allein dem Reichs­tag als der gewähl­ten Volks­ver­tre­tung vor­be­hal­ten waren. In sei­ner Erklä­rung griff Hit­ler zuerst den Kom­mu­nis­mus an. Dann sag­te er u. a.: „Die natio­na­le Regie­rung sieht in den bei­den Kon­fes­sio­nen wich­ti­ge Fak­to­ren der Erhal­tung unse­res Volks­tums. Sie wird die zwi­schen ihnen und den Län­dern abge­schlos­se­nen Ver­trä­ge respek­tie­ren. Sie erwar­tet und hofft, daß ihre Arbeit in der sitt­li­chen und mora­li­schen Erneue­rung des deut­schen Vol­kes auch bei den Kon­fes­sio­nen die glei­che erfor­der­li­che Beach­tung fin­det. … Mögen Sie, mei­ne Her­ren, nun die Ent­schei­dung tref­fen über Frie­den oder Krieg.“

Die­se Erklä­rung hat sen­sa­tio­nell gewirkt. Die nicht­na­zi­sti­schen Par­tei­en gera­ten in einen schwe­ren inne­ren Kon­flikt. Die Schluß­wor­te Hit­lers las­sen kei­nen Zwei­fel, daß Hit­ler gewillt ist, auf alle Fäl­le sei­ne Absich­ten durch­zu­set­zen. Allein die Reichs­tags­brand-Ver­ord­nung vom 28. Febru­ar 1933 gibt ihm dazu prak­tisch unbe­grenz­te Möglichkeiten.

Otto Wels, der Spre­cher der SPD, lehnt im Namen sei­ner Frak­ti­on das Ermäch­ti­gungs­ge­setz ab. Es ist eine muti­ge, auf­rech­te Rede. Das Zen­trum und die Baye­ri­sche Volks­par­tei (BVP) stim­men schwe­ren Her­zens zu, um Schlim­me­res zu ver­hü­ten. Ihre Begrün­dung: Gefahr eines neu­en Kul­tur­kamp­fes – das über­wäl­ti­gen­de Aus­maß des natio­nal­so­zia­li­sti­schen Wahl­siegs, das den Ein­druck einer Volks­be­we­gung erweck­te, – die Befürch­tung anar­chi­scher Zustän­de bei einem Wie­der­auf­le­ben der Par­tei­en­kämp­fe, deren Schrecken man ja im Jahr 1932 erlebt hat­te. In Erin­ne­rung an den Kul­tur­kampf waren sie bemüht, durch Her­aus­stel­len der katho­li­schen Ver­bun­den­heit mit Volk und Staat die ultra­mon­ta­ne Ver­däch­ti­gung und Beschimp­fung zu brechen.

Für die deut­schen Bischö­fe gab es nun eine völ­lig neue Lage: Die Regie­rung hat­te fei­er­li­che Ver­spre­chun­gen gege­ben. Die poli­ti­schen Ver­tre­ter des katho­li­schen Vol­kes hat­ten mit den ande­ren, nicht­mar­xi­sti­schen Par­tei­en ein­stim­mig der neu­en Regie­rung und ihrem Pro­gramm zuge­stimmt. Fast das gan­ze Volk war in jenen Tagen ergrif­fen von einem alles über­flu­ten­den Ver­lan­gen nach Ein­heit, um die alten poli­ti­schen Gegen­sät­ze zu besei­ti­gen. „Ein Volk – ein Reich – ein Füh­rer“ – ist das nicht schön? Und die neue Regie­rung hat­te in ihrem Regie­rungs­pro­gramm Garan­tien gege­ben, die – wenn sie ehr­lich ver­wirk­licht wür­den – das Leben und Wir­ken der Kir­che in Deutsch­land sicherstellten.

Die katho­li­schen Bischö­fe muß­ten Stel­lung neh­men. Von allen Sei­ten wur­den sie bedrängt, ja bestürmt, nicht län­ger zu schwei­gen. So ent­stand die Kund­ge­bung der Ful­da­er Bischofs­kon­fe­renz vom 28. März 1933, die so oft zu Unrecht als Kapi­tu­la­ti­on der Bischö­fe vor dem Natio­nal­so­zia­lis­mus dar­ge­stellt wird. In ihr erklär­ten sie u. a.: „Die Ober­hir­ten der Diö­ze­sen Deutsch­lands haben aus trif­ti­gen Grün­den, die wie­der­holt dar­ge­legt sind, in den letz­ten Jah­ren gegen­über der natio­nal­so­zia­li­sti­schen Bewe­gung eine ableh­nen­de Hal­tung durch Ver­bo­te und War­nun­gen ein­ge­nom­men, die solan­ge und inso­weit in Gel­tung blei­ben soll­ten, wie die­se Grün­de fortbestehen.

Es ist nun­mehr anzu­er­ken­nen, daß von dem höch­sten Ver­tre­ter der Reichs­re­gie­rung, der zugleich auto­ri­tä­rer Füh­rer jener Bewe­gung ist, öffent­lich und fei­er­lich Erklä­run­gen gege­ben sind, durch die der Unver­letz­lich­keit der katho­li­schen Glau­bens­leh­re und den unver­än­der­li­chen Auf­ga­ben und Rech­ten der Kir­che Rech­nung getra­gen, sowie die voll­in­halt­li­che Gel­tung der von den ein­zel­nen deut­schen Län­dern mit der Kir­che abge­schlos­se­nen Staats­ver­trä­ge durch die Reichs­re­gie­rung aus­drück­lich zuge­si­chert wird. Ohne die in unse­ren frü­he­ren Maß­nah­men lie­gen­de Ver­ur­tei­lung bestimm­ter reli­gi­ös-sitt­li­cher Irr­tü­mer auf­zu­he­ben, glaubt daher der Epi­sko­pat, das Ver­trau­en hegen zu kön­nen, daß die vor­ge­zeich­ne­ten all­ge­mei­nen Ver­bo­te und War­nun­gen nicht mehr als not­wen­dig betrach­tet zu wer­den brauchen.“

In die­ser Kund­ge­bung sind wohl die deut­schen Bischö­fe der neu­en natio­na­len Regie­rung ent­ge­gen­ge­kom­men. Eine schrof­fe ableh­nen­de Hal­tung hät­te sicher den Nazis einen bil­li­gen Vor­wand gelie­fert, gegen katho­li­sche Ver­bän­de und Orga­ni­sa­tio­nen so radi­kal vor­zu­ge­hen, wie gegen die Kom­mu­ni­sten. Trotz alle­dem spürt man die reser­vier­te Hal­tung der Bischö­fe, wenn sie erklä­ren: Die „ableh­nen­de Hal­tung bleibt solan­ge in Gel­tung, wie die Grün­de fort­be­stehen“, „die Ver­ur­tei­lung bestimm­ter Irr­tü­mer wird nicht auf­ge­ho­ben“ Bewußt begin­nen die letz­ten Sät­ze mit einem drei­fa­chen „In Gel­tung bleibt“, was kei­ner über­se­hen kann. Aber grund­sätz­lich ver­trat man damals unter den Bischö­fen die Ansicht: „Der Epi­sko­pat im gan­zen durf­te das uner­war­te­te Frie­dens­an­ge­bot nicht zurück­sto­ßen. In Deutsch­land ist die neue Regie­rung recht­mä­ßig in den Besitz der Gewalt gekom­men, und damit müs­sen die Grund­sät­ze der christ­li­chen Staats­leh­re auch der neu­en Regie­rung gegen­über gelten.“

