Als Papst Gregor VII. am 25. Mai 1084 auf der Flucht aus Rom in Salerno starb, waren seine letzten Worte: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Unrecht gehaßt; deswegen sterbe ich in der Verbannung.“
Dieses Bekenntnis des großen Papstes zur Treue in der Verteidigung des Rechtes bis in den Tod ist berühmt geworden. Aber was für eine Gerechtigkeit meint er? Was ist Recht? Was ist Unrecht? Was schafft Recht? Etwa Macht? Nutzen? Menschenwille? Übereinkommen? Gewohneit? – Alle reden von Recht, pochen auf ihr Recht, selbst Mörder und perverseste Sexualverbrecher. Wo liegt die stets gültige Entscheidung über Recht und Unrecht?
Der letzte Grund jedes Recht ist Gott, der Schöpfer und Herr; die letzte Rechtsnorm ist der Wille Gottes. In diese Rechtsnorm ist jedes menschliche Recht gebunden. Von dort erhält es seine Kraft, das Gewissen zu verpflichten. Was dem Willen Gottes widerspricht ist Unrecht und kann niemals Recht werden: nicht durch Menschenwille, nicht durch Gewalt, Nutzen oder Erfolg. Alles menschliche Wollen und Tun ist sittlich gut oder verwerflich von der Rechtsnorm Gottes her.
Das ist der ewig gültige Rechtskodex: Gottes Wille muß geschehen im Himmel und auf Erden! Er bindet und verpflichtet jegliches Geschöpf: Engel und Menschen, Machthaber und Staatsbürger, Individium und jedes Gemeinschaftswesen von der Ehe bis zum Staat und Völkergemeinschaft. Er ist Norm für das Einzelgewissen, aber auch Norm für alles Wollen, Streben und Tun auf allen menschlichen Gebieten: in Religion, Politik, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft und sozialen Dingen. Der Wille Gottes ordnete das Verhalten der Menschen zu ihm, ihrem Schöpfer, Herrn und Vollender, und auch alle Beziehungen der Menschen untereinander. Die Summe dieser Forderungen des göttlichen Willens stellt die Rechte Gottes dar.
Gott hat seinen Willen, seine Rechtsforderungen, kundgetan: teils durch Naturgesetze, die in die Gewissen eingegraben sind; teils durch seine Gebote von Sinai; teils durch seinen menschgewordenen Sohn, den er als getreueun Zeugen seines Willens in diese Welt sandte.
Den Rechten Gottes entspricht auf Seiten des Menschen Pflichten, die ihn absolut binden. Keine Macht der Erde kann ihn davon dispensieren. Sie bestehen in dem Umfange und so lange, wie das Abhängigkeitsverhältnis des Menschen von Gott besteht. Gott ist aber immer sein Schöpfer und erhält ihm am Leben; darum schuldet er ihm immer Anerkennung, Dank und Liebe. Gott ist immer sein absoluter Herr, denn durch die Erschaffung ist der Mensch gänzlich Gottes Eigentum. Er muß ihm also dienen mit seinem ganzen Wesen und allen Kräften. Gott ist immer sein Ziel und seine Vollendung; darum muß er nach ihm hinstreben auf jenem Wege und mit jenen Mitteln – Christus, Kirche, Sakramente, Gebet – die Gott dafür bestimmt hat.
Diese Anerkennung, dieser Dienst Gottes, dieses Verlangen und dieses Streben nach Gott ist Religion. Der Mensch ist also zur Religion verpflichtet, um gerecht zu sein gegen Gott und sein Verhältnis zu ihm zu ordnen. Religion ist keine Sache freier Wahl, sondern sie gehört zur Natur des Menschen. Sein Verstand fordert sie, sein Wille gebietet sie. Der Mensch muß um die Kenntnis dieser ersten und höchsten Pflichterfüllung in der Respektierung der Rechte Gottes sich bemühen. Sonst verleugnet er die Grundlagen seiner Natur.
Als immerwährenden Weltlehrstuhl und höchstes Tribunal zur Wahrung der Rechte Gottes hat der Gottessohn das Lehr- und Hirtenamt in seiner Kirche eingesetzt, ihm, und nur ihm, seine Schlüsselgewalt, Binde- und Lösegewalt übergeben.
Dieses Gottesauftrag ist sich Rom, und nur Rom, durch Jahrtausende stets bewußt gewesen: es muß Anwalt der Rechte Gottes in der Welt sein! Das muß die Linie für seine Haltung: für seine Belehrungen und Wegweisungen, für die Entscheidungen und Urteile über Ideen und Geistesströmungen sein. Wo immer und insoweit Vorgänge in der Welt Rechte Gottes berühren, muß Rom sich seine Stimme erheben und nicht schweigen.
Gottes Rechte sind ewig gültig, sie altern und verjähren nicht. Daher die große Sicherheit und Zuverlässigkeit des Lehr- und Hirtenamtes der katholischen Kirche. Um Gottes Rechte darf nicht geschachert, darf nichts preisgegeben werden. Die Entscheidungen und Urteile Roms müssen sich wieder durch Festigkeit und Unbeugsamkeit auf der Grundlage göttlichen Autorität und göttlichen Willens auszeichnen. Rom muß sein Wächteramt für die Rechte Gottes wieder vollständig übernehmen und granitfest Stellung in der Welt beziehen. Mit der Erfüllung dieser Pflicht wäre Rom der größte Wohltäter der Menschheit.
H. Fischer/ J. Falk