(Vatikan) Der neue Präfekt der Heilig- und Seligsprechungskongregation, Kurienerzbischof Angelo Amato, gab noch in seiner bisherigen Funktion als Sekretär der Glaubenskongregation der katholischen Tageszeitung Avvenire ein Interview. Darin sprach er über die Zeiten und die Kriterien, die notwendig sind, um „Erscheinungen“ und „Visionen“ beurteilen zu können.
Im Frühjahr hatte der Bischof von Gap in Frankreich, Jean-Michel di Falco, offiziell die Marienerscheinungen von Notre Dame de Laus als echt anerkannt und proklamiert. Die Erscheinungen wurden durch ein einfaches Hirtenmädchen aus der Gegend, Benoit Rencurel, das weder schreiben noch lesen konnte, bestätigt. Die Gottesmutter erschien ihr von ihrem sechzehnten Lebensjahr an bis zu ihrem Tod, von 1664 bis 1718 über den langen Zeitraum von 54 Jahren. 1872 wurde Rencurel vom seligen Papst Pius IX. zur Dienerin Gottes erhoben. Ihr Seligsprechungsverfahren ist im Gange.
Aus diesem Anlaß veröffentlichte der Osservatore Romano einen ausführlichen Beitrag des Serviten P. Salvatore M. Perrella, Dozent für Dogmatik und Mariologie an der Päpstlichen Theologischen Fakultät „Marianum“ in Rom, um die Voraussetzungen darzulegen, die notwendig sind, damit die Kirche Phänomene wie Erscheinungen oder Visionen anerkennt. Im Beitrag wurde ein Dokument der Glaubenskongregation zum Thema zitiert, das nie veröffentlich wurde. Um Näheres zu erfahren, sprach der Avvenire mit Msgr. Angelo Amato, der seit Dezember 2002 Sekretär der Glaubenskongregation war (und wenige Tage nach dem Interview zum Präfekten der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse ernannt wurde). Im Gespräch bestätigte der Kurienerzbischof die Existenz des Dokumentes. Es trägt den Titel: Normae S. Congregationis pro doctrina fidei de modo procedendi in diudicandis praesumptis apparitionibus ac revelationibus. Dieses Dokument wurde, laut Msgr. Amato, bereits 1974 von der Glaubenskongregation beschlossen und von Papst Paul VI. 1978 angenommen und unterzeichnet. Das Dokument trägt die Unterschriften von Kardinal Franjo Seper und Erzbischof Jean Jerome Hamer, damals Präfekt bzw. Sekretär der Kongregation.
Ist das Dokument geheim?
Das Dokument wurde allen Diözesanbischöfen und Ordensoberen übermittelt. Aber es ist wahr, daß es nie offiziell veröffentlich wurde, weder in den Acta Apostolicae Sedis noch in den Documenta, in denen die wichtigsten Dokumente der Glaubenskongregation seit dem letzten Konzil gesammelt werden.
Und warum?
Es handelt sich um Bestimmungen, die vor allem die Hirten betreffen, weshalb man nie die Notwendigkeit verspürte, sie über diese hinaus zu verbreiten.
Wurden sie seither nicht mehr überarbeitet?
Es handelt sich um ein gut gemachtes Dokument, das seine Gültigkeit behält. Deshalb ist nie eine Aktualisierung notwendig geworden.
Welches sind die Inhalte des Dokuments?
Nach einer Nota praevia über Ursprung und Charakter der Bestimmungen, listet das Dokument die Kriterien auf, anhand derer die Bischöfe und alle ihnen Gleichgestellten angebliche Erscheinungen und Visionen beurteilen müssen. Es handelt sich um positive Kriterien wie zum Beispiel die persönlichen Eigenschaften des Sehers oder der Seher (psychische Ausgeglichenheit, Rechtschaffenheit, Ehrlichkeit, Verhalten im Umgang mit der kirchlichen Autorität …) oder der Umstand, ob die „Visionen“ immun gegen theologische Fehler sind und eine gesunde Frömmigkeit und ausgiebige und konstante geistliche Früchte mit sich bringen. Oder es handelt sich um negative Kriterien, wie zum Beispiel dogmatische Irrtümer, die dem Herrn oder der Seligen Jungfrau Maria oder anderen Heiligen zugesprochen werden, Gewinnstreben, schwere moralische Vergehen, die vom Seher oder den Sehern begangen wurden, psychische Krankheiten, psychopathische Tendenzen, Psychosen oder Massenhysterie.
Wie muß sich die kirchliche Autorität im Sinne dieser Kriterien verhalten?