Die Bischö­fe stell­ten aber auch die Ter­ror­maß­nah­men des neu­en Regimes an den Pran­ger. Zum drit­ten Male inner­halb sechs Wochen brach­te Kar­di­nal Bert­ram im Namen der Bischö­fe am 6. April beim Reichs­prä­si­den­ten ihre Sor­ge zum Aus­druck. Im Juni 1933 waren ja allein in Bay­ern schon rund 2.000 Per­so­nen aus katho­li­schen Krei­sen, dar­un­ter 150 Geist­li­che in Haft. Eines der ersten KZ wur­de vor den Mau­ern Mün­chens in Dach­au errich­tet, einer der ersten Häft­lin­ge war Dr. Alo­is Hundham­mer, nach dem Krieg baye­ri­scher Kul­tus­mi­ni­ster. „Unter den ersten Opfern des Nazi-Ter­rors befan­den sich weit mehr Chri­sten als Juden.“ Die Hoff­nun­gen auf Reichs­prä­si­den­ten, auf Reichs­wehr und die nicht-natio­nal­so­zia­li­sti­schen Mit­glie­der der Reichs­re­gie­rung, erwie­sen sich aber lei­der als Illusionen

Es war eine gro­ße Über­ra­schung, daß Hit­ler schon bald durch Vize­kanz­ler von Papen dem Papst den Abschluß eines Reichs­kon­kor­dats anbot. Konn­te der Papst die­ses Ange­bot Hit­lers ohne das Risi­ko schwe­rer Nach­tei­le aus­schla­gen? Es gab damals über 6 Mil­lio­nen Arbeits­lo­se, die sozi­al nicht annä­hernd so abge­si­chert waren wie heu­te. Eine Ableh­nung des Kon­kor­dat-Ange­bots hät­te die Mehr­zahl der Katho­li­ken mas­si­ven Unter­drückungs­maß­nah­men der Macht­ha­ber aus­ge­setzt. Sie wäre auch als offe­ne Kampf­an­sa­ge an das neue Deutsch­land ver­stan­den wor­den. Pacel­li erklär­te spä­ter: Eine Pisto­le „war auf mein Haupt gerich­tet, und ich habe kei­ne Wahl gehabt“. Sicher konn­te das Kon­kor­dat nicht alles schreck­li­che Unrecht der Nazis ver­hin­dern, spä­ter zeig­te sich aber: Die Lage der Kir­che in den „kon­kor­dats­frei­en Gebie­ten“ war um ein viel­fa­ches schlim­mer, den­ken wir nur an Öster­reich. Hart­näckig hält sich die unrich­ti­ge Behaup­tung, das Reichs­kon­kor­dat sei der erste inter­na­tio­na­le Ver­trag der Regie­rung Hit­lers gewe­sen. Bereits vor dem Abschluß des Kon­kor­dats war aber schon eine Rei­he von völ­ker­recht­li­chen Ver­trä­gen geschlos­sen wor­den, vor allem der Vier­mäch­te­pakt zwi­schen Deutsch­land, Frank­reich, Groß­bri­tan­ni­en und Ita­li­en vom 15. Juli 1933.

Die Zeit vom 30. Juni 1934 bis zum 1. Sep­tem­ber 1939

Kenn­zei­chen: Die Kir­che steht des­il­lu­sio­niert im offe­nen Kampf gegen den natio­nal­so­zia­li­sti­schen Staat, der sie sich bru­tal unter­wer­fen will.

Am 30. Juni 1934 geschah der so genann­te Röhm-Putsch. SA-Chef Ernst Röhm und die ober­ste SA-Füh­rung wur­den auf Befehl Hit­lers von der SS erschos­sen. Aber auch ande­re miss­lie­bi­ge Per­so­nen wur­den ermor­det wie Dr. Erich Klau­se­ner, der Lei­ter der Ber­li­ner Katho­li­schen Akti­on und Mini­ste­ri­al­rat beim Reichs­ver­kehrs­mi­ni­ste­ri­um, und Dr. Fritz Ger­lich. Hin­den­burg hat die Maß­nah­men nach­träg­lich gebil­ligt, die Lon­do­ner „Times“ bekun­de­te immer wie­der Sym­pa­thien mit den erklär­ten Zie­len Hitlers.

Die Aktio­nen der Gesta­po gegen die Kir­che nah­men 1934 und 1935 beträcht­lich zu, ver­rin­ger­ten sich aber 1936, sicher mit Rück­sicht auf die Olym­pi­schen Spie­le in Ber­lin. Dort ström­ten die Sport­ler aus aller Welt her­bei. Selbst Nicht-Ari­er fei­er­ten den Füh­rer mit dem Hit­ler-Gruß und ver­hal­fen ihm so zu ungleich mehr Anse­hen, als das Kon­kor­dat es ver­mocht hät­te. Nach den Spie­len ver­schärf­te sich der Kampf des Natio­nal­so­zia­lis­mus gegen die Kir­che unge­mein Die katho­li­schen Arbei­ter­or­ga­ni­sa­tio­nen wur­den zer­schla­gen, die katho­li­sche Jugend­ar­beit muß­te auf Pfarr­ebe­ne umor­ga­ni­siert wer­den. Es gab Fes­seln für die Ver­kün­di­gung des Got­tes­wor­tes, für die Sakra­men­ten­spen­dung, den Sakra­men­ten­emp­fang und für die Abhal­tung von Got­tes­dien­sten, für die kirch­li­che Schul­tä­tig­keit (Ver­trei­bung der Ordens­leu­ten aus den Schu­len; Besei­ti­gung der Bekennt­nis­schu­len; – ein rei­ner Vertragsbruch!)

Der Kampf erreich­te 1937 sei­nen ersten Höhe­punkt mit dem Vor­wurf, die katho­li­sche Kir­che arbei­te mit dem Kom­mu­nis­mus zusam­men und mit den so genann­ten Devi­sen – und Sitt­lich­keits­pro­zes­sen. Der seit 1932 amtie­ren­de Bischof von Mei­ßen, Petrus Leg­ge, über­nahm eine schwer ver­schul­de­te Diö­ze­se. Sein Vor­gän­ger hat­te durch einen Kre­dit aus den Nie­der­lan­den ver­schie­de­ne Bau­ko­sten (u. a. Prie­ster­se­mi­nar, katho­li­sches Gym­na­si­um in Dres­den) finan­ziert. Leg­ge muß­te nun die Til­gungs­ra­ten zu rück­zah­len. Offen­sicht­lich aus poli­ti­schen Grün­den wur­de 1935 auf­grund die­ser Anlei­he gegen das Bis­tum wegen „Devi­sen-Ver­schie­bung ins Aus­land“ ein Pro­zeß eröff­net, in des­sen Ver­lauf der Gene­ral­vi­kar der Diö­ze­se Mei­ßen und am 9. Okto­ber 1935 Bischof Leg­ge selbst in Unter­su­chungs­haft genom­men wur­den. Am 23. Novem­ber 1935 wur­de Leg­ge wegen „fahr­läs­si­ger Devi­sen­ver­schie­bung“ zu einer Geld­stra­fe von 100.000 Reichs­mark ver­ur­teilt, für die dama­li­ge Zeit eine gewal­ti­ge Sum­me, die das Bis­tum fast in den finan­zi­el­len Ruin trieb. Der Bischof wur­de als Volks­schäd­ling dif­fa­miert. Man ver­such­te, sei­ne Rück­kehr auf den bischöf­li­chen Stuhl zu ver­hin­dern. Erst im März 1937 konn­te er wie­der sein Amt ausüben.

