von Giuseppe Nardi
Die öffentliche und politische Diskussion zum Lebensschutz ist in Europa weitgehend tabu. Ganz anders die Situation in den USA, wo eine lebhafte Debatte über das Leben der Ungeborenen und überhaupt einen umfassenden Lebensschutz von der Zeugung bis zum natürlichen Tod stattfindet.
In Europa hängt man noch immer einer Ideologie des eigenen Willens nach. Das Machbare soll man machen können, der egoistische Wille allein steckt den Rahmen ab. Wie zerstörerisch diese Ideologie sein kann, belegen kalte Abtreibungsstatistiken Jahr für Jahr und erfassen dennoch nur einen Teil des Dramas. Aber selbst diese Zahlen will man nicht hören und die meisten Medien helfen fleißig dabei mit, daß man sie nicht hören muß und vor allem, daß man nicht ihre Bedeutung erkennt.
Zwischen den USA und den meisten europäischen Staaten gibt es einen grundlegenden Unterschied in der Abtreibungsfrage. Erst vor wenigen Tagen wurde jenseits des Ozeans des 1973 ergangenen dammbrechenden Urteils Roe gegen Wade gedacht. In den westeuropäischen Staaten beschlossen parlamentarische Mehrheiten oder sogar Volksabstimmungen die Abtreibungsgesetze, mit denen die Tötung ungeborener Kinder legalisiert wurde. In den USA hingegen hat nie ein Parlament, eine Regierung oder das Volk eine entsprechende Entscheidung getroffen. Es waren eine Handvoll Richter des Obersten Gerichtshofes, die mit einem Urteil in der genannten Causa Roe gegen Wade im Alleingang eine so weitweichende Entscheidung über Leben und Tod getroffen haben.
Die Tendenz, daß Richter, statt die Grund- und Freiheitsrechte eines jeden Menschen zu verteidigen und zu garantieren, sich eigenmächtig über Verfassungen, den Souverän Volk und seine gesetzgebenden Repräsentanten hinwegsetzen und im Alleingang weitreichende politische Entscheidungen treffen, nimmt seit einigen Jahren auch in Europa zu.
Diese besorgniserregende Tendenz belegen einzelrichterliche Entscheidungen in EU-Mitgliedsstaaten. Erst vor wenigen Tagen erließ ein italienisches Verwaltungsgericht (!) einen Entscheid, wonach an Embryonen für die künstliche Befruchtung eine Prä-Implantations-Diagnostik durchgeführt werden könne. Genau das aber hatte der Gesetzgeber ausgeschlossen, um eine selektive Embryonenauswahl und Embryonenzerstörung nach genetischen Gesichtspunkten zu vermeiden, die aus einer PID eine prämortale Diagnostik machen würde.
Vor allem aber zeigt sich eine Neigung zu richterlicher Selbstherrlichkeit auf europäischer Ebene, absurderweise gerade auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, was nicht einer besonderen Tragik entbehrt. Das jüngste Beispiel einer ideologisierten Rechtssprechung ist das Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg gegen Frankreich, das einer Lesbe die Adoption eines Kindes verweigert hatte. Oder die Verurteilung Polens zur Zahlung eines Schmerzensgeldes, weil es einer Frau die Abtreibung ihres Kindes verweigert hatte und eine ganze Reihe weiterer solcher und ähnlicher Urteile, die sich gegen das Leben und die Natur richten und einzig den egoistischen Willen zur Grundlage haben.
Es wird Zeit, daß sich die Bevölkerung der Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit eines jeden Menschenlebens bewußt wird (der amerikanische Präsident George W. Bush sprach vor wenigen Tagen von der „Heiligkeit des Lebens“) und sich die Souveränität von den Richtern zurückholt. Ebenso braucht es eine neue Richtergeneration, die das Recht auf Leben verteidigt, das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ebenso festgeschrieben ist wie in den Verfassungen der Staaten, anstatt eben dieses erste Recht aller Rechte durch eine ideologisierte Uminterpretation auszuhöhlen und zu zersetzen.
Auch Europa braucht eine neue Kulturrevolution, eine Kulturrevolution für das Leben, wie sie in den USA bereits begonnen hat.