Das ist der Inhalt des zweiten Abschnitts der Bestimmungen. Der zuständige Oberhirte kann, nachdem er aufmerksam das Phänomen bewertet hat, einige Formen der Verehrung zulassen. Dabei muß er jedoch deutlich darauf hinweisen, daß dies noch keine Anerkennung der Übernatürlichkeit durch die Kirche bedeutet. Wenn er hingegen zu entsprechend negativen Schlüssen kommt, muß er jede Form der Verehrung untersagen. Wenn Unklarheit besteht, kann der zuständige Hirte auch keine Entscheidung treffen. Er muß jedoch immer aufmerksam das Phänomen beobachten, um gegebenenfalls schnell handeln zu können.
Welche Zuständigkeiten haben die Bischöfe und die Bischofskonferenz in diesem Zusammenhang?
Auf diese Frage antwortet der dritte Teil der Bestimmungen. Die erste Zuständigkeit kommt dem Diözesanbischof zu. Die regionalen oder nationalen Bischofskonferenzen können intervenieren, wenn sie vom Ortsbischof darum ersucht werden oder auch ohne ein solches Ersuchen, wenn das Phänomen von überregionaler oder nationaler Bedeutung ist. Der Heilige Stuhl kann aufgrund der universalen Jurisdiktion des Papstes intervenieren, wenn der Ortsbischof darum ersucht oder auch, wenn dies eine qualifizierte Gruppe von Gläubigen tut.
Und der Heilige Stuhl interveniert durch die Glaubenskongregation?
Genau, und diesem Punkt ist der vierte Teil der Bestimmungen gewidmet. Darin wird z.B. erläutert, daß unsere Kongregation besonders darauf achten soll, wenn Gläubige einen Antrag einbringen, daß nicht verdächtige Gründe dahinter stecken, etwa den zuständigen Ortsbischof zwingen zu wollen, rechtmäßige Entscheidungen zu ändern oder irgendeine sektiererische Gruppe zu legitimieren.
Welche Positionen kann es am Ende des Prüfungsverfahrens geben?
Die Anerkennung, das constat de supernaturalitate, wie sie vor kurzem durch den Bischof von Gap für die Erscheinungen von Laus ausgesprochen wurde. Oder die Ablehnung, das non constat de supernaturalitate, wie zum Beispiel bei nicht wenigen pseudomystischen Vorkommnissen.
Kann das non constat de supernaturalitate im Verhältnis zum negativen constat de nonsupernaturalitate eventuell als abwartendes Urteil angesehen werden?
In den Bestimmungen ist nur die Rede von constat de oder non constat de. Ein „constat de non“ kommt nicht vor.
Vor kurzem haben einige Kardinäle den Wunsch nach der Verkündigung eines neuen marianischen Dogmas geäußert, das die Gottesmutter zur „Miterlöserin“ und „Mittlerin aller Gnaden“ proklamieren soll. Besteht eine solche Möglichkeit?
Dabei handelt es sich um ein altes Anliegen. Der Titel einer „Miterlöserin“ ist weder biblisch noch patristisch noch theologisch und wurde nur sehr selten von einzelnen Päpsten verwendet und dies nur in weniger wichtigen Verlautbarungen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese Formulierung bewußt vermieden. Es ist gut daran zu erinnern, daß in der Theologie das Prinzip der Ähnlichkeit angewandt werden darf, nicht aber das der Mißverständlichkeit. Und in diesem Fall gibt es keine Analogie, sondern nur Mißverständlichkeit. In Wirklichkeit ist Maria „die Erlöste in der perfektesten Form“, sie ist die erste Frucht der Erlösung ihres Sohnes, des einzigen Erlösers der Menschheit. Darüber hinaus zu gehen, scheint mir wenig besonnen.
Exzellenz, noch andere Fragen. Wie weit ist man mit der überarbeiteten Fassung von Donum Vitae, der Unterweisung zu bioethischen Themen aus dem Jahr 1987?
Der Text ist angesichts der delikaten Thematik sehr umfangreich und praktisch fertig. Er wird nun in die verschiedenen Sprachen übersetzt. Ich denke, daß er im Herbst veröffentlicht werden kann.
Gibt es wirklich Gespräche zwischen der Glaubenskongregation und Gruppen von Anglikanern, Laien, Priestern und sogar Bischöfen, die in die volle Einheit mit Rom zurückkehren wollen?
Diese Kongregation spricht mit allen Christen und Gruppen von Christen, die anderen, nicht-katholischen Gemeinschaften angehören, die den Wunsch äußern in die volle Einheit mit Rom zurückzukehren. Wir verschließen uns niemandem. Noch können wir uns diesbezüglich irgendwelchem Kalkül, sagen wir, diplomatischer Art unterwerfen.
(Avvenire/JF)