Im Janu­ar 1937 rief Papst Pius XI.fünf deut­sche Bischö­fe nach Rom. Es wur­de beschlos­sen, den Natio­nal­so­zia­lis­mus in aller Welt anzu­kla­gen. Am Palm­sonn­tag, am 21. März 1937, war die gro­ße Stun­de da. Von allen deut­schen katho­li­schen Kan­zeln wur­de die Enzy­kli­ka „Mit bren­nen­der Sor­ge“ ver­le­sen, dem ein­zi­gen Welt­rund­schrei­ben in deut­scher Spra­che. Das Wort des Pap­stes beschränk­te sich strikt auf den Bereich der kirch­li­chen Zustän­dig­keit und griff scharf das Regime an. Die Enzy­kli­ka trat nicht nur ein für die im Kon­kor­dat ver­bürg­ten Rech­te der Katho­li­ken und ihrer Kir­che. Sie beton­te auch aus­drück­lich, „daß der Mensch als Per­sön­lich­keit gott­ge­ge­be­ne Rech­te besitzt“, vor denen jede Staats­macht halt zuma­chen habe. Aber auch die­ser schärf­ste Angriff gegen das natio­na­li­sti­sche Deutsch­land vor Aus­bruch des Zwei­ten Welt­kriegs blieb wir­kungs­los. Die Welt­öf­fent­lich­keit hat davon nur kurz Kennt­nis genom­men, doch anschlie­ßend kei­ner­lei Kon­se­quen­zen gezo­gen. Der eng­li­sche und fran­zö­si­sche Bot­schaf­ter nah­men erst­mals offi­zi­ell am Reichs­par­tei­tag in Nürn­berg teil.

Für die katho­li­sche Kir­che jedoch hat sich die Situa­ti­on aber wesent­lich ver­schlech­tert. Kei­nem Bedräng­ten wur­de gehol­fen. Im Gegen­teil: Das NS-Regime hat sei­nen Kampf um ein viel­fa­ches ver­schärft. Immer wie­der hieß es: „Die Bischö­fe haben Lan­des­ver­rat ver­übt.“ Die zwölf Drucke­rei­en wur­den ent­schä­di­gungs­los ent­eig­net, weil sie das Rund­schrei­ben gedruckt hat­ten, Ver­le­ger, Drucker und Schrift­lei­ter sowie Lai­en, die die Tex­te ver­teilt haben, wur­den vor Gericht gestellt. Bischö­fe und Prie­ster aber, die den Pro­test des Pap­stes ver­öf­fent­lich­ten, wur­den geschont, Dadurch soll­te erreicht werden:

  1. Ein Keil wird zwi­schen Lai­en und Prie­ster getrie­ben. Die Lai­en sol­len sich über den Kle­rus ärgern („Die Gro­ßen läßt man lau­fen, die Klei­nen wer­den gehängt.“) und sol­len ihn fort­an nicht mehr unterstützen.
  2. Der Kle­rus soll mit Rück­sicht auf sei­ne treu­en Lai­en an wei­te­ren Pro­te­sten gehin­dert werden.

Bei einer Gesamt­zahl von 22.000 katho­li­schen Prie­stern im Drit­ten Reich kön­nen maxi­mal ca.70 als mit der NSDAP „sym­pa­thi­sie­ren­de Geist­li­che“ bezeich­net wer­den, ca.0,33 Pro­zent, d.h. drei bis vier auf tau­send. Sie kamen in Kon­flikt mit ihrer Kirchenleitung.

Der Kampf gegen die katho­li­sche Kir­chen ging in den hef­ti­gen For­men wei­ter, bis der von Hit­ler ent­fes­sel­te Krieg ihn wenig­stens äußer­lich zunächst etwas dämpfte.

Die Zeit vom 1. Sep­tem­ber 1939 bis zum 8. Mai 1945

Kenn­zei­chen: Die Kir­che im Span­nungs­feld zwi­schen Patrio­tis­mus und Abwehr der oft blu­ti­gen Verfolgung

Der Aus­bruch des Krie­ges stell­te die deut­schen Bischö­fe vor eine neue Situa­ti­on, über deren Beur­tei­lung sie aber nicht einig waren. Vie­le von ihnen rie­fen zum Gebet um den Frie­den auf, ermahn­ten aber – erst recht seit 1941- auch die Gläu­bi­gen zu Opfer­be­reit­schaft im Kampf gegen den gott­lo­sen Kom­mu­nis­mus und zu Vater­lands­lie­be, viel­leicht eine Nach­wir­kung des Kul­tur­kamp­fes. Wie blind die­ser Patrio­tis­mus gegen­über der Rea­li­tät war, und wie sehr er auch dem eigen­sten Inter­es­se der Kir­che ent­ge­gen­stand, zeig­te sich sehr bald. Auf dem Höhe­punkt mili­tä­ri­scher Erfol­ge zu Beginn des Krie­ges glaub­te Hit­ler die Zeit gekom­men, um die end­gül­ti­ge Zer­stö­rung der Kir­chen vorzubereiten.

In den besetz­ten Ost­ge­bie­ten wur­de die „End­lö­sung“ der Kir­chen­fra­ge teil­wei­se schon durch­ge­führt. In einem gemein­sa­men Hir­ten­brief pro­te­stier­ten die deut­schen Bischö­fe am 26. Juni 1941 – vier Tage nach dem Ein­marsch in Ruß­land – gegen eine Unzahl von Nazi-Unrecht (z.B. die vie­len Ver­haf­tun­gen von Geist­li­chen, die Auf­he­bung vie­ler Klö­ster, die Ent­fer­nung der Kru­zi­fi­xe aus den Schu­len). Er gip­fel­te in den Wor­ten: „Es geht um Sein oder Nicht­sein des Chri­sten­tums und der Kir­che in Deutsch­land … Es gibt hei­li­ge Gewis­sens­pflich­ten, von denen uns nie­mand befrei­en kann und die wir erfül­len müs­sen, koste es uns selbst das Leben.“

Im Som­mer 1942 pro­te­stier­te der Mün­ste­ra­ner Bischof Cle­mens August von Galen scharf gegen den Mord an Gei­stes­kran­ken. Für kur­ze Zeit wur­de dar­auf­hin die Akti­on unter­bro­chen. Dem Bischof geschah zwar nichts, an sei­ner Statt aber wur­den 24 Welt­prie­ster und 13 Ordens­prie­ster aus der Diö­ze­se Mün­ster ins Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger gebracht, wo zehn von ihnen gestor­ben sind.

In einem Schrei­ben an Papst Pius XII. vom 14. Juni 1942 stell­te Erz­bi­schof Con­rad Grö­ber von Frei­burg fest, „daß sich kein ein­zi­ger treu katho­li­scher Beam­ter mehr in füh­ren­der Stel­lung befin­det“. Ihre Posten waren von Pro­te­stan­ten oder „Gott­gläu­bi­gen“ ein­ge­nom­men wor­den. Mein Vater, Lei­ter des Reichs­bahn-Maschi­nen­amts Ingol­stadt, ein treu­er Katho­lik, der täg­lich an der hei­li­gen Mes­se teil­nahm und sich wei­ger­te, Mit­glied einer natio­nal­so­zia­li­sti­schen Orga­ni­sa­ti­on zu wer­den, wur­de bereits am ersten Weih­nachts­fei­er­tag 1938 nach Hameln/​Weser straf­ver­setzt. Dort, wo alles „braun“ war, schien er als ein­zi­ger „Schwar­zer“ unge­fähr­lich. Der Prä­si­dent der Reichs­bahn­di­rek­ti­on Mün­chen hat ange­deu­tet, daß ihm „Dach­au“ hät­te dro­hen können.

Kaum bekannt ist, daß meh­re­re katho­li­sche Bischö­fe (Kon­rad Kar­di­nal von Preysing/​Berlin, Cle­mens August von Galen/​Münster, Micha­el Kar­di­nal von Faulhaber/​München und Andre­as Rohracher/​Salzburg) auch engen Kon­takt hat­ten  zu einer der bedeu­tend­sten Wider­stands­grup­pen, dem „Krei­sau­er Kreis“ unter den Gra­fen Hel­muth von Molt­ke und Peter Yorck von Wartenburg.

