(Istanbul) Mehr als eine Million Menschen haben gestern in Istanbul gegen eine „schleichende Islamisierung“ der Türkei demonstriert. Anlaß ist die Nominierung von Abdullah Gül zum Präsidentschaftskandidaten. Er gehört zur islamistischen Partei „AKP“ des Regierungschefs Tayyip Erdogan.
Die Demonstranten fürchten um die strikte Trennung von Religion und Staat, die in der türkischen Verfassung verankert ist. Grundproblem ist der Einschätzung des in Ankaras lebenden Jesuiten Felix Körner, daß das kemalistische Lager auf der einen Seite und das islamistische auf der anderen nicht miteinander reden und die Situation polarisieren. Was wäre ein Ausweg? Felix Körner:
Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan hat für heute Abend eine Rede an die Nation angekündigt. Außerdem nahm heute das Verfassungsgericht die Beratungen über einen Antrag der Opposition auf, die Wahl auszusetzen. Sollten die Richter dem Einspruch stattgeben, wird mit vorgezogenen Parlamentswahlen gerechnet. Das Urteil soll bis Mittwoch fallen, wenn der zweite Wahlgang im Parlament angesetzt ist. Eine Entscheidung des Parlaments wird aber nicht vor dem dritten Wahlgang am 9. Mai erwartet, in dem die einfache Mehrheit der AKP für eine Wahl Güls ausreichen würde.
„Die Hoffnung und im Grunde auch der einzige Weg für eine friedliche Zukunft der Türkei ist, daß diese beiden Pole lernen, miteinander zu reden und zu sagen, weder ein radikal-kemalistisch kontrollierender Staat, wie ihn auch das Militär vertritt, noch ein islamistisch Sharia-orientierter Staat ist wirklich das, was man unter einer freien authentischen Türkei verstehen kann. Also: das Interesse, Ernst bekunden, eine Türkei miteinander zu gestalten, ist die Chance, die im Moment die beiden Parteien nicht wahrnehmen, aber die einzige Chance, die die Türkei hat.“Die Nervosität steigt in der Türkei, so Körner: „Die christliche Minderheit im Land ist im Augenblick, das heißt in den letzten Wochen in großer Sorge. Dieses Gemenge aus einer nationalistischen Denkweise für die Türkei und einer islamistischen Denkweise für die Türkei ist für uns, für alle Christen in der Türkei, zurzeit schwierig. Es schlägt den Christen ein Haß entgegen, der gewaltbereit ist. Da wird die Nervosität, die nun durch die Demonstrationen verstärkt wird, uns auch weiter zu schaffen machen.“
(Radio Vatikan)