Die deutsche Kirche und die Juden

Immer wie­der wird gegen die katho­li­sche Kir­che der schwer­wie­gen­de Vor­wurf erho­ben, sie habe „ihre jüdi­schen Mit­bür­ger als ‚Chri­stus­mör­der‘ ver­dammt und tra­ge des­halb eine schwe­re Mit­schuld am Holo­caust. Ohne ihren histo­ri­schen Anti­ju­da­is­mus wären Ver­fol­gung und Ermor­dung von Mil­lio­nen Men­schen ver­mut­lich nicht mög­lich gewe­sen.“ Im Fol­gen­den soll kurz die Hal­tung der katho­li­schen Kir­che in Deutsch­land sowie die Hal­tung Pius‘ XII. dar­ge­stellt werden.

Nach dem Kul­tur­kampf, mit dem der deut­sche pro­te­stan­ti­sche Reichs­kanz­ler Otto von Bis­marck 1871–1878 die katho­li­sche Kir­che dem Staat unter­wer­fen woll­te, gab es im deut­schen Katho­li­zis­mus ein star­kes Bewußt­sein für die Rech­te der jüdi­schen Min­der­heit. Die ein­deu­ti­ge Posi­ti­on der Zen­trums­par­tei gegen Natio­na­lis­mus und Anti­se­mi­tis­mus mach­te das Zen­trum auch für jüdi­sche Wäh­ler, beson­ders für ortho­do­xe Juden wählbar.

Die Bischö­fe haben bereits vor 1933 und eben­so her­nach in vie­len Hir­ten­brie­fen und son­sti­gen Kund­ge­bun­gen immer mit aller Ent­schie­den­heit erklärt, daß die Ideo­lo­gie des Natio­nal­so­zia­lis­mus, ihr Ras­sis­mus, mit der katho­li­schen Leh­re unver­ein­bar ist. Ein Bei­spiel möge dafür ste­hen: Schon seit einer Pre­digt Kar­di­nal Faul­ha­bers am 1. Novem­ber 1923, bei der er sich miß­bil­li­gend über den „blin­den Haß gegen Juden und Katho­li­ken“ aus­sprach, galt er als der „Juden­kar­di­nal“. In die­ser Ansicht fühl­ten sich die Nazis bestä­tigt durch die berühm­ten fünf Advents­pre­dig­ten im Dezem­ber 1933, in denen Faul­ha­ber die „reli­giö­sen, sitt­li­chen und sozia­len Wer­te“ des Alten Testa­men­tes herausstellte.

Wie die Doku­men­te bewei­sen, haben die Bischö­fe oft schwer gerun­gen um die ange­mes­se­ne Form des Ein­tre­tens für die Juden. Oft haben auch Ver­fech­ter einer schar­fen Linie zu einer Mäßi­gung im Sinn der Juden sel­ber gedrängt, um grö­ße­res Unglück zu ver­mei­den. Dabei sind sicher auch Feh­ler gemacht wor­den. Die Kri­ti­ker von heu­te machen es sich aber zu bil­lig, wenn sie mei­nen, daß mit lau­ten Pro­te­sten sei­tens der Kir­che vie­len Opfern des Ter­ror­re­gimes gehol­fen gewe­sen wäre. Wenn kri­ti­siert wird, daß die Bischö­fe zur Reichs­kri­stall­nacht (9./10. Novem­ber 1938) geschwie­gen haben, soll­te doch Fol­gen­des bedacht werden:

  1. Auch die katho­li­sche Kir­che im Deut­schen Reich hat­te damals zuneh­mend viel Schlim­mes durch das NS-Regime zu erlei­den. So erfolg­ten 1938: 
    • am 19. August ein gemein­sa­mes Hir­ten­wort der deut­schen Bischö­fe: Schar­fer Pro­test gegen den „Ver­nich­tungs­kampf“,
    • am 4. Sep­tem­ber ein Hir­ten­wort der baye­ri­schen Bischö­fe: Pro­test gegen die Ver­trei­bung aller katho­li­schen Ordens­leu­te aus den Schulen,
    • am 28. Sep­tem­ber die Denk­schrift der öster­rei­chi­schen Bischö­fe: Pro­test gegen den zuneh­men­den Kul­tur­kampf und die schlim­me Unterdrückung,
    • die Maß­nah­men der Gesta­po gegen katho­li­sche Geist­li­che wur­den wesent­lich gesteigert.
  2. Gegen ein­zel­ne Bischö­fe ver­an­laß­te das NS-Regime 1938 fol­gen­de Aktionen: 
    • Gegen Bischof Johan­nes Sproll von Rot­ten­burg gab es im April 1938 drei und im Juli 1938 vier teils gewalt­tä­ti­ge Demon­stra­tio­nen. Die auf­ge­brach­te Men­ge hat­te das Bischof­pa­lais gestürmt und den Bischof belei­digt und bedroht Am 28. August 1938 wur­de er von der Gesta­po auf aus­drück­li­chen Befehl Hit­lers mit bru­ta­len Belei­di­gun­gen und Bedro­hun­gen nach Frei­burg „wei­ter­ge­schaßt“ Dies geschah unter Beru­fung auf die Reichs­tags­brand­ver­ord­nung vom 28.2.1933. Im Bene­dik­ti­ner­klo­ster St. Otti­li­en fand er dann Asyl, das aber wahr­schein­lich des­halb 1941 beschlag­nahmt und auf­ge­ho­ben wur­de. Der schwer erkrank­te Bischof wur­de dar­auf bis Kriegs­en­de von den Ursber­ger Schwe­stern in Krum­bad aufgenommen.
    • Gegen den Erz­bi­schof von Wien, Theo­dor Kar­di­nal Innitzer,gab es am 8. Okto­ber 1938 natio­nal­so­zia­li­sti­scher Aus­schrei­tun­gen. 200.000 demon­strier­ten gegen ihn, anschlie­ßend erfolg­te die Ver­wü­stung des bischöf­li­chen Palais mit Belei­di­gun­gen und Bedrohungen.
    • Gegen den Münch­ner Kar­di­nal Faul­ha­ber gab es am 11. Novem­ber 1938 eine Mas­sen­ver­an­stal­tung im Zir­kus Kro­ne, 70 Nazis stürm­ten den Erz­bi­schofs­sitz, 100 Fen­ster­schei­ben wur­den zer­stört, der Kar­di­nal war in Lebensgefahr.

Wir dür­fen auch nicht über­se­hen: 1938 nach dem Anschluß Öster­reichs und der Lösung der Sude­ten­kri­se bei der Mün­che­ner Kon­fe­renz stand Hit­ler inter­na­tio­nal auf dem Gip­fel sei­nes Anse­hens. Das ame­ri­ka­ni­sche Maga­zin Time erklär­te ihn zum Mann des Jahres.

Trotz­dem such­te der Bischof von Mün­ster, Cle­mens von Galen, am Tag nach der Reichs­kri­stall­nacht den dor­ti­gen Rab­bi­ner Dr. Stein­th­al auf und erklär­te sich bereit, am fol­gen­den Sonn­tag scharf gegen die Juden­ver­fol­gung der Nazis zu pro­te­stie­ren. Der Rab­bi bat um zwei Tage Bedenk­zeit, aber bereits am näch­sten Tag bat er, der Bischof möge schwei­gen, sonst wer­de das Unheil noch grö­ßer. Den­ken wir nur an die furcht­ba­ren Fol­gen der bischöf­li­chen Pro­te­ste in Hol­land im Juli 1942.

Von gro­ßer Bedeu­tung wur­de auch der St. Rapha­els-Ver­ein, der sich bemüh­te, Juden bei der Aus­wan­de­rung zu helfen.

Pius XII. und die Juden

Als Pius XII. am 9. Okto­ber 1958 im Alter von 82 Jah­ren nach kur­zer schwe­rer Krank­heit starb, war die Reak­ti­on auf sei­nen Tod im In- und Aus­land gewal­tig. All­ge­mein wur­de er als ein ganz gro­ßer Papst gewürdigt

Im Jahr 1963, fünf Jah­re nach Pius‘ XII. Tod, aber hat der deut­sche Dra­ma­ti­ker Rolf Hoch­huth in sei­nem Stück „Der Stell­ver­tre­ter“ schwer­ste Vor­wür­fe gegen ihn erho­ben. Er sei ein sata­ni­scher Feig­ling, ein schlim­mer Ver­bre­cher gewe­sen. Er tra­ge die Haupt­ver­ant­wor­tung an der Ver­nich­tung der Juden. Unge­zähl­te haben Hoch­huths Vor­wür­fe seit­dem wie­der­holt und neue Argu­men­te gegen den Papst ange­führt. Vie­le Zeit­schrif­ten und Illu­strier­te wie Der Spie­gel und Stern haben sie aufgegriffen.

Die wich­tig­sten Vor­wür­fe lauten:

  1. Der Papst habe geschwie­gen, wo er hät­te reden müssen.
  2. Der Papst habe an den Juden kein Inter­es­se gehabt, nur an sei­ner Macht und sei­nem Geld.

Ver­such einer Antwort

Der Papst hat­te erlebt, daß öffent­li­che Inter­ven­tio­nen für die Betrof­fe­nen oft töd­li­che Fol­gen hat­ten. Den­ken wir nur an die Inter­ven­ti­on der hol­län­di­schen Bischö­fe. Trotz ent­spre­chen­der War­nung hat­ten sie am 26. Juli 1942.von allen Kan­zeln aus gegen die Depor­ta­ti­on der Juden Einsspruch erho­ben. Die pro­te­stan­ti­schen Kir­chen­lei­tun­gen hat­ten dazu geschwie­gen, des­halb ist den pro­te­stan­ti­schen Juden auch nichts gesche­hen, die katho­li­schen aber, unter ihnen auch Edith Stein, wur­den alle ver­haf­tet und umgebracht.

Pas­ca­li­na Leh­nert, die lang­jäh­ri­ge Haus­häl­te­rin Pius‘ XII. berich­tet, der Papst habe, als er von den Vor­gän­gen in Hol­land erfah­ren hat­te, ein bereits vor­be­rei­te­tes Pro­test­schrei­ben gegen die Juden­ver­fol­gung in ihrer Gegen­wart im Herd­feu­er der Küche ver­brannt mit den Wor­ten: „Wenn der Brief der hol­län­di­schen Bischö­fe 40.000 Men­schen­le­ben koste­te, so wür­de mein Pro­test viel­leicht 200.000 kosten. Das darf und kann ich nicht verantworten.“

Wie hät­te denn ein öffent­li­cher Pro­test zu Gun­sten der Juden erfol­gen sollen?

Der Papst hät­te in Rom sei­ne Enzy­kli­ka gegen die Juden­ver­fol­gung ver­kün­den und über Radio Vati­kan ver­brei­ten kön­nen. Die Deut­schen hät­ten sie nur im Radio hören kön­nen, wenn sie einen „aus­län­di­schen Sen­der“ ein­ge­schal­tet hät­ten, was unter Andro­hung schwer­ster Stra­fen ver­bo­ten war. Es herrsch­te ja Kriegs­recht. Das Todes­ur­teil gegen drei katho­li­sche Prie­ster von Lübeck wur­de aus­drück­lich damit begrün­det. Die deut­schen Bischö­fe, die auf gehei­men Weg die Enzy­kli­ka erhal­ten hät­ten, hät­ten kei­ne Drucke­rei gefun­den, die die­se Tex­te gedruckt hät­te. Den­ken wir nur an die schlim­men Erfah­run­gen von 1937 mit der Enzy­kli­ka Mit bren­nen­der Sor­ge!

Und was hät­te ein Pro­test zu Gun­sten der Juden  bewir­ken sollen?

Rudolf Aug­stein meint, Mil­lio­nen von deut­schen Katho­li­ken hät­ten sich gegen Hit­ler erho­ben und ihn gezwun­gen, mit der Juden­ver­fol­gung auf­zu­hö­ren. Das zeigt nur Aug­steins abso­lu­te Unkennt­nis der dama­li­gen Ver­hält­nis­se und eine erschrecken­de Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit. Aug­stein hät­te eigent­lich wis­sen müs­sen: Die Grup­pe der abso­lut kir­chen­treu­en und opfer­be­rei­ten war sehr klein und ver­streut, ohne Kon­takt zu ein­an­der, ohne Waf­fen, ohne mili­tä­ri­sche Füh­rung. Über­all waren Spit­zel der Gesta­po und des Sicher­heits­dien­stes! Wie hät­te sie einen Auf­stand gegen Hit­ler gewin­nen sol­len? Den­ken wir nur an den 20. Juli 1944, der unter weit gün­sti­ge­ren Bedin­gun­gen geschei­tert ist. Ange­sichts der alli­ier­ten For­de­rung nach bedin­gungs­lo­ser Kapi­tu­la­ti­on, hät­te Hit­ler kein noch so bru­ta­les Mit­tel gescheut, um sich durch­zu­set­zen. Das hat er bei einem Tisch­ge­spräch am 7. April 1942 ganz deut­lich ausgesprochen.

Und was hät­te ein öffent­li­cher Auf­ruf des Pap­stes bei Ame­ri­ka­nern und Eng­län­dern bewir­ken sol­len? Päpst­li­che Pro­te­ste haben doch nie zu einem Erfolg geführt. Der bri­ti­sche Geheim­dienst hat bereits am 24. Novem­ber 1941 erfah­ren, „daß die deut­sche Poli­zei alle Juden umbringt“. Es wur­de aber nichts zu ihrer Ret­tung unter­nom­men. In den Jah­ren 1942–1945 hat­ten Ame­ri­ka­ner und Eng­län­der in Deutsch­land die abso­lu­te Luft­ho­heit. Sie konn­ten jeden Ort bom­bar­die­ren, den sie woll­ten. War­um ist aber kei­ne ein­zi­ge Bom­be auf die Zugangs­we­ge zu den Kon­zen­tra­ti­ons- und vor allem den Ver­nich­tungs­la­gern gefal­len? 20 Bom­ben auf die Schie­nen zwi­schen Dach­au Bahn­hof und dem dor­ti­gen KZ hät­ten wohl für gewis­se Zeit den Trans­port von Häft­lin­gen dort­hin ver­hin­dert. Die­se konn­ten ja nur in unver­däch­ti­gen Güter­wa­gen beför­dert wer­den, unmög­lich auf den Stra­ßen mit Last­wa­gen. Bei der Gedenk­fei­er anläß­lich des 60. Jah­res­tags der Befrei­ung des Ver­nich­tungs­la­ger Ausch­witz am 28. Janu­ar 2005 in Kra­kau hat der Staats­prä­si­dent Isra­els, Mosche Katz­av, die Alli­ier­ten des­halb scharf getadelt.

Am 20. April 2003 hat Bun­des­prä­si­dent Richard von Weiz­säcker in der Sen­de­rei­he „Sta­tio­nen“ des Baye­ri­schen Rund­funks erklärt: „Mein Vater (gemeint ist Ernst von Weiz­säcker, damals Bot­schaf­ter des Deut­schen Rei­ches beim Hei­li­gen Stuhl) hat in die­sen Tagen (gemeint sind die Tage um den 16.Oktober 1943, als die ersten römi­schen Juden ver­haf­tet wur­den) mit dem Kar­di­nal­staats­se­kre­tär genau dar­über ein Gespräch geführt und ihn sel­ber nach­drück­lich dazu auf­ge­for­dert, daß der Papst öffent­lich und unüber­hör­bar laut einen Pro­test erhe­ben sollte.“

Ich habe Herrn von Weiz­säcker dar­auf einen Brief geschrie­ben, in dem ich ihm mit­teil­te, daß ich in mei­nem Buch „Glau­bens­zeu­gen oder Ver­sa­ger? Katho­li­sche Kir­che und Natio­nal­so­zia­lis­mus“ ver­öf­fent­licht im EOS-Ver­lag St. Otto, dazu aus­ge­führt habe: Nach Aus­sa­gen des Sekre­tärs bei der deut­schen Bot­schaft am Qui­ri­nal habe Ernst von Weiz­säcker damals erklärt, daß eine Äuße­rung des Pap­stes nur bewir­ken wür­de, daß die Abtrans­por­te erst recht durch­ge­führt wer­den. „Ich ken­ne doch die Reak­tio­nen die­ser Leu­te bei uns. Mon­ti­ni hat das übri­gens ein­ge­se­hen.“ Gio­van­ni Bat­ti­sta Mon­ti­ni, der spä­te­re Papst Paul VI., war damals Sub­sti­tut von Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Lui­gi Maglione.

Ich habe den Herrn Bun­des­prä­si­den­ten gebe­ten, mir mit­zu­tei­len, was ich in der geplan­ten 2. Auf­la­ge mei­nes Buches dazu schrei­ben sol­le. Mit Schrei­ben vom 10. Sep­tem­ber 2003 hat er dar­auf geant­wor­tet und erklärt: „Ich habe mich dabei auf ein Buch von John Corn­well bezo­gen. Er hat­te die Ein­las­sung mei­nes Vaters gegen­über dem Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Magli­o­ne so geschil­dert. Die Wahr­heit ist natür­lich die, daß ich nicht wirk­lich weiß, wie die Din­ge abge­lau­fen sind.“ Ich habe ihm dar­auf mein Buch geschickt, wofür er sich dar­auf herz­lich bedank­te. Die Sache schien erledigt

Umso grö­ßer war mein Erstau­nen, als der glei­che Doku­men­tar­film ohne jeg­li­che Ände­rung am 20. Mai 2004 im Hes­si­schen Fern­se­hen aus­ge­strahlt wur­de. In einem sehr ern­sten Brief vom 25. Mai 2005 an den Hes­si­schen Rund­funkt habe ich ern­ste Kri­tik erho­ben und auch beim Baye­ri­schen Rund­funk dage­gen pro­te­stiert. Dar­auf hat der Sen­der einen neu­en Film pro­du­ziert und unter dem Titel „Pfeif­fers Liste“ am 5. Novem­ber 2006 im Baye­ri­schen Fern­se­hen gezeigt.

Robert Kemp­ner, stell­ver­tre­ten­der ame­ri­ka­ni­scher Chef­an­klä­ger bei den Nürn­ber­ger Pro­zes­sen 1946, erklär­te auf­grund sei­ner dort gemach­ten Erfah­rung: „Jeder Pro­pa­gan­da­schritt der katho­li­schen Kir­che gegen Hit­lers Reich wäre nicht nur ‚glat­ter Selbst­mord‘ gewe­sen, son­dern hät­te die Exe­ku­ti­on von noch mehr Juden und Prie­stern beschleu­nigt.“ Das glei­che glaubt auch der bri­ti­sche Histo­ri­ker Sir Mar­tin Gil­bert, ein Jude, der inter­na­tio­nal als der beste Ken­ner des Holo­caust gilt. Er ist über­zeugt: „Pius XII. hat äußerst ver­ant­wor­tungs­voll gehan­delt und die rich­ti­ge Ent­schei­dung gefällt.“ Dabei könn­te das hol­län­di­sche Bei­spiel abschreckend gewirkt haben.

Anfang Juli 1942 erreich­te die Lei­ter der hol­län­di­schen Kir­chen die Nach­richt, daß alle nicht-getauf­ten Juden in das Drit­te Reich depor­tiert wer­den soll­ten. Sie sand­ten dar­auf am 11. Juli 1942 ein Pro­testtele­gramm an den NS-Reichs­kom­mis­sar für die Nie­der­lan­de, Arthur Seyß Inquart, in dem sie einen öffent­li­chen Pro­test androh­ten. Dar­auf ver­sprach man ihnen: Die christ­li­chen Juden wer­den ver­schont, wenn die Kir­chen sich ruhig ver­hal­ten. Die Pro­te­stan­ten haben sich danach gerich­tet, des­halb ist den pro­te­stan­ti­schen Juden nichts gesche­hen. Die katho­li­schen Bischö­fe aber ver­kün­de­ten am 27. Juli 1942 von allen Kan­zeln einen schar­fen Pro­test. Die Rache folg­te auf dem Fuß. Alle nicht-ari­schen Katho­li­ken wur­den am 2. August von der Gesta­po ver­haf­tet und in Ausch­witz umge­bracht, unter ihnen auch Edith Stein. Sie muß­te ster­ben, weil die Bischö­fe gere­det hatten.

Die aus Bay­ern stam­men­de Ordens­schwe­ster Pas­ca­li­na Leh­nert, die lang­jäh­ri­ge Haus­häl­te­rin Pius‘ XII. berich­tet: Der Papst woll­te im Som­mer des Jah­res 1942 einen schar­fen Pro­test gegen die natio­nal­so­zia­li­sti­schen Ver­bre­chen an den Juden ver­öf­fent­li­chen. Als er aber von dem Schick­sal der hol­län­di­schen Juden nach dem Pro­test der dor­ti­gen Bischö­fe erfuhr, änder­te er kurz ent­schlos­sen sein Vor­ge­hen. Er ver­brann­te den schrift­lich abge­faß­ten Text eigen­hän­dig im Herd­feu­er der Küche sei­ner Pri­vat­woh­nung mit den Wor­ten: „Wenn der Brief der hol­län­di­schen Bischö­fe 40.000 Men­schen­le­ben koste­te, so wür­de mein Pro­test viel­leicht 200.000 kosten. Das darf und kann ich nicht ver­ant­wor­ten.“ Da der päpst­li­che Nun­ti­us Hol­land zuvor hat­te ver­las­sen müs­sen, war der Papst auf die römi­schen Pres­se ange­wie­sen, die von 40.000 Opfern sprach. Inzwi­schen ist bekannt, daß es wahr­schein­lich 4.000 waren.

Trotz­dem hat der Papst das küh­ne Wort sei­nes Vor­gän­gers Pius‘ XI.: „Gei­stig sind wir alle Semi­ten“ öffent­lich wie­der­holt. In der Weih­nachts­bot­schaft 1942 bekann­te er sich zu „den Hun­dert­tau­sen­den, die – per­sön­lich schuld­los – bis­wei­len nur um ihrer Volks­zu­ge­hö­rig­keit oder Abstam­mung wil­len dem Tode geweiht oder der fort­schrei­ten­den Ver­elen­dung preis­ge­ge­ben sind“. Die Natio­nal­so­zia­li­sten ver­stan­den: „Der Papst beschul­digt tat­säch­lich das deut­sche Volk der Unge­rech­tig­keit gegen­über den Juden und macht sich zum Spre­cher der Juden, der Kriegs­ver­bre­cher“, so urteil­te der NS-Sicherheitsdienst.

2. Vor­wurf: Der Papst habe an den Juden kein Inter­es­se gehabt.

Der bereits erwähn­te Film „Pfeif­fers Liste“ (Anspie­lung auf „Schind­lers“ Liste) wur­de am 5. Novem­ber 2006 im Baye­ri­schen Fern­se­hen aus­ge­strahlt. Er macht an zahl­rei­chen Bele­gen deut­lich, wie sehr die Katho­li­sche Kir­che, an ihrer Spit­ze der Papst – unter dem Deck­man­tel schein­ba­rer Neu­tra­li­tät, zu der ihn auch die Late­ran­ver­trä­ge ver­pflich­te­ten, – den Juden in ihrer Not bei­gestan­den ist. So hat Pius XII. an jenem besag­ten 16.Oktober 1943, als die ersten Juden Roms ver­haf­tet wur­den – was bis­her kaum bekannt war – unver­züg­lich den deut­schen Vatikan­bot­schaf­ter Frei­herrn von Weiz­säcker ins vati­ka­ni­sche Staats­se­kre­ta­ri­at bestellt. Den Gene­ral­obe­ren der Sal­va­to­ria­ner, Pater Pan­kra­ti­us Pfeif­fer, den er als Lei­ter sei­nes Vor­zim­mers mit der Hil­fe für die Juden und die ande­ren von den Nazis Ver­folg­ten beauf­tragt hat­te, sand­te er mit sei­nem Nef­fen Car­lo Pacel­li zum deut­schen Stadt­kom­man­dan­ten von Rom, Gene­ral­ma­jor Rai­ner Sta­hel. Dar­auf­hin warn­te die­ser sei­ne Vor­ge­setz­ten vor Unru­hen in Rom und bewirk­te, daß die Ver­haf­tun­gen noch am glei­chen Tag um 14 Uhr gestoppt wur­den, obwohl der ursprüng­li­che „Füh­rer­be­fehl“ gelau­tet hat­te, alle 8.000 Juden Roms zu depor­tie­ren. Sta­hel selbst bezahl­te sei­nen Wider­spruch mit dem Leben: Er wur­de an die Ost­front nach Ruß­land geschickt, wo er fiel. Der Papst aber ließ die Juden fort­an in 155 römi­schen Klö­stern und Ordens­häu­sern ver­stecken und hob dafür die Klau­sur auf. Jüdi­sche Kin­der und Jugend­li­che tarn­te er als Klo­ster­schü­ler oder Novi­zen, jüdi­sche Frau­en und Män­ner erhiel­ten zum Schutz Ordens­klei­der. Als die Nah­rungs­mit­tel in Rom knapp. wur­den, ließ er ein Schiff kau­fen, das Lebens­mit­tel aus dem Hafen von Genua brach­te. P. Pfeif­fer besuch­te die Klö­ster, um Quar­tier für Juden zu machen, orga­ni­sier­te die Ver­tei­lung von Lebens­mit­teln an sie und hielt auch Ver­bin­dung zu Wehr­macht, sogar zu Gesta­po und SS. Aus Dank­bar­keit hat 1945 Roms Stadt­rat eine Stra­ße nach ihm benannt. Eine Gedenk­stät­te in Rom nahe dem Late­ran erin­nert mit zahl­rei­chen Doku­men­ten, Bil­dern und Schau­ta­feln an ihn und den Papst. Wenn die­ser öffent­lich und fei­er­lich gegen die Juden­ver­fol­gung pro­te­stiert hät­te, hät­te es – damit war zu rech­nen – eine Durch­su­chung in die­sen Häu­sern gege­ben, und das wäre ein Kata­stro­phe gewor­den.“ Auch in sei­ner Som­mer­re­si­denz Castel Gan­dol­fo hat Pius Tau­sen­de auf­ge­nom­men. Sein Schlaf­zim­mer wur­de zur Heb­am­men­sta­ti­on. 36 Kin­der kamen im Apo­sto­li­schen Palast zur Welt. Der Papst hat auch alle Nun­ti­en in Euro­pa ange­wie­sen, bei Regie­run­gen zu Gun­sten der gefähr­de­ten Juden tätig zu wer­den und vati­ka­ni­sche Päs­se aus­zu­stel­len. Die Palast­gar­de erhöh­te er von 300 auf 4.000 Mann, unter ihnen waren über 400 Juden.

Pin­chas Lapi­de, zeit­wei­se israe­li­scher Kon­sul in Mai­land, erklärt: „Die katho­li­sche Kir­che ermög­lich­te unter dem Pon­ti­fi­kat Pius‘ XII. die Ret­tung von 700.000, wahr­schein­lich sogar 860.000 Juden vor dem gewis­sen Tod durch die Hän­de der Natio­nal­so­zia­li­sten. Und Pro­fes­sor Heinz Hür­ten stellt fest, daß „70–90% der ins­ge­samt 950.000 geret­te­ten Juden in Euro­pa ihr Über­le­ben irgend­wel­chen Hil­fen von Sei­ten der Kir­che ver­dan­ken“. Die Juden, die die Schreckens­jah­re des Nazi-Regimes mit­er­lebt haben, waren Pius XII. dank­bar. In unzäh­li­gen Schrei­ben  haben sie das nach Kriegs­en­de bezeugt.

Zusam­men­fas­sung:

Wie kei­ne ande­re gesell­schaft­li­che Grup­pe in Deutsch­land und im Aus­land wur­den die Katho­li­sche Kir­che und ihr Ober­haupt, der Papst, wegen der Stel­lung zum Natio­nal­so­zia­lis­mus seit den 60er Jah­ren kri­ti­siert. Unbe­strit­ten ist: Auch bei Prie­stern und Bischö­fen gab es manch­mal Ängst­lich­keit, Vor­ei­lig­kei­ten und Tor­hei­ten, auch sie waren ja nur Men­schen. Neben manch berech­tig­ter Kri­tik gibt es aber vor allem eine abso­lut unbe­rech­tig­te Kri­tik, die nur mit gro­ßer Unwis­sen­heit oder mit anti-katho­li­scher, oft auch anti-christ­li­cher Hal­tung zu erklä­ren ist.

Seit Jahr­zehn­ten beschul­digt beson­ders der Spie­gel die katho­li­sche Kir­che, daß sie gegen­über Hit­ler nicht nur zu schwach gewe­sen sei, son­dern daß sie als Kom­pli­ze mit ihm zusam­men­ge­ar­bei­tet habe. Inter­es­sant ist in die­sem Zusam­men­hang, was die „Nürn­ber­ger Nach­rich­ten“ am 27. Dezem­ber 1996 berich­tet haben: Unter der Über­schrift. „Tabus der ‚Spiegel‘-Vergangenheit, SS-Haupt­sturm­füh­rer als Res­sort­lei­ter – Mit heu­ti­gem Image nicht ver­ein­bar“ brach­ten sie fol­gen­de Mit­tei­lung: „In den 50er Jah­ren waren beim Nach­rich­ten­ma­ga­zin ‚Der Spie­gel‘ ein­fluß­rei­che SS-Offi­zie­re und NS-Funk­tio­nä­re in ver­ant­wort­li­chen Funk­tio­nen tätig. So war z. B. Wil­fred von Oven, der frü­he­re Chef­ad­ju­tant von Reichs­pro­pa­gan­da­mi­ni­ster Joseph Goeb­bels, in den 50er Jah­ren Süd­ame­ri­ka-Kor­re­spon­dent. Ich den­ke, wer um die­se Tat­sa­chen weiß, wird die Hal­tung des „Spie­gel“ wohl bes­ser ver­ste­hen. Aber auch in Schul­bü­chern, in Ver­öf­fent­li­chun­gen von öffent­lich-recht­li­chen Anstal­ten (Funk und Fern­se­hen) und der Bun­des­an­stalt für poli­ti­sche Bil­dung in Bonn wer­den bei der Fra­ge „Stel­lung der christ­li­chen Kir­chen zum NS-Regime“ die Prin­zi­pi­en von Wahr­heit und Gerech­tig­keit oft ver­letzt. Vie­le ent­schei­den­de Fak­ten wer­den ver­schwie­gen, völ­lig ver­dreht oder durch wich­ti­ge Aus­las­sun­gen falsch dargestellt.

Wir wer­den das Ver­hal­ten der katho­li­schen Kir­che nur dann gerecht beur­tei­len, wenn wir es mit dem ande­rer Grup­pen ver­glei­chen. Die Katho­li­sche Kir­che galt als der schlimm­ste Geg­ner der Nazis, und das Regime hat ab 1936/​1937 kei­ne ande­re gesell­schaft­li­che Grup­pe, auch die Kom­mu­ni­sten nicht, als so gefähr­li­chen Geg­ner betrach­tet wie die kir­chen­treu­en Katholiken.

Kei­ne ande­re gesell­schaft­li­che Grup­pe hat sich in Deutsch­land ähn­lich wider­stän­dig gezeigt wie der katho­li­sche Kle­rus: In über 12.000 Fäl­len gin­gen die Gesta­po, die Justiz oder die Ver­wal­tung gegen deut­sche Welt- und Ordens­prie­ster vor. Das war die Hälf­te des gesam­ten katho­li­schen Kle­rus damals.

Die Opfer: Über 4000 katho­li­sche Prie­ster und Ordens­leu­te star­ben als Opfer der Nazis, – nicht weni­ge, weil sie Juden gehol­fen hat­ten. 418 deut­sche Prie­ster ver­schwan­den in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern, 74 wei­te­re Prie­ster wur­den hin­ge­rich­tet oder ermor­det. Hel­mut Moll bringt die Lebens­bil­der von 130 deut­schen Diö­ze­san­prie­stern, 59 männ­li­chen. 6 weib­li­chen Ordens­leu­ten und 122 katho­li­schen Lai­en, die in der NS-Zeit ihres Glau­bens wegen getö­tet wur­den. Die mei­sten Prie­ster befan­den sich im KZ Dach­au. Dort wur­den zwi­schen 1934 und 1945 ins­ge­samt über 2.720 Geist­li­che ein­ge­sperrt. Von den Häft­lin­gen dort waren 94,7 Pro­zent katho­lisch, 3,8 Pro­zent protestantisch.

Wenn man Ver­glei­che mit irgend­ei­ner Insti­tu­ti­on, Reli­gi­ons­ge­mein­schaft oder den welt­an­schau­li­chen Geg­nern des Natio­nal­so­zia­lis­mus anstel­len will, wird man fest­stel­len, daß die katho­li­sche Kir­che bei allem par­ti­el­len Ver­sa­gen doch noch weit­aus am besten abschneidet.

Die Geschichts­wis­sen­schaft ist sich in die­sem Urteil abso­lut einig. Und den­noch wer­den die schlim­men Vor­wür­fe gegen Pius XII. und die Katho­li­sche Kir­che selbst heu­te noch auf­recht erhal­ten. Die eige­ne Schuld wälzt man auf einen kre­ierten Sündenbock.

Doch ein Licht­blick! Kurz vor dem 50. Todes­tag Pius‘ XII. am 9. Okto­ber 2008 fand in Rom eine drei­tä­gi­ge Histo­ri­ker­kon­fe­renz statt, die von der ame­ri­ka­nisch-jüdi­schen „Pavel tue Way-Foun­da­ti­on“ ver­an­stal­tet wur­de. An ihr nah­men aner­kann­te Pius-For­scher teil, aber auch Rab­bi­ner aus ver­schie­den­sten Län­dern. Sie ver­öf­fent­lich­ten eine beein­drucken­de Doku­men­ta­ti­on von Juden, die dank des Ein­grei­fens des Pap­stes der Ver­nich­tung ent­gan­gen waren. Es war das erste Mal in den 45 Jah­ren seit der Urauf­füh­rung des „Stell­ver­tre­ters“, daß eine jüdi­sche Orga­ni­sa­ti­on ihre Stim­me gegen die „schwar­ze Legen­de“ von „Hit­lers Papst“ erhob. Viel­leicht zeigt sich damit end­lich eine gerech­te Neu­be­wer­tung Pius‘ XII. und der katho­li­schen Kir­che ab.

Der jüdi­sche Tal­mud lehrt: „Wer auch nur ein ein­zi­ges Leben ret­tet, ret­tet die gan­ze Welt.“ Oskar Schind­ler war ein Held, weil es ihm gelang, 1.200 Juden vor den Gas­kam­mern von Ausch­witz zu ret­ten. Doch er muß­te hilf­los zuse­hen, wie Mil­lio­nen ande­re getö­tet wur­den. Auch Pius XII. konn­te den Holo­caust nicht ver­hin­dern; er hät­te ihn nie ver­hin­dern kön­nen, gleich, was er ver­sucht hät­te. Aber es gelang ihm, direkt und indi­rekt, wie Pin­chas Lapi­de erklärt, ca. 850.000 Juden vor den Nazis in Sicher­heit zu brin­gen. Vie­le, die in Yad Vas­hem, der Holo­caust-Gedenk­stät­te bei Jeru­sa­lem, mit dem Titel „Gerech­ter unter den Völ­kern“ geehrt wur­den, weil sie Juden ret­te­ten, han­del­ten in Zusam­men­ar­beit mit oder sogar aus­drück­lich auf Anwei­sung die­ses Pap­stes. „Es ist an der Zeit“, schreibt der jüdi­sche Rab­bi und Histo­ri­ker Prof. Dr. David Gil Dalin, „daß auch Pius XII. als ‚Gerech­ter unter den Völ­kern‘ aner­kannt wird.“ Er hät­te den Titel wie kein ande­rer verdient.

Von uns for­dert der Rück­blick auf die Zeit des Nationalsozialismus:

  • Respekt vor den tap­fe­ren Frau­en und Män­nern, die damals dem Ungeist ent­ge­gen getre­ten sind und oft sogar ihr Leben geop­fert haben. Sie dür­fen mit ihrem vor­bild­li­chen Han­deln nicht ver­ges­sen werden.
  • Wach­sam­keit gegen­über allen Ent­wick­lun­gen ob poli­tisch links oder rechts, die die unab­än­der­li­chen Men­schen­rech­te bedro­hen, eine ent­spre­chen­de öffent­li­che Mei­nungs­bil­dung und ein kon­se­quen­tes Handeln
  • Bereit­schaft zum per­sön­li­chen Ein­satz im Bereich des öffent­li­chen Lebens. in der Poli­tik, denn wirk­li­cher „Frie­de“ ist nur mög­lich auf der Basis von Wahr­heit, Gerech­tig­keit Lie­be und Freiheit.

Der Text wur­de als Vor­trag in ver­schie­de­nen Pfarr­ge­mein­den der Diö­ze­sen Eich­stätt und Regens­burg gehal­ten, eben­so vor Stu­den­ten in Bam­berg, Eich­stätt, Ingol­stadt und Würz­burg. Der Text über Pius XII. stammt aus einem Vor­trag „Pius XII. und die Juden“ gehal­ten am 28.01.2009 an der Uni­ver­si­tät Eichstätt.

Ger­hard Sen­nin­ger (Jahr­gang 1931) stu­dier­te Phi­lo­so­phie und Theo­lo­gie in Eich­stätt sowie Geschich­te in Mün­chen bei den Pro­fes­so­ren Franz Schna­bel und Johan­nes Spörl. Er wur­de 1957 zum Prie­ster geweiht. Nach 10 Kaplans­jah­ren in Gun­zen­hau­sen und Eich­stätt wirk­te er 33 Jah­re als Pfar­rer und Reli­gi­ons­leh­rer in Alt­dorf  bei Nürn­berg. Jetzt wohnt er in Neu­markt, Oberpfalz.

 

Anzei­ge: Das Buch zu die­sem The­ma: Ger­hard Sen­nin­ger „Glau­bens­zeu­gen oder Ver­sa­ger? Katho­li­sche Kir­che und Natio­nal­so­zia­lis­mus“, 3. über­ar­bei­te­te und erwei­ter­te Auf­la­ge EOS-Ver­lag St. Otti­li­en 2007, 416 Sei­ten, 24.80 €,  ISBN 978–3‑8306–7314‑9, kann bei der Buch­hand­lung Falk Ver­sand­ko­sten­frei hier bezo­gen werden.

 

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